Rede · Lars Harms · 12.10.2015 Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein
Vortrag zur Konferenz des Rechsstaatlichkeitsprogramms der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bukarest/Rumänien, 09.10.2015
In Schleswig-Holstein haben wir drei sehr unterschiedliche nationale Minderheiten. In diesem Vortrag werde ich kurz die Struktur und Geschichte der drei Minderheiten beschreiben und dann immer beleuchten, wie sich die Minderheitenpolitik in den letzten Jahren verändert hat. Einleitend sei mir aber der Hinweis gestattet, dass die konkrete Umsetzung der Minderheitenpolitik in Deutschland in die Hoheit der Bundesländer fällt. Zwar schließt der Bundesstaat die internationalen Verträge, wie die zur Sprachencharta und zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, aber die Umsetzung erfolgt im Regelfall durch die Bundesländer. Deshalb findet sich – zum Bedauern der Minderheiten – kein Verfassungsartikel zum Schutz nationaler Minderheiten im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und auch die Förderung von Minderheitenaktivitäten durch den Bund begrenzt sich auf Projektförderung. Ansonsten fallen die Fragen rund um die Minderheiten in die Kulturhoheit der Bundesländer.
Landesverfassung gibt einen neuen Rahmen vor
Im Bundesland Schleswig-Holstein haben wir, wie gesagt, drei nationale Minderheiten: die dänische Minderheit, die friesische Volksgruppe und die Minderheit der deutschen Sinti und Roma. Alle drei Minderheiten sind durch die Landesverfassung geschützt. Seit 1990 die dänische und die friesische Minderheit und im Jahr 2014 kamen die Sinti und Roma dazu. Im Jahr 2014 hat der Schleswig-Holsteinische Landtag eine groß angelegte Verfassungsreform umgesetzt. Im Rahmen dieser Verfassungsreform sind weitere Bestimmungen bezüglich der Minderheiten aufgenommen worden. Durch den bisherigen Verfassungsartikel hatten die Minderheiten bisher schon Anspruch auf Schutz und Förderung. Wichtig dabei ist, dass die Minderheitenangehörigen sich frei zu einer Minderheit bekennen können. Das heißt, es wird kein Zwang ausgeübt, das Bekenntnis darf von Seiten des Staates nicht nachgeprüft werden und mit dem Bekenntnis zu einer Minderheit sind keine Nachteile verbunden.
Neu in die Verfassung wurde aufgenommen, dass die Schulen der dänischen Minderheit genauso finanziell unterstützt werden, wie öffentliche Schulen der Mehrheitsbevölkerung. Bisher stand es lediglich jedem Menschen frei, seine Kinder in eine Schule der nationalen Minderheiten zu schicken. Der Staat sah sich aber nicht zwingend in der Verantwortung, ein solches Schulsystem auch entsprechend zu bezuschussen. Das ist nun verfassungsrechtlich garantiert worden. Somit sind die dänischen Schulen die öffentlichen Schulen des dänischen Bevölkerungsanteils.
Auch für die friesische Volksgruppe ist eine weitere Bestimmung in die Verfassung aufgenommen worden. Die Friesen verfügen nicht über ein eigenes Schulsystem und sind daher bei der Vermittlung der friesischen Sprache auf die Angebote der öffentlichen Schulen angewiesen. In der neuen Verfassung des Landes ist nun ein Artikel aufgenommen worden, der für den Friesischunterricht an öffentlichen Schulen Schutz und Förderung garantiert.
Es ist aber auch ein neuer Gesamtrahmen für die Minderheitenpolitik gesetzt worden. In der Präambel zur Landesverfassung wird nun erstmals auch darauf abgehoben, dass die kulturelle und sprachliche Vielfalt im Land zu bewahren ist. Damit ist diese Vielfalt Grundlage für alles staatliche Handeln und einer der Rahmen in dem die Verfassungsbestimmungen auszulegen sind. Dies ist somit der Rahmen, in dem wir uns bewegen. Was bedeutet das nun für die drei Minderheiten im Land?
