Rede · Flemming Meyer · 22.02.2006 Familienförderung weiterentwickeln

Ich bin davon überzeugt, dass eigentlich in Sachen Familienpolitik schon alles gesagt worden ist: gute und solide Analysen füllen inzwischen ganze Bücherwände, die meisten davon ausgesprochen klug und fundiert. Es sind vor allem drei Befunde, die uns zum Handeln zwingen: Erstens gibt es in Deutschland zu wenig Nachwuchs, weil viele Frauen und Männer befürchten, dass unsere Gesellschaft sie zu wenig in der Elternschaft unterstützt. Zweitens liegt die Erwerbstätigkeit von Frauen in der Bundesrepublik europaweit unter dem Durchschnitt und die Karrieremöglichkeiten für Frauen sind in Deutschland immer noch schlechter als die von Männern. Drittens sind die Chancen für Kinder in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie aus sozial schwachen Familien kommen, ausgesprochen schlecht.

Das alles hat der SSW schon seit Jahren kritisiert und gefordert, die Familien durch differenzierte institutionelle Angebote zu unterstützen. Von daher unterstützen wir den Antrag der Grünen, fordert er doch die Umsteuerung weg von individueller Förderung hin zu mehr Dienstleistungen durch den Staat. Skandinavien macht das vor und die Rahmendaten: hohe Frauenerwerbsquote und gleichzeitig hohe Geburtenrate zeigen, dass die Maßnahmen richtig sind.

Zurzeit scheinen diejenigen, die eine Individualförderung a là katholischer Soziallehre umsetzen wollen, in der schwarz-roten Regierung den Ton anzugeben. Wie sonst wäre ein Gesetz zu erklären, das mit großem Brimborium vorgestellt wird, von dem aber schätzungsweise nur jede zweite Familie profitieren wird: das Gesetz zur Anrechenbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Warum nur die Hälfte? Ganz einfach: die meisten Menschen verdienen einfach zu wenig, um irgendwelche Belastungen steuerlich geltend machen zu können oder sie können es sich gar nicht leisten, in Vorleistung zu gehen. Einmal ganz abgesehen davon, dass Experten schätzen, dass das deutsche Steuerrecht sowieso schon das komplizierte auf der ganzen Welt ist. Sie gehen davon aus, dass 50-70% der global publizierten Steuerliteratur inzwischen aus Deutschland kommen. Nun wird es sicherlich noch ein paar Ratgeber mehr geben, die Familien den Weg durch den Steuerdschungel weisen wollen.

So ein Gesetz ist der falsche Weg: er ändert nur wenig an der Benachteiligung von Familien und wird sicherlich keine einzige Frau oder Mann von der Familiengründung überzeugen. Die Grünen nennen in ihrem Antrag ein anderes Überbleibsel einer falschen, einseitig monetär ausgerichteten Politik: das Ehegattensplitting. In Skandinavien übrigens undenkbar, dass die Frauen via Steuerrecht übervorteilt werden. Denn die aktuellen Vorteile der niedrigen Steuerklasse wirken sich im Alter zu einem handfesten Nachteil aus: schließlich werden die Sozialbeiträge nach dem künstlich niedrig gerechneten Einkommen berechnet. Das Ehegattensplitting fördert darüber hinaus ganz klar die Ein-Verdiener-Ehe und boykottiert Bemühungen um ökonomische Selbständigkeit beider Partner. Die Liste der Nachteile des Ehegattensplittings ließe sich fortsetzen. Unter anderem die Tatsache, dass 90% der Mittel aus dem Ehegattensplitting westdeutschen Paaren zufließen, aber nur 10% an ostdeutsche Paare ausgezahlt werden, zeigt die soziale Schieflage dieses Modells.

Ehegattensplitting hat im Übrigen genau besehen nichts mit einer Familie zu tun, denn nach meinem Dafürhalten gehören zu einer Familie unbedingt Kinder. Menschen sollen sich lebenslang verbinden, meinetwegen auch auf Zeit. Eine besondere Pflicht für den Staat erwächst aber erst aus der Tatsache der Kinderbetreuung. Dabei spielt es keine Rolle, ob es eigene, Pflege- oder adoptierte Kinder sind. Ungefähr 22 Mrd. Euro kostet ein Steuermodell, das Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen belohnt. Der SSW fordert schon seit Jahren, dieses Geld besser für die Dienstleistungen für Familien einzusetzen und nur noch die Kinder und damit die Familie zu fördern und nicht die Ehe.

