Rääde · Flemming Meyer · 16.11.2000 Gentechnik und Technikfolgenabschätzung

Gentechnik ist ein weit umfassendes Feld. Es beschränkt sich nicht nur auf Bereiche, wie Landwirtschaft, Medizin oder Umwelt. Sie greift viel weiter in unsere Gesellschaft. Die Auswirkungen und Möglichkeiten der Gentechnik sind bisher nicht vollständig erforscht und abschätzbar. Dies hat auch der Abschlussbericht der Enquetekommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie" verdeutlicht, obwohl man sich über zwei Jahre ausgiebig mit dem Thema beschäftigt hat. Daher ist es nur angemessen, sich verantwortungsvoll und sorgfältig mit dem Thema auseinander zu setzen.

Der Abschlussbericht hat verdeutlicht, dass es nicht möglich war, zu einem von allen Parteien getragenen Bericht zu kommen. Dieses spiegelt auch die unterschiedlichen Auffassungen und Haltungen zur Gentechnik in der Gesellschaft wider. Heute liegen uns zwei Anträge zur Gentechnik vor, die diese unterschiedlichen Ansichten exemplarisch darstellen.

Der SSW kann den ersten Absatz des F.D.P.-Antrages inhaltlich durchaus nachvollziehen. Es ist Aufgabe der Politik die Normen zu setzen, die im Bereich Gentechnik gesetzt werden müssen. Daher ist die Auseinandersetzung mit Gentechnik auch weiterhin notwendig. Wir wissen, das die Gentechnik ein hohes wirtschaftliches Potential in sich birgt. Zur Zeit gilt es als einer der Wachstumsmärkte schlechthin. Daher wäre es für Schleswig-Holstein von Nachteil, wenn wir uns völlig von der Beschäftigung mit der Gentechnik verabschieden würden. Es muss aber gewährleistet sein, dass Gentechnik von der notwendigen Normenbildung und Technologiefolgenabschätzung geleitet und begleitet wird.

Nach Auffassung des SSW geht der Antrag der F.D.P. jedoch zu wenig auf mögliche Risiken ein. Er zeigt nicht auf, dass Gentechnik nicht nur eine wirtschaftlich-technische sondern auch eine gesellschaftliche Dimension hat. Es kann nicht angehen, dass der Markt hier allein die Richtung bestimmt. Vielmehr müssen auch gesundheitlich-biologische Fragen genauso vertieft aufgearbeitet werden, wie die ethischen Fragen. Nur dann lassen sich die Konsequenzen in der Gesamtheit überblicken.

Die Politik setzt die Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Landes. Hierzu zählen auch die Unterstützung von einzelnen Unternehmen oder von Hochschulen im Bereich Gentechnik. Davor gilt es allerdings die ethischen Fragen und Probleme zu lösen. Solche Fragen und Probleme lassen sich nur in einem breiten Dialog zwischen Bevölkerung und Wissenschaft lösen.

Aber wir haben unsere Schwierigkeiten mit dem zweiten Teil des F.D.P.-Antrages. So suggeriert die Aufzählung einzelner Bereiche der Gentechnik, dass man sich mit den Forschungsinhalten vollständig identifiziert. Dies wird beim SSW nicht so gesehen. Themenfelder wie gentechnische Herstellung von Arzneimitteln oder die gentechnische Erzeugung von Zusatzstoffen in der Ernährungswirtschaft sind immer noch heikle Themen, die man nicht einfach in einer Aufzählung abhandeln kann. Hier müsste über jede einzelne Fördermaßnahme nachgedacht und intensiv diskutiert werden. Der Abschlussbericht der Enquetekommission hat gezeigt, dass es auch hierbei keine einfachen Lösungen gibt.

Was verwundert ist, dass die FDP keine Aussagen zum Verbraucherschutz macht. Die Kennzeichnungspflicht von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln ist eine Kernforderung des SSW. Bisher besteht die Grundvoraussetzung in der Bevölkerung nicht, dass gentechnisch veränderte Nahrungsmittel überhaupt akzeptiert werden. Letztendlich muss Gentechnik im Einklang mit dem Verbraucher entwickelt werden. Hier besteht jedoch noch ein Defizit an Informationen. Daher ist und bleibt die breite Information und Aufklärung über Gentechnik in der Bevölkerung ein wichtiger Bestandteil unserer Politik.

Der SSW ist der Meinung, dass sich eine verantwortungsvolle Weiterentwicklung und breite Diskussion in der Bevölkerung zur Gentechnik auf Grundlage der Empfehlungen der Enquetekommission des Landtages möglich ist.

Der Antrag von SPD und Grünen zielt auf eine Richtung ab, die unseren Vorstellungen eher entspricht. Im Prinzip sehe ich drei Bereiche in denen sich Schleswig-Holstein besonders engagieren muss.