Dänische Minderheit
Die dänische Minderheit ist eine klassische Minderheit mit Bezugsstaat. Sie betreibt eigene Einrichtungen und wird dabei auch vom dänischen Staat unterstützt. Damit ist sie nicht, wie andere Minderheiten, auf die Angebote der Mehrheitsbevölkerung angewiesen. Im Gegenteil, es ist ein Kennzeichen der dänischen Minderheit, dass man die eigene Sprache und Kultur insbesondere in den eigenen Einrichtungen pflegt. Ziel ist es für die Minderheit immer gewesen, dass die eigenen Einrichtungen im Vergleich zu ähnlichen Einrichtungen der Mehrheitsbevölkerung gleich behandelt werden. Hierbei ist auch darauf hinzuweisen, dass es nördlich der Grenze – in Dänemark – auch eine deutsche Minderheit gibt und diese ebenfalls sehr stark auf die eigenen Einrichtungen fokussiert ist. In der Vergangenheit hat sich hier ein System ausgebildet, dass darauf ausgelegt ist, so viel Parallelität wie möglich in den Verhältnissen beider Minderheiten zur jeweiligen Mehrheitsbevölkerung hin zu bekommen.
Die dänische Minderheit zählt nach offiziellen Schätzungen rund 50.000 Personen. Sie ist die größte Minderheit in einem Bundesland mit 2,8 Millionen Einwohnern. Diese Relation zeigt schon, dass die dänische Minderheit trotzdem nirgendwo im Land regional eine Mehrheit bildet.
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Bestrebungen, punktuell die Gleichbehandlung der dänischen Minderheit zu unterlaufen. Namentlich die dänischen Schulen waren ständigen Sparrunden verschiedenster Regierungen ausgesetzt. Nur in einer kurzen Periode Anfang der 90er Jahre waren die dänischen Schulen einmal mit den öffentlichen Schulen gleich gestellt. Danach nahm die Förderquote kontinuierlich ab. Dies lag nicht an dem gesetzlich vorgeschriebenen Prozentsatz, der weiterhin bei 100% lag, sondern an verschiedenen Berechnungsgrundlagen für die Bezuschussung der Schulen, die stetig geändert wurden. Da die dänischen Schulen mit knapp über 30 Millionen Euro den weitaus größten Anteil an der Minderheitenförderung des Landes ausmachten, schlug die Ankündigung der vorherigen Landesregierung aus CDU und FDP, die dänischen Schulen nur noch zu 85% zu fördern, wie eine Bombe ein und führte auch zu diplomatischen Verwicklungen. An diesem Beispiel konnte man sehen, dass das viel gelobte Vorzeigemodell in der Minderheitenförderung in Schleswig-Holstein durchaus fragil sein konnte. Jedenfalls, wenn man vom Pfad der Gleichbehandlung extrem abwich. Ich glaube, dies haben auch die damaligen Protagonisten inzwischen eingesehen. Inzwischen hat die neue Landesregierung aus SPD, Grünen und SSW diese Ungleichbehandlung wieder einkassiert und fortan bekommen die dänischen Schulen wieder ihre Gleichbehandlung auf einer festgeschriebenen Berechnungsgrundlage, was immerhin fast 38 Millionen Euro jährlich ausmacht. In diesem Zusammenhang möchte ich lobend erwähnen, dass die CDU in Schleswig-Holstein hier inhaltlich eine Kehrtwende zum Positiven vollzogen hat. In den Beratungen und Abstimmungen zur neuen Verfassung hat sich die CDU klar zur Gleichstellung der dänischen Schulen bekannt und diese gemeinsam mit den Regierungsfraktionen in die Verfassung aufgenommen.
