Rede · Flemming Meyer · 14.09.2006 Flensburg als Testregion für die Einführung einer Gesundheitskarte

Seitdem die Gesundheitskarte vor der Sommerpause von der Tagesordnung des Landtags gestrichen wurde, hat sich einiges geändert. So sagen stets gut informierte Beobachter in Berlin, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die Gesundheitskarte zur Chefsache erklärt hat. Die Kanzlerin wolle sich am 18. September mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und Kassenvertretern treffen, um die bisher schleppende Einführung der Karte zu beschleunigen.

Hintergrund sind technische Probleme, die vor allem aus Ingolstadt immer wieder zu hören sind. Das bayerische Sozialministerium, in dessen Bereich erste Feldversuche in Ingolstadt fallen, hatte eigenen Angaben zufolge den Beginn der Feldversuche mehrfach bei der verantwortlichen Berliner Firma Gematic eingefordert. Dagegen ist die Entscheidung für Bochum-Essen wohl gefallen. Letzte Woche meldete die Deutsche Presseagentur den Start in Nordrhein-Westfalen für den kommenden Winter. Dann erhalten zunächst 10.000, später 100.000 Versicherte die neuen Karten.

Die Einführung der Karte in Deutschland soll Einsparungen zwischen 500 und 900 Mio. Euro jährlich bringen. Zunächst kostet das Projekt aber erst einmal Geld. Die Gesundheitskarte ist eines der größten IT-Projekte, wenn nicht das größte überhaupt, das jemals in Deutschland geplant wurde. Denn schließlich sollen 70 Millionen Versicherte, 2.000 Krankenhäuser, über 300.000 Ärzte und 20.000 Apotheken miteinander vernetzt werden. Jede Hast ist hier unangebracht und verursacht unnötige Mehrkosten. Die Vorgänge bei die Einführung der LKW-Maut sollten uns eine Warnung sein.

Das 1,4 Milliarden-Euro-Projekt jetzt mittels Chefgesprächen in Gang bringen zu wollen, ist kein gutes Zeichen. Warten wir ab, was nächsten Montag am Verhandlungstisch herauskommt. Wie bei der Großen Koalition üblich, werden sicherlich die Versicherten am Ende mit einem etwas größeren Obolus als ursprünglich gedacht, belastet werden.

Dabei war die Gesundheitskarte so viel versprechend gestartet. Ganz klammheimlich hat sich hoch im Norden eine neue Struktur etabliert. Maßgeblich vorangetrieben vom Ärztlichen Direktor der Diakonissenanstalt, Dr. Ulrich Schroeder, haben sich in Flensburg Ärzte, Krankenhäuser und Apotheker zusammengeschlossen. In Deutschland hat die Abschottung des ambulanten vom stationären System zu Doppeluntersuchungen und teilweise widersprechenden Medikationen unbekannten Ausmaßes geführt. Keiner weiß genau, wie viel Geld dabei zum Fenster herausgeschmissen wird.

In einem vergleichsweise übersichtlichen Raum wie Flensburg war allen Beteiligten klar, dass man Abhilfe schaffen könnte, indem erhobene Daten für alle verfügbar werden. Der gläserne Patient kam dabei keinem der Beteiligten in den Sinn. Es ging und geht um höhere Behandlungsqualität, um mehr Effizienz im Gesundheitswesen und um die Stärkung der Patientenrechte. Grundsätzlich lassen sich diese Ziele mit einer über die Gesundheitskarte verbesserten elektronischen Kommunikation zwischen den Beteiligten erreichen. Das bescheinigte auch Schleswig-Holsteins oberster Datenschützer Thilo Weichert dem Flensburger Projekt in der Zeitung „Datenschutz und Datensicherheit“.

Die Übermittlung von Röntgendaten von Sylt nach Flensburg hat sich zum Beispiel bewährt, weil es den Patienten lange Wege spart. Niemand möchte mit Schmerzen zum passenden Spezialisten gefahren werden, wenn sein eigener Arzt auch vor Ort die Untersuchung durchführen kann und diese Daten dann weitergeleitet werden. Die Gesundheitskarte wurde in Flensburg ausgiebig getestet, die einbezogenen Patienten werden vor Zusendung der Karte telefonisch um ihr Einverständnis gebeten. Das Prinzip der Freiwilligkeit sollte auch bei der geplanten bundesweiten Einführung der Karte nicht aufgegeben werden.

Der Erfolg der Gesundheitskarte steht und fällt mit dem Vertrauen, das ihr entgegengebracht wird. Die Patienten in Flensburg haben gezeigt, dass sie bereit sind, sich auf neue Strukturen einzulassen. Die Patienten wollen die Vorteile der elektronischen Kommunikation nutzen. Viele von ihnen sind viel weiter, als wir es ihnen zutrauen.

Ich warne aber davor, die Gesundheitskarte vor allem als Instrument der Kostendämpfung zu verstehen und einzusetzen. Das Vertrauen, das derzeit der Karte entgegengebracht wird und nicht unwesentlich zu ihrem derzeitigen Erfolg beiträgt, ist in Nullkommanichts verspielt, wenn die Patienten sich überwacht fühlen. Es geht hier vielmehr um die best mögliche medizinische Versorgung.

Die Gesundheitskarte zeigt in die richtige Richtung: die Vernetzung im Gesundheitswesen. Dank des Modellversuchs in Flensburg sind wir schon weiter als andere – das sollten wir nutzen. Das sehen übrigens auch die Krankenkassen und deren Versicherte in Schleswig-Holstein so.


 

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