Rede · Flemming Meyer · 18.06.2010 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kindertagesstättengesetzes

Wir alle wissen, dass der Bereich der frühkindlichen Förderung von der Politik viel zu lange vernachlässigt worden ist. Anstatt in dieses enorm wichtige Zukunftsfeld zu investieren, wurden die Standards immer weiter verschlechtert, die Elternbeteiligungen stiegen und Ansätze zur dringend notwendigen Qualifizierung des Personals wurden nicht konsequent verfolgt. Deshalb unterstützt der SSW selbstverständlich alle Vorhaben, die dazu dienen, die pädagogische Förderung von Kindern zu verbessern. Allein schon der Blick auf die günstigeren Bedingungen und guten Ergebnisse der frühkindlichen Förderung in Dänemark, lässt unserer Meinung nach keinen Zweifel an der Wichtigkeit solcher Maßnahmen.

Wer die gestrige Ausschusssitzung zur Änderung des Kitagesetzes verfolgt hat, hat aber mit größter Wahrscheinlichkeit den Eindruck gewonnen, dass die frühkindliche Bildung bei den Regierungsfraktionen keine besonders hohe Priorität genießt. Die Abschaffung des beitragsfreien Kitajahres soll einfach im Hau-Ruck-Verfahren durchgepeitscht werden, was unsere Fraktion bei diesem so wichtigen Thema ganz einfach nur beschämend findet. Ein ordentliches parlamentarisches Verfahren findet hier definitiv nicht statt. Es kann weder von ausreichender Beratungszeit noch von einer annähernd zufrieden stellenden Informationsgrundlage die Rede sein. Diese Gesetzesänderung birgt aber viel zu viele ungeklärte Fragen und nicht absehbare Konsequenzen, als dass sie einfach im Vorbeigehen durchgedrückt werden dürfte.

Wenn durch die gestrige Ausschusssitzung etwas klar geworden ist, dann ist es die Tatsache, dass es in diesem Zusammenhang schlicht und einfach viel zu viele offene Fragen gibt. Diese müssen aus Sicht des SSW erst einmal geklärt werden, bevor hier eine Entscheidung getroffen werden kann. Als neues Mitglied des Landtags kann ich meine Verwunderung und Enttäuschung über die Art und Weise, wie mit diesem Thema umgegangen wird, nicht verbergen. In dieser Angelegenheit wäre es meiner Meinung nach das Mindeste, die Betroffenen im Rahmen einer Anhörung einzubeziehen. Dies wird doch auch in vielen anderen Fällen, die weit weniger komplex sind, ganz selbstverständlich so gemacht.

Diese indiskutable Vorgehensweise der Regierungsfraktionen liegt natürlich darin begründet, dass die ersatzlose Streichung des beitragsfreien Kindergartenjahres auf der sozial unausgewogenen und intransparent erarbeiteten Sparliste der Regierung steht. Als Begründung hierfür wird nur genannt, das sich das Land die Kosten von rund 35 Millionen Euro jährlich einfach nicht mehr leisten kann. Trösten soll die direkt Betroffenen anscheinend die Erhöhung der Zuschüsse für die laufenden Betriebskosten der Kindertagesstätten.

Die Standards bei Personal und Gruppengröße werden, so jedenfalls der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung, durch die Aufstockung um 10 Millionen Euro gesichert. Dass die Erfüllung des Bildungsauftrags so ganz einfach nicht gelingen kann weil sich die Einrichtungen und Fachkräfte an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit befinden, wird durch die Verantwortlichen leider völlig ignoriert. Genau wie die Tatsache, dass die Erhöhung des seit 2004 festgefrorenen Betriebskostenzuschusses längst überfällig war, und im Grunde nicht mehr ist, als eine neue Deckelung zur Angleichung an die Kostenentwicklung der vergangenen Jahre. Für den SSW steht aber fest, dass hier eine Dynamisierung dringend notwendig wäre.

Auch ohne Anhörung muss uns klar sein, dass die ersatzlose Streichung des beitragsfreien Kindergartenjahres selbstverständlich unmittelbare negative Auswirkungen auf die Kinder und ihre Eltern hat. Sie müssen in Zukunft tiefer in die Tasche greifen, um diese unsinnige Sparmaßnahme der Regierung zu finanzieren. Oder aber, sie verzichten auf dieses wichtige Angebot und nehmen eine Benachteiligung ihrer Kinder in Kauf. Wir alle wissen aber, dass es leider gerade die Kinder der Geringverdienenden und der Hartz-4-Empfänger sind, die durch diese Entscheidung besonders hart getroffen werden. Vor dem Hintergrund einer uneinheitlichen Sozialstaffel, in der die Kosten für die Betreuung letztlich von der Postleitzahl abhängen, sehen manche Eltern kaum eine Möglichkeit, ihre Kinder in einer Kita zu belassen. Eine Entwicklung mit solchen Konsequenzen ist aus Sicht des SSW untragbar. Wir sind der Auffassung, dass frühkindliche Bildung kein Luxus ist, der vom Geldbeutel der Eltern abhängen darf, sondern ganz einfach eine bildungs- und sozialpolitische Notwendigkeit.

