Rede · Flemming Meyer · 28.08.1997 Hochbegabtenförderung

Wir beschäftigen uns heute nicht zum ersten Mal mit besonders begabten Kindern und Jugendlichen. In der letzten Wahlperiode wurde eine Anhörung durchgeführt, in der auch betroffene Eltern zu Wort kamen, die oftmals in Vereinen zusammengefunden haben.

Weil wir uns bereits häufiger mit den Problemen hochbegabter Kinder befaßt haben, dürfte die grundsätzliche Haltung des SSW hierzu bekannt sein, die sich in zwei Aussagen zusammenfassen läßt:
1. Der SSW ist gegen eine zusätzliche Herabstufung des Einschulungsalters.
2. Der SSW befürwortet die Alternative, Schüler Klassen überspringen zu lassen.

Heute möchte die CDU-Fraktion sowohl die Herabstufung des Einschulungsalters als auch das leichtere Überspringen von Klassenstufen erreichen. Das Erleichtern des Überspringens von Klassen kann durch Zustimmung zu dem entsprechenden Antrag gewährleistet werden, weil es dazu lediglich der Modifizierung der Grundschulordnung bedarf. Die Senkung des Einschulungsalters erfordert demgegenüber eine Änderung des Schulgesetzes.


Gleichzeitig liegt uns der Bericht der Landesregierung über das Konzept zur Förderung von besonders begabten Kindern und Jugendlichen vor. Auf diesen Bericht möchte ich als erstes näher eingehen.

Der SSW hat seinerzeit die Erstellung dieses Berichts befürwortet. Wir waren daran interessiert, ob und gegebenenfalls was von wem für Hochbegabte getan wird. Wir wollten dadurch einen Ausgangspunkt zur Anstellung weiterer Überlegungen erhalten. Das hat sich erübrigt, weil damals gleichzeitig ein Konzept zur Förderung besonders Begabter beschlossen wurde.

Im Bericht heißt es, daß Kinder und Jugendliche durch Verkennung besonderer Begabungen, falsche Erziehungsansätze und fehlerhaftes pädagogisches Einwirken vereinsamen und psychische Fehlentwicklungen erleiden können. Auslösend für ihre Entwicklung zu Schulversagern sei häufig eine starke Unterforderung. Dies entspricht den Ausführungen, die anläßlich der damaligen Anhörungen von mehreren Seiten gemacht wurden.

Der Bericht geht jedoch auch davon aus, daß bis zu 50 % der Kinder und Jugendlichen mit besonderen Begabungen unerkannt geblieben seien - ihren Bildungsgang aber ohne Probleme durchlaufen hätten.

Künftig soll das Erkennen besonderer Begabungen möglichst frühzeitig, nämlich vor dem Wechsel in weiterführende Schulen erfolgen. Ein Lehrbaustein in der Ausbildung aller Erzieherinnen und Erzieher sowie der Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen sollen unter anderem dazu beitragen, dies zu gewährleisten.

Zur Förderung besonders begabter Kinder und Jugendlicher sieht das Konzept zwei Strategien vor. Eine Möglichkeit sollen binnendifferenzierende Maßnahmen bei Verbleiben in der jeweiligen Klassenstufe - gegebenenfalls mit Anreicherung des Unterrichtsangebotes darstellen. Nach dem Bericht kann besonders begabten Schülern in der Regel auch beim Verbleiben in der Klassengemeinschaft Rechnung getragen werden. Die zweite Möglichkeit soll im beschleunigten Durchlaufen des Bildungsganges bestehen. Hinsichtlich dieses Überspringens von Klassen verweist der Bericht auf Ergebnisse wissenschaftlich begleiteter Projekte. Danach verkürzen zu wenige Kinder in der Grundschule und Schüler der Eingangsphase der weiterführenden Schulen ihren Bildungsweg durch Springen. Eine Herabsetzung des Einschulungsalters sieht der Bericht demgegenüber nicht vor.

Sofern dem Gedanken, die Klassenstufen 1 und 2 in der Grundschule gemeinsam zu unterrichten, landesweit Rechnung getragen werden würde, würde man den besonders begabten Kindern einen Gefallen tun. Das Überspringen der Klassenstufe 1 würde sich insofern erübrigen, als diese Schüler von dort direkt in die 3. Grundschulklasse wechseln könnten. Insgesamt wäre eine flexiblere Gestaltung der Grundschulphase wünschenswert. Wenn die Kinder sich einfacher hin- und herbewegen könnten, wäre dies auch für die Kinder von Vorteil, die zurückgestuft werden. Die Zurückstufung wäre dann nicht gleichbedeutend mit einem Gesichtsverlust.

Wir alle haben gelernt, daß es sich bei den besonders begabten Kindern um eine Minderheit von etwa 2 - 3 % handelt. Erhalten sie Herausforderungen nicht, dann ist zu befürchten, daß sie sich in sich selbst zurückziehen und Desinteresse zeigen. Das bedeutet aber, daß besonders begabte Schülerinnen und Schüler im Grunde ein erhöhtes Bedürfnis nach individueller Zuwendung haben. Eine solche Zuwendung erhalten sie aber nicht durch frühere Einschulung. Sie erhalten sie letztlich auch nicht durch das Überspringen von Klassen.

Wie Sie alle wissen, setzt sich der SSW seit jeher für eine ungeteilte Schule ein. Das hat damit zu tun, daß die Schule aus der Sicht des SSW nicht lediglich ein Ort sein darf, an dem der mit Scheuklappen ausgestattete Leistungserbringer herangezüchtet wird. In der Schule soll auch soziales Verhalten erlernt werden.

Besonders begabte Kinder bedürfen besonderer Aufmerksamkeit und Zuwendung. Das gilt im Grunde genommen ebenso für schwach begabte Kinder. Je mehr man sich mit ihnen beschäftigt, um so mehr vermag man ihnen beizubringen und mit auf den Weg zu geben.

Dieses Ziel ist aber nur durch kleinere Klassen zu erreichen. Nur in kleinen Klassen können Lehrer sowohl besonders begabte als auch schwach begabte Kinder gemeinsam unterrichten. Nur in kleinen Klassen können Lehrer auf die individuellen Bedürfnisse eines jeden Schülers eingehen.

Aus der Sicht des SSW gehen in der schlicht leistungsorientierten Gesellschaft viel zu viele Werte verloren. Als Argument für eine frühere Einschulung hat die CDU-Landtagsfraktion mehrfach auf das Rüttgersche Thesenpapier „Projekt Zukunftschancen“ verwiesen. Ich halte es schon fast für zynisch, wenn dort ausgeführt wird, daß in deutschen Kindergärten Begabungen brach lägen. Sollen demnächst die Zweijährigen im Internet surfen?
Immerhin stellt Rüttgers eine Alternative vor, wenn er den Fünfjährigen entweder den Besuch der Grundschule oder eine moderne Vorschulerziehung anbieten will.

Ich halte sowohl den Antrag als auch den Gesetzentwurf der CDU Landtagsfraktion zum jetzigen Zeitpunkt für wenig konstruktiv. Nun haben wir gerade den Bericht der Landesregierung mit dem entsprechenden Förderkonzept erhalten. Damit sollten wir uns nun auch auseinandersetzen. Dazu haben wir den Bericht schließlich angefordert. Ich verstehe nicht, wozu wir Gelder in Berichte investieren, wenn wir uns der Debatte berauben, indem wir Anträge und Gesetzentwürfe nachschieben.

Im übrigen ist der Antrag der CDU insofern überflüssig, als der Bericht das Erleichtern des Überspringens von Klassenstufen bereits vorsieht.

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