Rääde · Flemming Meyer · 28.09.2001 Qualität in der Pflege & Heimaufsicht

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen hat jetzt alle Heime in Schleswig-Holstein besucht. Die vom Landespflegeausschuss bestellten Prüfungen sind abgeschlossen, und das Ergebnis ist so erschütternd, wie man befürchten konnte. Erschreckend oft erfüllt die Pflege nicht die Anforderungen der Pflegeversicherung. An unserer anfänglichen Diagnose ändert sich auch nach Abschluss der Untersuchung nichts: Es sind viele, die sich vorwerfen lassen müssen, nicht genug für die Pflege getan zu haben.

Viele Träger haben zu wenig unternommen, um die Qualität in ihren Einrichtungen zu gewährleisten. Die Kreise und kreisfreien Städte haben die Kontrolle nicht gut genug ausgeübt. Die Pflegekassen scheinen den Preis so weit zu drücken, dass angezweifelt werden kann, ob die Anforderungen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erfüllen lassen. Der Bundesgesetzgeber hat lange auf das Heimgesetz, das Pflegequalitässicherungsgesetz und andere wichtige Regelungen warten lassen. Zudem bestehen noch erhebliche Mängel der Pflegeversicherung.

Es sind viele Menschen, die sich fragen lassen müssen, wie solche Zustände in den Heimen zustande kommen. Nur eine Gruppe von Beteiligten hat keine Prügel verdient: Missstände dürfen nicht dem Personal in der Altenpflege angelastet werden, denn es kann niemanden verwundern, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter den gegebenen Voraussetzungen nicht das Soll erfüllen können. Gefordert wird von diesen Menschen eine optimale medizinische, pflegerische, sozialtherapeutische und hauswirtschaftliche Versorgung - aber bitte möglichst im Minutentakt und zum Nulltarif. Die berufliche Realität sieht aber ein bisschen anders aus: Hohe Anforderungen, starke psychische Belastungen, wenig soziale Anerkennung, eine geringe Bezahlung, geringe Personalschlüssel, nicht erfüllte Fachkraftquoten und hohe Personalfluktuation sind die Realitäten im Altenpflegebereich.

Die Verbesserung der Pflegequalität fängt in den Köpfen der Leute an. Seit über einem Jahrzehnt sind die Ansprüche an eine professionelle, fachgerechte Pflege gewachsen. Nicht zuletzt die Einführung der Pflegeversicherung und die Entwicklung neuer Konzepte wie die aktivierende Pflege mit dem Vorrang der Rehabilitation vor der Pflege haben die Grenzen dafür verschoben, was man „gute fachliche Praxis“ nennen könnte. Es wäre aber zu einfach, hohe Kriterien für die Pflegequalität festzulegen um dann dem Personal vorzuwerfen, dass es diese nicht erfüllt. Es ist Sache der Politik, der Träger und der Pflegekassen dafür zu sorgen, dass diese Menschen auch wirklich die Qualifikation und die Ressourcen bekommen, die sie benötigen, um den Anforderungen an eine moderne Altenhilfe zu entsprechen. Das Pflegepersonal hat offensichtlich noch nicht ausreichende Gelegenheit dazu gehabt, diesen Zuwachs an Professionalisierung und Qualität nachzuvollziehen. Und die Träger haben vielfach nicht die entsprechende Professionalisierung durch Bildungsmaßnahmen gefördert.

Die Pflegeversicherung mit ihrer strengen Ökonomie hat auch nicht gerade die Übererfüllung von Fachkraftquoten provoziert. Deshalb ist es gut, dass heute die Aus- und Fortbildung und die Qualitätssicherung ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Und daher ist es auch begrüßenswert, dass die Ergebnisse der MDK-Prüfungen von den Beteiligten in erster Linie jetzt nicht für Schuldzuweisungen genutzt werden, sondern in erster Linie zukunftsgerichtet als Grundlage eines Lernprozesses. Alles andere würde die betroffenen Menschen noch mehr belasten und demotivieren, und es würde der Attraktivität des Altenpflegeberufs noch mehr schaden.

Im Dänischen sagt man, dass nichts so schlecht ist, dass es nicht für irgendetwas gut ist, und das gilt auch für die Horrormeldungen der letzten Monate über Missstände in den Pflegeheimen unseres Landes. So schlimm die Befunde des MDK sind, so wichtig ist es auch gewesen, dass Fachleute, Politik, Medien und Öffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit auf die große Bedeutung dieses Bereiches gelenkt haben. Es ist notwendig, dass wir uns darüber im klaren werden, welche Pflege wir wollen, und wie viel wir in menschenwürdige Pflege investieren wollen. In diesem Sinn ist die Idee einer Enquetekommission auch grundsätzlich begrüßenswert.