Gerade für die privaten Träger ergeben sich aus der Entscheidung der Landesregierung sehr ernste Probleme. Sie bemerken schon jetzt eine große Unruhe und Veränderungen im Anmeldeverhalten der verunsicherten Eltern. Die Kinder werden erst zum 2. oder 3. Kitajahr an- oder im Extremfall sogar abgemeldet. Nähere Zahlen hierzu existieren natürlich noch nicht – und sie erscheinen den regierungstragenden Fraktionen für eine Entscheidung offensichtlich auch nicht notwendig. Vor allem sind aber die erforderlichen Änderungen in den Einrichtungssatzungen bis zum 1. August ganz einfach nicht zu bewältigen. Die Behauptung, wir müssten gerade wegen dieses engen Zeitraums die Änderung des Kindertagesstättengesetzes in einer einzigen Sitzung in 1. und 2. Lesung behandeln, wirkt auf viele daher einfach ignorant. Eins muss ich deshalb deutlich sagen: Die Abschaffung des beitragsfreien Kita-Jahres bereits zum August dieses Jahres hat zur Folge, dass in vielen Fällen kaum gegengesteuert bzw. die Finanzierungsgrundlage geändert werden kann. Dass das ganze Thema nun im Schnellverfahren abgehandelt werden soll, ändert an dieser Tatsache überhaupt nichts.

Uns allen sollte klar sein, welche enorme Bedeutung die Arbeit der Fachkräfte in den Einrichtungen der frühkindlichen Bildung für unseren Nachwuchs hat. Durch ihre wertvolle Betreuungsarbeit werden die Kinder für die Schule vorbereitet und in der Entwicklung ihres Sozialverhaltens unterstützt. Gespräche mit Fachkräften und Trägern zeigen leider immer wieder, dass die Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen und Erzieher nicht besonders gut sind. Die Träger sprechen deshalb auch von einem handfesten Rekrutierungsproblem. Doch anstatt Anreize zu geben, damit endlich mehr Menschen eine Arbeit als Fachkraft in einer Kita aufnehmen, wird die Attraktivität dieses Berufs noch verringert. Der Umgang mit diesem Thema und damit auch mit den betroffenen Fachkräften zeigt jedenfalls keine Wertschätzung für ihre Arbeit.

Die anspruchsvolle und völlig richtige Versorgungsquote für Kinder in frühkindlichen Betreuungseinrichtungen erfordert aber die Einstellung von rund 3000 zusätzlichen Fachkräften. Nicht zuletzt durch den erweiterten Bildungsauftrag kommt den Einrichtungen und Mitarbeitern in der frühkindlichen Förderung die wichtige Aufgabe zu, die Kinder in ihren Stärken zu unterstützen und ihre Schwächen auszugleichen. Das beitragsfreie Jahr hat dafür gesorgt, dass jedes Kind zumindest für die Dauer dieses einen Jahres in den Genuss dieser wichtigen Förderung kam.

In seiner Regierungserklärung zum Auftakt dieser Landtagssitzung behauptete der Ministerpräsident, dass die frühkindliche Bildung unter der Führung von CDU und FDP gestärkt wird. Vor dem Hintergrund dieser Debatte fällt es mir persönlich aber sehr schwer, dies nachzuvollziehen. Es ist ein Armutszeugnis für uns alle hier, wenn es nicht gelingt, die Bedingungen in diesem Bereich entscheidend zu verbessern. Hier geht es um nicht weniger, als die Sicherung der Zukunft unseres Landes. Eine Stärkung der frühkindlichen Bildung lässt sich in der Abschaffung des beitragsfreien Jahres aus Sicht des SSW jedenfalls nicht erkennen.

Für eine Verbesserung wäre vielmehr das Gegenteil notwendig: Das Angebot müsste dringend erweitert werden damit der Zugang zu den Einrichtungen unabhängig von der finanziellen Situation der Eltern möglich wird. Stattdessen soll hier eine Gesetzesänderung durchgepeitscht werden, die einen empfindlichen Eingriff in das fragile Finanzierungssystem einer Kita darstellt. So viel – und nicht viel mehr – ist zu diesem Zeitpunkt sicher.

Wenn es denn auch nicht gelingt, die Abschaffung des beitragsfreien Jahres zu verhindern, sollten wir im Sinne der Planungssicherheit der Träger zumindest dafür sorgen, dass die Streichung erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen wird. Wir haben ja gestern gehört, dass die Regierung, wenn es um die Erhöhung der Einnahmen durch die Grunderwerbsteuer geht, durchaus warten kann. Dann müsste es in diesem Fall doch auch möglich sein.

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