Dass das minderheitenpolitische Modell bei uns durchaus immer noch fragil sein kann, zeigte sich auch kurz nach der letzten Landtagswahl. Der SSW, die Partei der dänischen Minderheit und der nationalen Friesen, ist erstmals in eine Landesregierung eingetreten. Dies wurde von Einigen zum Anlass genommen, gegen die Mandatszuteilung für den SSW zu klagen. Hierzu muss ich vorausschicken, dass es bei uns in Schleswig-Holstein bei Landtagswahlen, wie in den anderen Bundesländern und im Bund auch, eine 5%-Hürde gibt. Parteien, die diese Hürde nicht übertreffen, schaffen es also nicht ins Parlament. Für Parteien der Minderheiten gibt es eine so genannte Rückausnahme. Sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene sind diese Parteien von der 5%-Klausel befreit. Damit nimmt der SSW in Schleswig-Holstein auch mit einem Ergebnis von unter 5% an der Mandatsverteilung teil. Dies war im Übrigen auch schon 1955 in der Bonner Erklärung der Partei der dänischen Minderheit zugesagt worden. Dabei kann der SSW nicht nur eins, sondern durchaus auch mehrere Mandate erlangen. Derzeit ist der SSW mit drei Mandaten vertreten. Gegen diese Befreiung von der 5%-Klausel und die Mandatszuteilung für den SSW hatten aber Mitglieder der Jungen Union und einzelne andere Personen vor dem Verfassungsgericht geklagt. Einer der Kläger war auch stellvertretender Landesvorsitzender der CDU. Und es wurde von Seiten der FDP Unterstützung geleistet. Im Kern ging es um die Frage, ob der SSW noch die Partei der dänischen Minderheit sei, wo doch niemandem sein Bekenntnis abverlangt werde. Und es ging darum, ob es noch gerechtfertigt ist, Minderheitenparteien im Wahlsystem besonders zu berücksichtigen und ob die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen hierfür eine Rechtsgrundlage sein können. In allen drei Fragen und in einer Reihe anderer Fragen kam das Landesverfassungsgericht zur Feststellung, dass die Befreiung des SSW von der 5%-Klausel und die damit verbundene Mandatszuteilung rechtens ist. Dabei hat das Gericht zwei Grundsätze noch einmal festgestellt, die auch in anderen Minderheitenregionen wichtig sein könnten. Zum Einen muss das Bekenntnis zu einer Minderheit immer frei sein und darf laut unserer Verfassung nicht nachgeprüft werden. Das gilt dann auch in einem solchen gerichtlichen Verfahren, in dem dann eben nicht das Bekenntnis von SSW-Mitgliedern durch den Staat abgefragt oder bezweifelt werden darf.
Und die Tatsche, dass eine Minderheit gut in die Gesellschaft integriert ist, führt nicht dazu, dass ihre politische Vertretung dann nicht mehr notwendig ist. Vielmehr ist die gute politische Vertretung ein Zeichen von Integration und ebenso sind die Ideen, die aus einer Minderheit in die Politik eingebracht werden, ein Teil von Integration. Somit ist klar, dass die Integration von Minderheiten ein nie abzuschließender Vorgang ist, sondern ein ständig neu zu bearbeitendes Feld von Mehrheit und Minderheit.
Und was die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen angeht, hat das Landesverfassungsgericht festgestellt, dass diese Erklärungen, auch wenn sie formal jeweils einseitige Erklärungen sind, völkerrechtlichen Charakter haben. Damit liegen diese Erklärungen in Deutschland auf dem Niveau eines Bundesgesetzes. Sie entfalten dadurch für die dänische Minderheit eine nicht unbedeutende Wirkung und sichern auch die politische Partizipation über den SSW ab.
Auch in der Frage nach der Befreiung des SSW von der 5%-Klausel hat es nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichtes einen Wandel gegeben. Der Landesvorstand der CDU hat sich inzwischen klar für die Minderheitenregelung im Wahlgesetz ausgesprochen. Aber trotzdem zeigt auch diese Episode, dass das Minderheitenmodell in Schleswig-Holstein durchaus brüchig werden kann.