Denn wir werden nicht um die Frage umhin kommen, ob es nicht notwendig ist, auch mehr in die Pflege zu investieren. Es ist nicht nur das Qualitätsniveau in unseren Pflegeeinrichtungen, an dem es hapert. Vor allem die Pflegeversicherung als strukturelle Grundbedingung der meisten Pflegetätigkeiten hier im Lande fördert nicht gerade die Pflegequalität, wenn sie nach dem Stoppuhr vorgeht und keine menschliche Zuwendung berücksichtigt. Denn es ist fragwürdig, ob sich diese beiden Dinge trennen lassen, wenn es um gute Pflege geht. Eben diese Aufteilung spiegelt sich aber in den Prüfungen wider. Der MDK hat sich nur die medizinisch-pflegerische Prozessqualität der Pflege angesehen. Niemand außer den Pflegebedürftigen, dem Pflegepersonal und die Angehörigen bewertet die menschliche Qualität, die persönliche Zuwendung, die in der Pflege stattfindet. Genau so wichtig wie korrekt geführte Akten ist aber die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner. Die kann nur entstehen, wenn das Pflegepersonal Zeit hat.

Aber natürlich gedeiht kein Mensch in einem Heim, wenn er ausgetrocknet ist oder wegen Bewegungsmangels unter Kontrakturen leiden muss. Das sind Dinge, die eigentlich schon früher aufgefallen sein müssten. Deshalb ist klar, dass die Kreise und kreisfreien Städte als Träger der Heimaufsicht auch nicht ihre Aufgaben wahrgenommen haben. Sie sind es, die die Kontrolle in den Heimen schon viel früher hätten ausüben müssen. Diese Kontrollen müssen in Zukunft funktionieren, und dafür brauchen wir die Unterstützung unserer Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Sie müssen in Zukunft die gewissenhafte Erfüllung der Heimaufsicht kontrollieren und auf eine bessere Qualifizierung des Personals in diesem Bereich drängen. Der SSW hat aber immer noch Vertrauen in die kommunale Ebene. Deshalb lehnen wir Vorschläge ab, die Heimaufsicht nach dem Heimgesetz zukünftig durch das Sozialministerium durchführen zu lassen, wie es die Kollegin Kleinert angeregt hat.

Aber nicht nur der Vorschlag der Landesvorsitzenden der Senioren-Union ist problematisch. Auch der vorliegende Antrag hat so seine Tücken. Wir unterstützen die Pflegequalitätsoffensive des Sozialministeriums. Aber es ist albern, wenn die Landesregierung aufgefordert werden soll, sich für die Einrichtung einer Pflege-Enquetekommission des Bundestages einzusetzen. Ich will nicht missverstanden werden: Es ist nicht falsch, wenn sich das Parlament mit der Zukunft der Pflege in unserer Gesellschaft auseinandersetzen soll. Diese Art der Bewegung ist schließlich letztlich auch dafür verantwortlich gewesen, dass die Pflegeversicherung eingerichtet wurde, und dass wir heute so hohe Ansprüche an eine professionelle Pflege stellen. Nur eines ist falsch: der Adressat. Wenn die Grünen und die SPD sich so etwas im Bundestag wünschen, dann sollen sie das nicht der Landesregierung mitteilen, sondern vorzugsweise ihren Bundestagsabgeordneten.
Außerdem bitte ich nicht nur die Regierung, ihren Bemühungen um die unabhängige Beratung von Pflegebedürftigen, Pflegepersonal, Angehörigen und Einrichtungen fortzusetzen, auszuweiten und zu vernetzen. Ich erwarte von der Regierung und fordere sie dazu auf, dafür zu sorgen, dass alle Bürgerinnen und Bürger gut beraten werden.

Ein letztes: Es hat ja auch schon Anregungen gegeben, der Pflege Verfassungsrang zu verschaffen. Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände stützen eine Volksinitiative, die zum Ziel hat, die Forderung nach einer menschenwürdigen Pflege in die Landesverfassung aufzunehmen. Für den SSW ist dieses aber keine Lösung. Mit Staatszielbestimmungen – das wissen wir aus der Minderheitenpolitik – lässt sich unsere Gesellschaft nicht verändern.

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