Rede · Flemming Meyer · 11.09.2008 Ausbildungssituation in Schleswig-Holstein

In Deutschland kommt, so wie in anderen europäischen Ländern auch, eine Ausbildung einer Grundlage für die Zukunft gleich. Ohne Ausbildung steigt das Risiko der Arbeitslosigkeit auf 18%, mit liegt sie dabei bei 4%. Nicht ohne Grund gibt es so viele Anstrengungen, jungen Menschen eine Ausbildung zu ermöglichen.
Mittlerweile allerdings erscheint die Schwelle, einen Ausbildungsplatz zu bekommen und tatsächlich mit einer Ausbildung beginnen zu können, ziemlich niedrig. In einigen Bereichen gibt es sogar Ausbildungsplätze, die nicht besetzt werden können. Schauen wir uns den Bereich Bankfachleute an. Ein Ausbildungsberuf, der gut bezahlt ist, Aufstiegschancen verspricht und zudem keine körperliche Anstrengung erfordert. Hier stehen laut Tabelle Nr. 2 im Bericht 194 Bewerber 585 Stellen gegenüber. Das kann doch etwas nicht stimmen. Sind die Anforderungen zu hoch oder die Bewerberprofile unzureichend; liegt eine regionale Fehlallokation von Stellen und Bewerbern vor oder finden sich nicht genügend Männer bzw. genügend Frauen? Und das sind nur die Fragen, die sich angesichts einer Tabellenzeile stellen! Ich könnte problemlos noch mehr Fragen anführen. Der Bericht wirft bedauerlicherweise mehr Fragen auf, als das er tatsächlich beantwortet. Er legt weder regionale, qualifikationsgewertete noch geschlechtsbezogene Zahlen vor, so dass wir als Landtagspolitiker weiterhin im Dunkel tappen, warum es trotz Lehrstellenproblem offene Stellen gibt. Aus diesem Bericht können keine politischen Maßnahmen entwickelt werden. Dazu bedarf es einer vertieften und qualifizierten Betrachtung. Diese fehlt.
Ausschlaggebend ist letztlich, wie viel Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen erfolgreich ihre Ausbildung absolvieren. Wir lügen uns doch in die Tasche, wenn wir denken, dass mit der Unterschrift unter dem Ausbildungsvertrag bereits die berufliche Zukunft gesichert ist. Fast jeder vierte Ausbildungsvertrag wird vor Ende der Ausbildung aufgelöst! Schauen wir also auf die Wirklichkeit hinter den Statistiken!
Allein das Konstrukt des „gemeldeten Bewerbers“ zeigt die ganze Problematik des Ausbildungsstellenberichtes. Gemeldete Bewerber sind mitnichten alle Bewerber, die sich auf eine offene Stelle bewerben, sondern diejenigen, die sich vorher bei einer Arbeitsagentur des Landes angemeldet haben. Alle anderen werden statistisch nicht erfasst.
Somit ergibt sich eine Statistik, die eigentlich zu gar nichts taugt. Ich will mich nicht damit abfinden, dass wir sehr viele, gute Ausbildungsplätze haben, die nicht an den geeigneten Bewerber vermittelt werden können; das kann ich weder als sozial engagierter Mensch noch als arbeitsmarktpolitischer Sprecher des SSW.
Gerne möchte ich Maßnahmen empfehlen, um diesem Missstand beizukommen. Doch dieser Bericht versetzt mich nicht in die Lage dazu.
Ich hätte mir qualifizierte Zahlen über die so genannten Altbewerber gewünscht, also Schulabgänger aus den vergangenen Jahren. Wie sieht es mit den Schulabschlüssen aus? Drängen mehr oder weniger Abiturienten auf den Ausbildungsmarkt? Bewerben sich inzwischen noch Hauptschüler, obwohl sie wissen, dass sie keine Chance haben, überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden? Der Bericht sagt nichts dazu.
Mädchen sind gut qualifiziert, haben durchschnittlich die besseren Schulnoten. Warum entschließen sich trotzdem so viele von ihnen für Berufe, die keine oder nur geringe Aufstiegschancen bieten?
Zusammenfassend ist deutlich geworden, dass der Bericht genau die Defizite widerspiegelt, die wir auch auf dem Ausbildungsmarkt finden. Es gibt für den Ausbidungsstellenmarkt keine aktuellen, regionalen Zahlen, solange das Nebeneinander von Kammern und Arbeitsagenturen weiterhin Bestand hat. Sichere, verwertbare Zahlen gibt es erst im Nachhinein, nämlich dann, wenn man die Ausbildungsverträge zählen kann. Dann ist der Zug allerdings weitgehend abgefahren.
Kammern und Arbeitsagenturen stehen in einem routinierten Kontakt, dennoch fehlt eine zentrale Erfassungsstelle für Ausbildungsplätze in Schleswig-Holstein mit aktuellem Datenmaterial. Weder Ausbildungsbetriebe noch Schulabgänger, geschweige denn die Berater haben einen Überblick über die Situation. Das finde ich sehr bedauerlich.
Wir bekommen mehr oder weniger seit Jahren einen Ausbildungsbewerber-Bericht. Ich halte das nicht für ausreichend. Die Zahlen sind, wie gesagt, unbrauchbar und die Schlussfolgerungen des Wirtschaftsministers erscheinen willkürlich. In dem Bericht heißt es beispielsweise, ich zitiere, „Die Anforderungen in die Ausbildung steigen, die Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen dagegen sinkt seit einigen Jahren.“ Ich möchte angesichts dieses dramatischen Befundes schon gerne wissen, was die Bildungsministerin dazu sagt, schließlich trägt sie die politische Verantwortung für die schulische Qualifikation die hier vom Wirtschaftsminister kritisiert wird. Mit der Verzahnung schulischer und betriebliche Wirklichkeit scheint es nicht so weit her zu sein, legt der Bericht nahe. Daran muss sich schleunigst etwas ändern.
Aber es ist eben nur ein Ausbildungsstellenmarkt-Bericht. Die Erkenntnisse bleiben weit hinter dem zurück, was die Landesregierung im letzten Jahr in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Kollegen von der FDP analysiert und beschrieben hat. Dort wurden die dramatischen Abbrecher- und Durchfallquoten diskutiert und Handlungsbedarfe vorgestellt. Ganz offensichtlich müssen wir uns in unserer parlamentarischen Arbeit die Informationen durch detaillierte Fragen selber besorgen. Die Daten, die die Landesregierung von sich aus vorlegt, sind auf keinen Fall ausreichend, um sich ein Bild zu machen.

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