Rede · Sybilla Nitsch · 21.02.2024 Eine flächendeckende Versorgung besteht nicht

„Wir erwarten eine klare Zielformulierung für eine Mobilitätsgarantie, 1-Stunden-Takt, Halbstunden-Takt, welche Zeiträume sind hier die grundlegenden Aspekte. Fehlt die Definition, kann der Weg nicht beschritten werden.“

Sybilla Nitsch zu TOP 10 - Mündlicher Bericht zum Konzept für die Umsetzung einer Mobilitätsgarantie für Schleswig-Holstein (Drs. 20/1709)

Im Februar des letzten Jahres waren sich die regierungstragenden Fraktionen hier im Haus noch sicher, dass die Landesregierung jeden Ort in Schleswig-Holstein rund um die Uhr an den ÖPNV anbinden könnte. Die Mobilitätsgarantie wurde in einem Antrag und in den Regierungsreden regelrecht herbeifabuliert. 
Inzwischen hat unter anderem der Winterfahrplan der Deutschen Bahn gezeigt, dass wir weiter weg von dieser Garantie gar nicht mehr sein könnten, sogar Nah.SH muss bei seinen Verspätungszahlungen bis zum nächsten Jahr erst einmal auf Pause drücken. Wer nach dem 1. Dezember eine verspätungsbedingte Rückzahlung beantragt, wird derzeit vertröstet. Doch zurück zur Mobilitätsgarantie: In Satrup wohnen und in Flensburg arbeiten? In den Reußenkögen wohnen und eine Nachbarin im Husumer Krankenhaus besuchen? In Goldelund wohnen und einen Vortrag von Nordfriisk Instituut besuchen? Alles das geht nur mit einem Auto, weil entsprechende Verbindungen mit Bus oder Rufbus nur selten fahren oder nur mit sehr langen Umsteige– und Wartezeiten. Und das, was fährt, ist nicht immer so komfortabel, wie wir es erwarten können. Wer schon einmal in Flensburg im Regen auf den Schienenersatzverkehr in Richtung Kiel und Eckernförde gewartet hat, macht das auch nur einmal. 
All dies deckt sich mit den Ergebnissen einer bundesweiten Untersuchung der „Allianz pro Schiene“ von 2022. Danach sind rund eine halbe Million Menschen in Schleswig-Holstein vom Nahverkehr komplett abgekoppelt. Hiervon betroffen sind insbesondere die nördlichen Landkreise. Demnach schneiden die Kreise Nordfriesland und Schleswig-Flensburg im Erreichbarkeitsranking landesweit am schlechtesten ab. Mit den in der Erhebung zugrunde gelegten Parametern – höchstens 600 Meter von der nächsten Halstestelle oder maximal 1.200 Meter vom nächsten Bahnhof mit mindestens 28 Fahrtmöglichkeiten am Tag entfernt – liegt die Erreichbarkeit in den beiden Landkreisen bei gerade mal 50%. Der nördliche Landesteil kommt hier einfach zu kurz. 
Von einer Mobilitätsgarantie in Schleswig-Holstein sind wir also noch sehr weit entfernt. 
Im ländlichen Raum gibt es Verbesserungen; aber diese vor allem Bereich der Rufbusse. Dieser gute und zuverlässige Service muss in Nordfriesland 90 Minuten vorher angemeldet werden, was sicherlich eher abschreckend als einladend ist. Der Liniendienst beschränkt sich auf den Schülerverkehr – und das meist auch nur, wenn keine Schulferien sind. Bushaltestellen mit fast leeren Fahrplänen stellen in Schleswig-Holstein leider die Mehrheit. 
Wir haben die paradoxe Situation, dass das Deutschland-Ticket Familien erstmals eine umfassende Mobilität ermöglicht, sie diese aber in Schleswig-Holstein gar nicht umsetzen können. 
Diese Strukturen haben dramatische Folgen: nur jeder zehnte Pendler nutzt in Schleswig-Holstein den ÖPNV. Familien müssen daher ein Auto haben und leiden besonders unter den hohen Treibstoffpreisen.
Das alles weiß der Minister natürlich. Er reist von einer Baustelle zur nächsten, um zumindest die schlimmsten Probleme zu beseitigen, ob in Lübeck, Niebüll oder ins Hamburger Umland. Er appelliert an Betreiber oder verhängt Strafzahlungen. 
So versprach er der Schlei-Region ein Rundum-Sorglos-Paket. Touristinnen und Touristen sowie Einheimische sollen zukünftig per App rund um die Uhr auch ohne Auto mobil sein können. Ich bin gespannt auf die Auswertung des Modell-Versuches. Aber, Spoiler-Alarm, ich denke, dass auch in der Schlei-Region das eigene Auto für viele Strecken die einzige Möglichkeit ist, von A nach B zu kommen.
Wir erwarten eine klare Zielformulierung für eine Mobilitätsgarantie, 1-Stunden-Takt, Halbstunden-Takt, welche Zeiträume sind hier die grundlegenden Aspekte. Fehlt die Definition, kann der Weg nicht beschritten werden.
Denn eine flächendeckende Versorgung besteht nicht – und ist auch in Zukunft kaum absehbar. Gleichwohl erwarten die Bürgerinnen und Bürger zu Recht ein besseres und verlässliches Angebot. Für Schleswig-Holstein und gerade für den nördlichen Landesteil ist das eine Herkulesaufgabe, der wir uns stellen müssen. Wir benötigen einen Ausbauplan, der die bestehende Verkehrsströme und deren Verflechtungen berücksichtigt. 

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