Rede · Lars Harms · 22.09.2023 Keine Begrenzung des individuellen Rechts auf Schutz

„Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht in Deutschland. Das Konzept der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten doktert daran herum“

Lars Harms zu TOP 25 - Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten (Drs. 20/1359)

Ich habe mich in den letzten Wochen wirklich regelmäßig gefragt, was hier eigentlich gerade abläuft. 
Wir haben ja nahezu täglich aus den Zeitungen neue Meldungen bekommen. 
Dabei haben wir zuletzt erst vor drei Monaten über genau dieses Thema im Plenum getagt. 
„Wir werden uns als Landesregierung also zu der Einstufung beider Staaten enthalten. Das ist politisch geeint.“, so Ministerin Touré am 15. Juni 2023. Das war mein Stand. 
Am 05. September titelte die SHZ „Daniel Günther will Aminata Touré auf Kurs zwingen.“ 
07. September, Kieler Nachrichten: „CDU und Grüne verhaken sich im Streit um das Asylrecht.“ 
11. September, SHZ: „Daniel Günther setzt sich gegen Aminata Touré durch.“

Meine Damen und Herren, das ist Machtpolitik, die Absprachen im Kabinett rückwirkend verändert. Da kann man nur froh sein, wenn man nicht Minister im Kabinett Günther ist. 
Aber was hat sich denn eigentlich wirklich verändert? Etwa die Lage in den jeweiligen Staaten? Oder die Zahlen der von dort Fliehenden? Oder das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten? 
Weder noch ist der Fall. Ich habe kurz überlegt, ob ich meine Juni-Rede wortgleich so noch einmal halten kann.
Die eigentlichen Veränderungen hat es in der Bundespolitik gegeben.
Die Bundesregierung möchte Georgien und die Republik Moldau nun als sichere Herkunftsstaaten einstufen. Und auch die Mehrheit im Bundesrat steht, ob Schleswig-Holstein nun zustimmt, oder peng. 
Ich habe überlegt, ob ich noch einmal darauf eingehen soll, wie die Lage in Georgien und Moldawien derzeit ist. Ich habe überlegt, ob ich noch einmal darauf hinweisen soll, dass vor allem Minderheiten unter diesem Verfahren leiden werden. 
Ob ich noch einmal darauf hinweisen soll, dass die Menschen in Georgien ernsthafte Sorge vor einer russischen Invasion haben oder mit welchen Ängsten homosexuelle Menschen dort leben. Oder wie schlecht es um die Situation der Roma in der Republik Moldau steht. 
Ich habe auch damit gerungen, inwiefern ich überhaupt auf die Neuerung im FDP-Antrag eingehen soll, in dem nun gefordert wird auch Algerien, Marokko und Tunesien als sogenannte sichere Herkunftsländer einstufen. Länder, in denen homosexuelle Menschen staatlich verfolgt und für ihre sexuelle Orientierung mit Gefängnis bestraft werden. 
Ich möchte stattdessen den Fokus auf folgendes legen: 
Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht in Deutschland. 
Das Konzept der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten doktert daran herum. Es schränkt es ein, führt zu einer Beweislastumkehr, begrenzt das individuelle Recht auf Schutz. 
Und deswegen finde ich es auch fragwürdig, wenn sich Politiker hinstellen und so tun, als würde man mit der Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten den Menschen einen Gefallen tun, die aus diesen Ländern kommen. 
Denn es geht dabei doch vor allem um ein bürokratisches Eigeninteresse: um verkürzte Verfahren. 
Asylanträge von Menschen aus den als sichere Herkunftsstaaten geltenden Ländern werden in aller Regel als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt.
Das heißt für die Schutzsuchenden, dass ihnen nur eine Woche, statt wie regulär einem Monat Zeit bleibt, um gegen die Entscheidung Einspruch einzulegen. Für die Betroffenen kann das wirklich entscheidend sein. 
Überhaupt zu wissen, welche Rechte man hat, den nötigen Rechtsbeistand zu finden und das alles bei teilweise großen Sprachbarrieren ist nicht einfach. Da ist ganz klar ein Nachteil im Verfahren. 
Genau diese rechtliche Ungleichbehandlung finden wir als SSW falsch. 
Ministerin Touré hat in die Debatte im Juni ein paar Zahlen mitgebracht. 
Asylanträge aus Moldau im Jahr 2022: einer. 2023 Stand Juni: null. 
Asylanträge aus Moldau und Georgien in diesem Jahr: jeweils unter 50, Stand Juni. 
Asylanträge aus den Maghrebstaaten machen in ganz Deutschland 0,5% aller Asylanträge aus. 
Ist den Kommunen mit der Ausweisung weiterer Herkunftsstaaten geholfen? Leeren wir damit die Gemeinschaftsunterkünfte? Entlasten wir den Wohnungsmarkt? 
Daran glaubt hier doch keiner. 
Hat die Ausweisung sicherer Herkunftsstaaten massive Auswirkungen für einzelne Individuen? Ohne Frage. 
Könnte man daher eher von einer innenpolitischen Symbolhandlung sprechen, die individuelle Grundrechte einschränkt? Für mich sieht es ganz danach aus. 
Wir möchten mit unserem Änderungsantrag anstoßen, dass diese offensichtliche Ungerechtigkeit geheilt wird. 
Wir sehen einfach keinen Sinn darin, wenn die Klagefristen gegen einen negativen Asylbescheid auf eine Woche verkürzt werden. 
Das Rechtsschutzverfahren muss aus unserer Sicht aber so laufen wie bei allen anderen auch. Ansonsten ist es kein individueller Schutz mehr. Das Verfahren, wie es bisher läuft, ist einfach nicht in Ordnung. Und solange das so ist, können wir als SSW keinen weiteren sicheren Herkunftsstaaten zustimmen. 

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