Rede · Jette Waldinger-Thiering · 15.12.2022 Das Kita-System ist am Limit!

„Aus Sicht des SSW müssen wir deutlich mehr Ressourcen für unser Kitasystem aufbringen. Denn nicht nur die dringend nötigen attraktiveren Arbeitsbedingungen durch einen verbesserten Fachkraft-Kind-Schlüssel und die bessere Bezahlung der Kita-Beschäftigten kosten Geld.“

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 4+31 - Änderung des Kindertagesförderungsgesetzes sowie Kindertagesbetreuung in Schleswig-Holstein auch in der Krise weiterentwickeln (Drs. 20/395 und 20/502)

Bei allen Herausforderungen und Problemen im Kitabereich ist mir eins besonders wichtig zu betonen: Wir vom SSW sind all denen, die die frühkindliche Bildung am Laufen halten, sehr sehr dankbar. Die hier tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nicht zuletzt unter Pandemiebedingungen Großartiges geleistet. Viele von ihnen arbeiten seit Jahren am Limit und darüber hinaus. Das kann ich als Vater zweier Kitakinder mit einem relativ großen Elternnetzwerk ziemlich gut beurteilen. Und deshalb will ich hier und heute ganz deutlich sagen: So ein Einsatz ist alles andere als selbstverständlich und verdient unseren vollen Respekt und Anerkennung. Das allein reicht aber nicht: Die hier Beschäftigten verdienen vor allem auch unsere volle Unterstützung für ihren Arbeitsalltag in den Einrichtungen. 

Bitte nicht falsch verstehen. Ich sage damit ausdrücklich nicht, dass es von Seiten der Landespolitik keine Unterstützung für Kitabeschäftigte gab oder gibt. Mit Blick auf die Aus- und Weiterbildung aber auch auf die konkreten Arbeitsbedingungen wurde in den vergangenen Jahren durchaus was bewegt. Aber Fakt ist nun einmal, dass Menschen, die in der Kita arbeiten, hier im Schnitt nur 5 Jahre bleiben. Und Fakt ist auch, dass die Arbeitsbelastung viel zu oft viel zu hoch ist. Noch dazu müssen wir uns eins bewusst machen: Mit der Umsetzung der Kita-Reform, den Herausforderungen durch die Pandemie und mit der Integration geflüchteter Kinder wurden hier riesige Zusatzaufgaben geschultert. Gleichzeitig gibt es schon seit Jahren so gut wie kein freies Fachpersonal mehr in diesem Bereich. Da kann es aus Sicht des SSW kaum verwundern, dass das Kitasystem am Limit der Leistungsfähigkeit ist.

Ich will weder die umfassende Reform der Vorgängerregierung zerreden, noch will ich der jetzigen Regierung ihre guten Absichten absprechen. Aber wenn ich nicht nur meine persönliche Erfahrung zugrunde lege, sondern auch die wirklich alarmierenden Einschätzungen von Bildungsexperten und Gewerkschaften lese, frage ich mich vor allem eins: Ist das, was Land und Bund hier an Unterstützung organisieren, auch nur ansatzweise ausreichend, um die Qualität der Betreuung zu erhalten und unser Kitasystem dauerhaft zu stabilisieren? Namhafte Wissenschaftler aus Bereichen wie der frühkindlichen Bildung, der Kindheitspädagogik oder der Bildung und Erziehung warnen derzeit vor nicht weniger als dem Kollaps des Kitasystems. Sie sehen deutliche und vermehrte Anzeichen für eine starke Belastung dieses Bereichs. Und sie weisen darauf hin, dass es den pädagogischen Fachkräften, ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin: „trotz unermüdlicher Anstrengungen kaum mehr gelingt, ihre pädagogische Arbeit qualitätsgerecht zum Wohl der Kinder und ihrer Entwicklung auszuüben und dabei konstruktiv und vielfaltssensibel mit den Familien zusammenzuarbeiten.“ 

Ich muss ehrlich sagen, dass mich diese Worte sehr nachdenklich stimmen. Denn wir haben uns hier unzählige Male gegenseitig darauf hingewiesen, wie wichtig frühkindliche Bildung ist, welchen Beitrag sie zur Chancengerechtigkeit leisten kann und wie nachhaltig Investitionen in diesen Bereich sind. Doch offenbar muten wir nicht nur denjenigen, die hier tagtäglich ihren Einsatz bringen, viel zu viel zu, sondern wir nehmen auch in Kauf, dass Kitas aufgrund fehlender Ressourcen tendenziell zu Aufbewahrungsorten werden. Dabei sind wir uns doch eigentlich alle darüber einig, dass wir keine Entwicklung in eine solche Richtung wollen. Wir teilen doch die grundsätzlichen Ziele wie etwa den Wunsch nach einer Betreuung von möglichst hoher Qualität oder nach einer Entlastung des Kitapersonals. Aber die Realität vor Ort zeigt, dass wir ganz offensichtlich gut beraten sind, unseren Einsatz kritisch zu hinterfragen.

Ich denke, das sollte auch mit Blick auf die vorliegende Gesetzesänderung gelten. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer überaus kritischen Anhörung fragen wir uns, ob der Ansatz der helfenden Hände oder die geplante temporäre Sozialermäßigung wirklich weit genug gehen. Zum einen wird der hiermit verbundene Verwaltungsaufwand als enorm bewertet. Zum anderen wird von verschiedenen Seiten mit erheblichen Qualitätseinbußen gerechnet, um überhaupt noch eine flächendeckende Kinderbetreuung sicherstellen zu können. Wenn wir ehrlich sind, dann brauchen wir absehbar ganz andere Maßnahmen: Aus Sicht des SSW müssen wir deutlich mehr Ressourcen für unser Kitasystem aufbringen. Denn nicht nur die dringend nötigen attraktiveren Arbeitsbedingungen durch einen verbesserten Fachkraft-Kind-Schlüssel und die bessere Bezahlung der Kita-Beschäftigten kosten Geld. Auch eine echte Ausbildungsoffensive und eine Elternentlastung, die ihren Namen verdient, gibt es nicht zum Nulltarif. Aber hieran führt nun mal kein Weg vorbei. Und das ist mittlerweile hoffentlich allen klar.

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