Rede · Flemming Meyer · 15.09.2006 Korruption im Gesundheitswesen

Wenn ein Kunde eine Dienstleistung kauft, dann sind in der Regel Dienstleister und Rechnungssteller identisch. Nicht so im Gesundheitssystem. Der Patient ruft eine Leistung beim Arzt ab, die dieser dann mit der Krankenkasse abrechnet. Dieses Dreieck begünstigt durch verwobene Kompetenzen und Zuständigkeiten eine besondere Art der Korruption. Kein Arzt besticht eine Krankenkasse mit Bakschisch, damit diese möglichst viel Patienten vorbei schickt. Der Grundsatz der freien Arztwahl schiebt so etwas einen Riegel vor. Und trotzdem grassiert die Korruption.

Die Hersteller von medizinischen Geräten oder von Medikamenten gehen zu den Ärzten, um diese mit Geld oder Sachleistungen dazu bringen, ausschließlich ihre Produkte zu verwenden und zu verschreiben. Schätzungsweise 15.000 bis 16.000 Pharmareferenten besuchen die Ärzte in ihren Praxen, um sie über Medikamente zu beraten und via Gratisproben, das neue Medikament in die Verschreibungsliste zu hieven. Sie haben kostenlose Software dabei, die die Verschreibung erheblich erleichtert, aber auch die firmeneigenen Produkte immer als erste Wahl vorschlägt.
In den seltensten Fällen fließt dabei Bargeld zwischen Pharmafirmen und Ärzten, sondern andere Belohnungen, wie die Ministerin berichtet. Riesige Vortragshonorare oder lukrative Tagungsorte gehören dazu. So findet man im Internet schon nach kurzer Suche viele Angebote, unter ihnen die Seite „Fortbilden unter Palmen in Thailand“, die sich an Zahnärzte richtet. Per Anbieterhomepage werden sie informiert, dass „das Programm des Kurses so gestaltet ist, dass genügend Zeit zur Verfügung steht, um sich zu erholen und die tropische Insel mit all ihren Vorzügen zu genießen“.  Das ist an sich kein Problem, wenn aber Pharmafirmen das alles bezahlen, ist es Korruption.

Es geht auch völlig anders: Da es in Deutschland Lücken in der Brustkrebs-Früherkennung gibt, suchen viele Patientinnen Rat bei Selbsthilfegruppen. Ein ideales Einfallstor für einzelne Pharmafirmen, die diese Gruppen finanziell unterstützen. Kein Geschäft ohne Gegenleistung. Die Gruppen beurteilen die Produkte des Sponsors positiv. Dank Internet kundig geworden, machen dann massenhaft Frauen Druck auf ihren Frauenarzt, ihnen das angepriesene Präparat zu verschreiben. Das ist besondere perfide und belegt eindrücklich den Einfallsreichtum der Bestecher und deren Vorteilsnehmer.

Das Gesundheitssystem bietet aber auch jede Menge legale Korruption. Mit Verweis auf den technischen Fortschritt und die Gesundheit der Patienten werden persönliche Vorteilsnahme und Bereicherung bemäntelt. Gesetze, Verordnungen oder Verträge schützen die Ärzte geradezu. Korrupte Vorteilsnahme kann in solchen Fällen mit dem Hinweis darauf abgeschmettert werden, dass alles nach Recht und Gesetz verlaufen sei. Es bleibt aber Korruption. Im Falle !Gesundheitssystem“ genügt der Verweis auf entgangenes Wohlbefinden oder angebliche medizinische Notwendigkeiten und die Patienten zücken das Portemonnaie. Der Gesetzgeber macht es möglich: IGeL heißt das Zauberwort. Die Abkürzung steht für Individuelle Gesundheitsleistungen und umfasst 300 Zusatzangebote. Diese werden in der ärztlichen Fachpresse und auf Medizinkongressen ebenso massiv beworben, wie von der AOK heftig kritisiert. Die AOK führt in einer Broschüre auf, wie die Ärzte gezielt falsch informieren, um den Patienten eine Individuelle Gesundheitsleistung aufzuschwatzen.

Diese Beispiele zeigen, dass sich im Gesundheitssystem eine falsche Haltung eingebürgert hat, die das Nutzen von Schlupflöchern als Kavaliersdelikt versteht. Schlupflöcher sind dabei unter Steuerungsaspekten als falsche Anreize zu verstehen. Da kommt der Gesetzgeber ins Spiel, denn diese Anreize müssen weg!

Der Bericht zählt getroffene Gegenmaßnahmen auf, die aber fast durchweg erst greifen, wenn die Korruption erfolgt ist. Hier geht es um die Bestrafung der Täter. Das ist wichtig, denn eine effektive Bestrafung hat auch einen abschreckenden Effekt. Nachahmer werden es sich zweimal überlegen, ob sie ein Berufs- oder Kassenverbot riskieren.
Die Kassen selbst steigen erst allmählich in die Kontrolle ein. Sie sind viel zu sehr mit den Abrechnungsmodalitäten beschäftigt. Der SSW fordert trotzdem, das Augenmerk auf die Vermeidung von Korruption zu richten. Der SSW hat bereits in der Vergangenheit dafür plädiert, die Anreize, die zu Korruption verleiten, zu beseitigen. Fortbildungsveranstaltungen könnte die Ärztekammer organisieren und Pharmareferenten sollten auch weit weniger als aktuell zum Zuge kommen.

Das Gesundheitssystem hat Einsparreserven. Da sollten wir weiter hartnäckig sein. Wir sollten aber auch die Anreize verändern. Letztlich führt kein Weg daran vorbei, auch über die Neujustierung der Krankenkassen nachzudenken. Sie können ihre Nachfragemacht nicht nutzen, nicht einmal für günstige Rabatte. Das muss sich ändern. Der Wettbewerb der Nachfrager ist der falsche Weg, weil sie die Nachfrage nicht steuern können. Nachfragen im ökonomischen Sinne tut nämlich der Patient und abgerechnet wird dann später – mit der Krankenkasse. Die Krankenkassen müssen wesentlich mehr Einflussmöglichkeiten auf die Verschreibenspraxis bekommen und dürfen sich nicht im Verdrängungswettkampf untereinander aufreiben. Nur so  befördern wir die Transparenz im Gesundheitssystem. Davon profitieren dann alle.

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