1. Allgemeine Technikfolgenabschätzung und ein breiter ethischer Diskurs in der Bevölkerung,

2. Technikfolgenabschätzung in der Medizin und

3. Technikfolgenabschätzung in der Landwirtschaft.

Bevor eine Technologie angewandt wird, sollte im Idealfall ein ethischer Diskurs über die Ziele und Auswirkungen dieser Technologie durchgeführt werden. Wir sind uns im klaren darüber, dass Gentechnik schon da ist. Aber sie befindet sich immer noch im Anfangsstadium. Sie wurde noch nicht ausreichend in der Gesellschaft diskutiert. Weder der Nutzen noch die möglicherweise gravierenden Folgen sind annähernd ausdiskutiert.

Dass sich eine breite Diskussion zu diesem Thema in der Bevölkerung durchführen lässt, zeigt uns unser nördlicher Nachbar. Hier wurde vom dänischen Wirtschaftsministerium eine Broschüre erstellt, in der der Forschungsstand und die Chancen und Risiken der Gentechnologie zusammengefasst worden ist. Der verfolgte Zweck ist, die Information der Bevölkerung sowie die Diskussion zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Bevölkerung. Die Diskussion läuft in Dänemark auf einer breiten und interdisziplinären Grundlage. Ähnliche Arbeiten müssen in Deutschland, respektive in Schleswig-Holstein, geleistet werden. Mir ist bewusst, dass Schleswig-Holstein sicher nicht die Diskussion für ganz Deutschland leisten kann, aber wir können Grundlagen für eine Diskussion erbringen. Wie sehen diese Grundlagen aus? Beispielsweise indem man sich auf die Bereiche, die das Land am stärksten beeinflussen konzentriert. Dies muss jedoch neben einer breiten ethischen Diskussion geschehen.

In ihrer Regierungserklärung erklärte Frau Simonis, dass die Landesregierung einen Schwerpunkt im medizinischen Bereich setzt und die Forschung hier voranbringen wird. Hier sehen wir die Notwendigkeit eines öffentlichen Diskurses. Es handelt sich hierbei um keine rein medizinische oder biologische Frage. Wenn beispielsweise Erbgut erforscht wird, können diese Erkenntnisse zu allem Möglichen genutzt werden. Auch hier halte ich eine öffentliche Diskussion für unbedingt notwendig. Erst dann können wir genauer abwägen, wie wir damit umgehen wollen.

Der dritte Punkt den ich genannt habe, bezieht sich auf die Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft. Es handelt sich hierbei um klassische Wirtschaftszweige in Schleswig-Holstein, die schon jetzt stark von der Gentechnik beeinflusst sind. Dies allein ist Grund genug für einen öffentlichen Diskurs.

Z.B. stellt sich die Frage: Ist eine Ertragssteigerung durch Nutzung von gentechnisch behandelten Pflanzen gesellschaftlich gewollt - vor dem Hintergrund der Tatsache, dass man die Weltbevölkerung heute schon ausreichend ernähren könnte, wenn man die Verteilung der Nahrungsmittel entsprechend organisieren würde?

Ist die eventuell preiswertere bzw. höherwertigere Produktion höher einzuschätzen, als mögliche gesundheitliche Nachteile für den Verbraucher?

Gibt es Nachweise für die gesundheitliche Bedenklichkeit von gentechnisch behandelten Lebensmitteln oder, besser umgekehrt gefragt, gibt es objektive Nachweise für die Unbedenklichkeit solcher Lebensmittel?

Dies sind alles Fragen, die sich ein Agrarland wie Schleswig-Holstein im allgemeinen wie im speziellen stellen muss.

Es gibt viele offene Fragen zur Gentechnologie, doch es gibt nur wenige Antworten. Daher ist eine interdisziplinäre Forschung in den Hochschulen unter Mithilfe einer weiteren Hochschule im Lande, die die Technologiefolgenabschätzung für die Bio- und Gentechnologie für das Land professionell abdeckt, dringend notwendig. Dieses ist vor allem auch deshalb angeraten, weil es wichtig ist, die Technikfolgenabschätzung unter unabhängiger und staatlicher Regie durchzuführen.

Im Grundsätzlichen herrscht Einigkeit, dass Gentechnik eine wichtige Zukunftstechnologie ist, an der man faktisch - sie ist nämlich schon da - nicht vorbei kommt. Es gilt hier aber nicht nur den Markt regieren zu lassen, sondern die Entwicklung auch von der Bevölkerung mitbestimmen zu lassen.

Aber derzeit gibt es noch eine Vielzahl ethischer Fragen bei einzelnen Projekten und Verfahren: eine Vielzahl rechtlicher Fragen, eine Vielzahl von Fragen, die gesundheitliche Folgen angehen.

Schlussendlich: Es gibt noch ein weites Informationsdefizit in der Bevölkerung.

Daher sind derzeit nur von Fall zu Fall-Entscheidungen möglich. Dieses ist kein Zustand für die Zukunft. Daher sind ständige Technikfolgenabschätzungen notwendig.

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