In dem vorliegenden Antrag soll das Geld in die Einführung des kostenlosen Kindertagesstättenjahres für fünfjährige Kinder fließen. Ich muss sagen, dass ich mit der einseitigen Bindung der Mittel Probleme habe, denn zumindest die Familien mit Kindern dürfen nicht durch die Streichung des Ehegattensplitting benachteiligt werden. Deshalb stellt sich die Frage, ob die Mittel aus dem Ehegattensplitting überhaupt ausreichend für das flächendeckende Angebot sind und welchen pädagogischen Anspruch wir an das letzte Kindergartenjahr haben.

Die Grünen legen besonderen Wert auf das letzte Kindergartenjahr, das kostenlos angeboten werden soll. Aber bitte nur mit entsprechendem Konzept. In den Einrichtungen des dänischen Schulvereins wird parallel zu Einrichtungen in Dänemark das letzte Kindergartenjahr als Vorschule genutzt: die Kinder bereiten sich auf die Schule vor, lernen Zahlen und turnen auch schon einmal in der Schulturnhalle. Alles das erleichtert den Übergang in die Schule, gibt aber auch den Pädagogen im Kindergarten die Möglichkeit, die Schulfähigkeit der Kinder kompetent über einen längeren Zeitraum zu beurteilen und positiv zu beeinflussen. Eventuelle Probleme, auch und gerade im sozialen und sprachlichen Bereich, können gezielt angegangen werden. Alles das spricht für den Besuch des Kindergartens im letzten Jahr vor der Schule. Bedeutet das aber auch, dass es kostenlos sein sollte?

Ich habe mich einmal schlau gemacht: 10% Selbstbehalt fordern die Kitas von Hartz-IV-Empfängern, wenn sie ihren Sohn oder ihre Tochter in den Kindergarten schicken wollen. In Flensburg beträgt der Mindestsatz 13 Euro im Monat für einen Halbtagsplatz. Ich wollte die Summe nur einmal nennen, um hier auch die Relationen richtig zu stellen. Ich kann mir eigentlich kaum vorstellen, dass diese 13 Euro Eltern von einer Anmeldung ihrer Kinder abhalten. Genau weiß ich das nicht. Erst einmal muss untersucht werden, welche Gründe immerhin fast jede sechste Familie hat, ihre Kinder in keinem Kindergarten anzumelden.

Es liegen keine genauen Zahlen und Konzepte vor und deswegen können wir eigentlich noch nicht die Schlüsse ziehen, die im Antrag schon gezogen werden. Das muss nachgeholt werden.
Wo wirklich Bedarf ist, sind die so genannten Kinderkrippen. In Husum ist ein entsprechendes Projekt nach langem Vorlauf gescheitert. In Nordfriesland war es das dann schon von öffentlicher Seite - bis auf eine Ausnahme auf Sylt. Private Betreuungslösungen in Familie oder Nachbarschaft sind die einzige Möglichkeit für Frauen und Männer mit kleinen Kindern. In größeren Städten sieht es in Schleswig-Holstein kaum besser aus. Hier muss sich bald etwas ändern. Und ich hoffe, dass wir dazu auch bald einen gangbaren Weg finden.

Wir müssen also schnellstens umsteuern. Der Ausstieg aus dem komplizierten deutschen Steuerrecht ist überfällig. Das Instrument der Familienförderung via Steuerrecht ist am Ende! Es ist ungerecht, weil die Großverdiener erheblich mehr profitieren als die Kleinverdiener. Letztlich belohnt es lediglich diejenigen, die genug Verständnis und Beharrlichkeit für ein unübersichtliches System aufbringen oder sich einfach einen guten Steuerberater leisten können. Dabei garantiert das System keineswegs, dass wirklich bedürftige Familien angemessen finanziell unterstützt bzw. entlastet werden.

Der SSW setzt sich stattdessen für eine breitflächige Verbesserung der Kinderbetreuung ein. Bis heute kann sich jede Frau in den neuen Bundesländern darauf verlassen, dass sich in ihrer Nähe eine Ganztags-Kita findet, wenn sie eine braucht. Genau diese Sicherheit fehlt bei uns und daran werden weder Elterngeld noch Steuersparmodelle etwas ändern. Nur jedes zehnte Kind in Deutschland, das jünger als drei Jahre alt ist, wird in einer Krippe betreut. Kosten für eine Tagesmutter liegen je nach eigener Stundenzahl zwischen 200 und 500 Euro im Monat, wenn man ca. 3 Euro pro Stunde rechnet. Das kann sich kein Kleinverdiener leisten.
Also: wir brauchen Plätze für Kinder!

Familienförderung bedarf nicht der Weiterentwicklung, sondern der Umsteuerung. Weg mit individuellen Lösungen, die lange Antragsverfahren nach sich ziehen und die Reichen begünstigen. Statt dessen eine leistungsfähige Dienstleistungsstruktur für Kinder und Eltern: flächendeckend und kompetent. Dann profitieren diejenigen, die Förderung bedürfen mehr als jetzt. Und das wäre dann gerecht.

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