Rede · Flemming Meyer · 11.03.2004 Förderung der Lesekultur von Kindern und Jugendlichen

Die PISA-Studie gehört nunmehr seit zwei Jahren zum festen Inventar jedweder Bildungsdebatte. Doch, wer sich die Mühe macht, nachzulesen, was hier im Hause bisher zum Thema PISA gesagt wurde, wird eingestehen müssen, dass wir uns nur am Rande – eigentlich nur in der ersten Grundsatzdebatte zu PISA – mit dem Lernumfeld von Kindern und Jugendlichen befasst haben. Auf die Kulturtechnik des Lesens bezogen heißt dies, dass es höchste Zeit ist, breiter anzusetzen und den Blick nicht auf die Schule zu verengen.

Schule allein kann das Bild der PISA-Studie nicht ändern. Denn beim Vergleich der OECD-Länder zeigt sich, dass der Anteil der 15-Jähringen, die angeben, überhaupt nicht zum Vergnügen zu lesen, in Deutschland bei 42% liegt und von keinem anderen Land übertroffen wird. Eine andere Statistik weist in die gleiche Richtung. Laut PISA kreuzten 54,5 % der Jungen die Aussage an: „Ich lese nicht zum Vergnügen“; bei den Mädchen waren es 29,1%. Aus anderen Studien wissen wir, dass sich Jungen und Mädchen im Grundschulalter im Hinblick auf ihr Interesse am Lesen noch nicht bedeutsam unterscheiden. Und wir wissen, dass die allermeisten Kinder am Anfang ihrer Schulkarriere Lust auf Lesen haben. Wann und durch was das Interesse am Lesen verloren geht, ist meines Wissens bisher noch nicht untersucht worden.

Durch PISA wissen wir aber, das die soziale Herkunft vor allem bei der Lesekompetenz eine zentrale Rolle spiel. Die Unterschiede gehen von oben nach unten weit auseinander und verfestigen sich in den weiterführenden Schulen. Diese wiederum schaffen es nicht, die Schwächen auszugleichen. Bei den Lesetests weichen die Leistungen der Jugendlichen aus Arbeiterfamilien um über 100 Punkte von denen aus der oberen Gesellschaftsschicht ab. Es ist die höchste Abweichung innerhalb dieser OECD-Studie.

Wir brauchen also eine „konzertierte Aktion“ für die Leseförderung. Das heißt, dass sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammentun müssen, um ihrer gemeinsamen Verantwortung gerecht zu werden. Und was es gilt, zielgerechter zu fördern, ist in erster Linie das Lesen außerhalb der Schule. Dabei verkenne ich gar nicht, dass u.a. die Stiftung Lesen seit Jahren hervorragende Kampagnen fährt und als Kooperationspartner immer wieder von sich reden macht.

Angesagt ist also Leselust statt Lesefrust. Doch was sich so einfach anhört, erfordert nicht nur ein Engagement im Sinne der Stiftung Lesen, sondern auch den Einsatz gesellschaftlicher Ressourcen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist der von einer Bund-Länder-Kommission erarbeitete Aktionsrahmen zur Förderung der Lesekultur.

Seit PISA wissen wir, dass der Bildungsauftrag der Kindergärten genauso wichtig ist wie der unserer Schulen – oder anders formuliert: Heute erhalten wir die Rechnung dafür, dass die Bundesrepublik diesen Bereich über Jahrzehnte vernachlässigt hat. Die andere Seite dieses Problems ist die Tatsache, dass es zunehmend mehr Elternhäuser gibt, in denen die Eltern viel zu wenig erzählen. Aus ganz vielen Untersuchungen wissen wir nämlich, dass das Vorbild der Eltern kaum zu ersetzen ist. Da wir die gesellschaftliche Entwicklung nicht zurückdrehen können, muss die Arbeit der Kindergärten gestärkt werden. Konkret heißt das, dass der ganze Bereich „Lesen“ einen höheren Stellenwert in der Ausbildung von Pädagogen und ErzieherInnen erhalten sollte.

Bundesweit haben höchstens 20 % der Schulen eigene Bibliotheken. Laut Schleswig-Holsteinischer Büchereiverein gibt es in ganz Schleswig-Holstein eine hauptamtliche Schulbibliothek und 10 kombinierte Schul- und öffentliche Bibliotheken. Hinzu kommt eine ganze Reihe von kreativen Lösungen, um Schulen mit Büchern für das außerschulische Lesen zu versorgen. Rund 140 kleinere Schulen erhalten z.B. zweimal im Jahr „Bücherkisten“ oder Blockbestände zur Verfügung gestellt.

Das alles ist aber nicht besonders zukunftsweisend. Gefragt ist eine verstärkte Zusammenarbeit von Schulen, Kindergärten und Bibliotheken. Darauf verweist zu Recht der Bibliothekenentwicklungsplan Schleswig-Holstein 2003 - 2008.

Aber es gibt auch die andere Seite der Medaille, und die heißt in diesem Fall, dass immer mehr Städte und Gemeinden die Bibliotheken im Stich lassen. Öffnungszeiten werden reduziert und Gemeinden ziehen sich aus der Förderung der Fahrbüchereien zurück. So also sieht die Wirklichkeit aus. Da macht es keinen Unterschied, dass die Arbeit der Bibliotheken als Staatszielbestimmung in der Landesverfassung steht.

Seit PISA macht ein neuer Spruch die Runde, und der ist ziemlich erschreckend: Deutschland leidet an Bildungsarmut. Bildung fängt bei der Lesekompetenz an. Wenn unsere Kinder nicht lesen können, dann können wir auch nicht von ihnen verlangen, dass sie internationalen Bildungsstandards gerecht werden.

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