Rede · Flemming Meyer · 14.09.2007 Kinder- und Jugendgesundheitsbericht


Die Gesundheit unserer Kinder ist lange eine Sache für Kinderärzte gewesen. Wenn es über Kinderkrankheiten und Vorsorgeuntersuchungen hinausging, sind sie gesundheitspolitisch häufig wie kleine Erwachsene behandelt worden. Das zeigt ja auch die Tatsache, dass wir mit dem KiGGS-Bericht des Robert Koch Instituts zum ersten Mal ausführliche, belastbare Daten zur Gesundheit dieser Altersgruppe in Schleswig-Holstein bekommen. Der Bericht liefert einen reichen Datenfundus für die vielfältigen Ansätze der Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein. Darüber und über mögliche Maßnahmen werden wir sicher noch häufiger im Ausschuss sprechen. Hier und jetzt möchte ich aber einen Punkt herausgreifen, der mir besonders ins Auge gestochen ist.

Es ist längst gesundheitspolitisches Alltagswissen, dass es einen Zusammenhang zwischen der sozialen Lage und dem Gesundheitszustand gibt. Mit diesem Bericht erfahren wir aber nochmals in harten Zahlen, wie groß die Kluft zwischen den verschiedenen sozialen Schichten in Schleswig-Holstein wirklich ist und wie sehr ihre Kinder davon betroffen werden. Sprösslinge aus Familien mit einem niedrigen Sozialstatus sind besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Im Vergleich zu Kindern aus einem Elternhaus mit hohem sozialen Status rauchen sie häufiger, ernähren sich ungesünder, sind im Alter von 11-14 viermal so häufig übergewichtig, haben mehr psychische Probleme, sehen dreimal soviel Fernsehen, betreiben doppelt so häufig keinen Sport, putzen sich weniger häufig täglich die Zähne, haben doppelt so häufig Gewalterfahrungen und werden seltener zu den „U1-U9“-Früherkennungsuntersuchungen gebracht.

Angesichts dieser Daten frage ich mich natürlich, ob wir genug für diese Kinder tun. Und es stellt sich vor allem die Frage, wie ihre Eltern stärker in den Fokus der Gesundheitspolitik gerückt werden können. Ich finde, gerade die Erkenntnisse im Bereich Passivrauchen zeigen, dass Prävention für Kinder und Jugendliche künftig viel stärker auch Prävention für Eltern heißen muss. Denn dass Eltern mit einem „niedrigen sozialen Status“ dreieinhalb mal so häufig ihre Kinder in der Familienwohnung zuräuchern, wie Eltern mit „hohem Status“, zeigt plastisch, dass gerade bei bildungsferneren Schichten die bisherige Aufklärungsarbeit versagt hat.

Es ist ganz offensichtlich, dass bisherige Präventionsbemühungen nicht ausreichend auf besondere Zielgruppen eingegangen sind. Dies gilt ebenso für die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe der Eltern. Auch hier brauchen wir besondere Bemühungen, denn Migration und niedriger sozialer Status ist nicht gleichzustellen. Das zeigt sich schon allein daran, dass diese Familien geradezu vorbildlich sind, wenn es um das Passivrauchen geht. Trotzdem gehen sie z. B. weniger zum Zahnarzt und zu anderen Vorsorgeuntersuchungen.  Hier muss viel stärker auf muttersprachliche Präventionsangebote und auf lokale Netzwerke für Eltern – besonders für Mütter – gesetzt werden. Entsprechende Projekte laufen jetzt in Kiel Lübeck und Neumünster an. Dieses Angebot muss es aber überall dort geben, wo Migranten wohnen.

Dass das Land diese Probleme einzelner Gruppen erkannt hat, zeigt auch der „Knotenpunkt“ „Gesundheitsförderung für sozial Benachteiligte“ bei der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung und die Einrichtung eines entsprechenden Landesarbeitskreises.  Auf konkrete Projekte und Maßnahmen kann sie allerdings noch nicht verweisen. Ich muss sagen, dass ich eine gewisse Skepsis hege. Denn die Landesregierung setzt vor allem auf den „Setting-Ansatz“, der das gesamte Lebensumfeld der Betroffenen berücksichtigt und nicht direkte Aufklärungsarbeit bedeutet. Dies ist eine Aufgabe, die die Kreise und vor allen die Städte verinnerlichen müssen, denn dabei geht es nicht nur um unmittelbare Gesundheitspolitik, sondern auch um lokale Sozialpolitik, lokale Verkehrspolitik oder Baupolitik. Die bisherige kommunale Gesundheitspolitik macht mich aber nicht unbedingt hoffnungsfroh, dass die unerträgliche Benachteiligung dieser Kinder zügig gemindert geschweige denn beseitigt wird.

Wir haben nun seit über fünfeinhalb Jahren ein Gesundheitsdienstgesetz, das genau diese Entwicklung einer präventiv ausgerichteten kommunalen Gesundheitspolitik fördern will. Mein Eindruck ist aber, dass das Ideal des GDG an der harten kommunalen Wirklichkeit bricht. Als das Gesetz 2001 beschlossen wurde, hat die Landesregierung eine verbindliche Regelung vermieden, weil ansonsten finanzielle Forderungen der Kreise und kreisfreien Städte mit Berufung auf das Konnexitätsprinzip zu erwarten gewesen wären. Hieran krankt eine der wesentlichen Säulen einer präventiv ausgerichteten Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein. Über eine grundlegende Berichterstattung sind nur wenige Regionen hinausgekommen. Die im Bericht angesprochene kommunale Gesundheitsplanung anhand der Berichterstattung und die Erstellung von Gesundheitsprofilen z. B. für einzelne Sozialräume finden so gut wie nicht statt.

KiGGS trägt zwar einen weiteren Baustein zu einer besseren Datenlage bei, aber auch nicht mehr. Es wird vom Engagement der Landesregierung abhängen, ob die Kommunen ihre Präventionsaktivitäten wirklich so ausweiten können, dass diesen Erkenntnissen auch die richtigen und notwendigen Taten folgen. Ansonsten werden wir weiterhin eine Reihe interessanter Modellprojekte sehen, die nur einen Teil der Betroffenen erreichen und finanziell auf tönernen Füßen stehen. Das wäre angesichts dieses Berichts zu wenig.

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