Rede · Flemming Meyer · 15.12.2004 Konsequenzen aus dem Kopftuch-Urteil

Ab Jahresbeginn 2005 tritt im Bundesland Bayern ein Gesetz in Kraft, das religiöse Symbole und das Tragen von Kleidungsstücken in Schulen verbietet, die eine „mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten unvereinbare Haltung“ ausmachen. Und das obwohl es keinen einzigen bekannten Fall in Bayern gibt, der dieses Gesetz erforderlich machen würde. Warum nun diese komplizierte Formulierung für ein schlichtes Kopftuchverbot? Weil man sich hiermit ein Schlupfloch für christliche Symbole und den Schleier der katho­lischen Nonnen schafft.

Der SSW meint: egal ob es ein Kopftuch ist oder ein Kruzifix – religiöse Symbole haben in staatlichen Schulen nichts zu suchen – jedenfalls nicht außerhalb des Religionsunterrichts. Die öffentlichen Schulen sind zur religiös-weltan­schau­lichen Neutralität verpflichtet. Neutralität in der Schule heißt aber nicht, dass alle Religionen sich dort gleichwertig äußern dürfen, sondern dass wir in öffentlichen Schulen gar keine religiösen Glaubens­bekenntnisse sehen wollen – Informationen zu den vielen Religionen dieser Welt ja, Glaubensbekenntnisse und Missionarsarbeit nein.

Es muss eine strikte Trennung von privaten Überzeugungen und Schule stattfinden. Dabei ist es nachrangig, ob der Glauben aus einer religiös-politischen Motivation zu Markte getragen wird, oder ob es nur ein privater Akt der Glaubensausübung und Traditionspflege ist, wie Verfechter des Kopftuches argumentieren. Entscheidend ist die Wirkung auf und für die Schulkinder – und die ist unabhängig von der persönlichen Motivation.

Mit dem Kopftuch wird der persönliche Glauben in einer Art ausgelebt, die das äußere Erscheinungsbild der Person insgesamt prägt. Noch komplizierter wird die Situation aber dadurch, dass das Kopf­tuch auch als weltanschaulich-politische Aussage be­trach­tet werden kann, die sich bewusst von einem laizistischen Staatsverständnis abgrenzt. Angesichts der Erstarkung des politischen Islamismus in den letzten Jahrzehnten – und das hat nichts mit vor oder nach dem 11. September zu tun, das möchte ich unterstreichen – müssen wir ein deutliches Signal setzen. Blauäugig ist, wer nicht erkennt, dass die Fahne des Pluralismus von Islamisten hoch gehalten wird, weil sich so ihre Zielsetzungen – die mit Pluralismus sehr wenig zu tun haben – besser erreichen lassen.

Trotzdem: Wir unterstellen keiner kopftuchtragenden Muslimin, dass sie mit dem Stoff schon zwangsläufig ein Glaubensbekenntnis zu fundamentalistischem Islamismus und Frauenunterdrückung ablegt. Deshalb sollten wir auch bestimmt nicht der türkischen Vorgehensweise nacheifern, wo jegliches Tragen von Kopftüchern in offiziellen Zusammenhängen verboten ist, weil das Tuch per se als politische, anti-laizistische Meinungsäußerung gilt. Ich möchte gar nicht bewerten, ob dieses für die Türkische Republik eine angemessene Vorgehensweise ist oder nicht – dort lebt man unter anderen Rahmenbedingungen.

Für uns in Schles­wig-Hol­stein sollte es aber ausschließlich um Personen gehen, die eine besondere Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche haben. Und hier ist bemerkenswert, dass es in unserem Land ebenso wie in Bayern keinen einzigen Fall einer kopftuch­tragenden Lehrerin gibt. Nun frage ich mich, ob hier nicht von einigen ein Gesetz um des Gesetzes Willen gefordert wird.

Egal wie wir es wenden und drehen, haben wir angekündigt, dass wir nur eine überpartei­liche Lösung dieser Frage akzeptieren könnten. Ein Kopftuchverbot muss einstimmig be­schlossen werden. Da dies im Ausschuss nicht gelungen ist, werden wir uns hier enthalten.

Noch schöner wäre es natürlich, wenn es zu einer bundeseinheitlichen Regelung kommen könnte. Allerdings sieht der SSW wenig Grundlage für einen Konsens, wenn die süddeutschen Län­der das Gebot der Neutralität so interpretieren, dass die Religion des „christlichen Abendlandes“ gleicher ist als andere. Denn um eines geht es uns garantiert nicht: darum, die leidige Leitkulturdebatte mit anderen Mitteln fortzusetzen.

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