In der Zwischenzeit haben sich hier zumindest die Wogen geglättet und die neue Landesregierung hat weitere Schritte zur Gleichstellung der dänischen Minderheit eingeleitet. So hat man die gesamte kulturelle Förderung der dänischen Minderheit nach Kürzungen der vorherigen Landesregierung wieder auf das Niveau angehoben, das noch 2009 galt. Und man hat beschlossen, das dänische Büchereiwesen Schritt für Schritt auf fester vertraglicher Basis an die Gleichstellung heran zu führen, die dann im kommenden Jahr erreicht sein wird.
Aus ihren Erfahrungen heraus, fragen Sie sich jetzt sicherlich, ob es auch sprachliche Rechte gibt, die die neue Regierung den Minderheiten gibt. Lassen Sie mich diese Fragen in der Betrachtung der nächsten Minderheit mit abarbeiten, weil diese Fragestellungen nach der Berücksichtigung der Sprache im öffentlichen Leben bei ihr eine wesentlich größere Rolle spielt. Ich spreche von der friesischen Volksgruppe.
Friesische Volksgruppe
Die Friesen leben seit dem 6. Jahrhundert an der nordwestlichen Küste Schleswig-Holsteins. Deren Heimatregion ist der Landkreis Nordfriesland und die Insel Helgoland. Die Friesen sind ein Volk ohne Bezugsstaat und leben in den beiden Bundesländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie in den Niederlanden, wo sie in der Provinz Friesland die Mehrheit stellen. In Nordfriesland und auf Helgoland sprechen heute ungefähr 10.000 Menschen Friesisch. Das ist sozusagen der Kern der friesischen Volksgruppe. Allerdings wird diese Volksgruppe noch von einem ausgeprägten Regionalbewusstsein in der Region überlagert. Auch ein Deutschsprachiger kann sich in der Region als Friese fühlen. Dieses Regionalbewusstsein ist vielleicht vergleichbar mit dem der Bayern, Sachsen, Schwaben oder Rheinländer. Das ist wahrscheinlich auch die Art, wie manche von Ihnen möglicherweise die Friesen bisher wahrgenommen haben – als regionale Gruppe. Dem ist aber, wie gesagt, nur vordergründig so. Der friesischsprachige Bevölkerungsteil spricht eine eigenständige westgermanische Sprache, deren nächster Verwandter das Englische ist. Das Friesische gilt als eine der bedrohtesten Sprachen Europas, wenn nicht sogar der Welt. Die Friesen selbst nutzen ihre Sprache als Kommunikationsmittel auch im öffentlichen Bereich. Es ist so zusagen die Umgangssprache neben dem Deutschen und unserem regionalen niederdeutschen Dialekt. Das heißt, dass sich die Spracharbeit hier völlig anders darstellt, als zum Beispiel bei der dänischen Minderheit.
Die Friesen haben kaum eigene Einrichtungen und zum Beispiel auch keine eigenen Schulen. Damit ist man auf das Mehrheitsschulsystem angewiesen. Bisher haben wir keinen kontinuierlichen durchgehenden Friesischunterricht von der ersten bis zur letzten Schulklasse. Eine solche Situation ist für eine Minderheit fatal, da immer dann, wenn die Schüler etwas Friesisch gelernt haben, der Unterricht wieder abbricht. Grund dafür ist die Freiwilligkeit. Man kann am Unterricht teilnehmen, muss es aber nicht. Und Sie ahnen schon, dass solche Schulfächer dann eher in den unattraktiven Randstunden angeboten werden. Hier will die neue Landesregierung Abhilfe schaffen, in dem ein so genanntes aufwachsendes System installiert wird. An ausgesuchten Grundschulen wird jetzt Friesischunterricht angeboten und dann Jahr für Jahr ausgeweitet. Haben die Schüler alle vier Klassen durchlaufen, soll an zentralen Schulen der Unterricht weiter geführt werden, so dass er eben nicht nach ein paar Jahren abbricht. Was sich simpel anhört, ist für die Friesen ein Quantensprung, weil sich endlich auch der Staat inklusive der kommunalen Ebene für den Friesischunterricht verantwortlich fühlt. Die Landesregierung hat deutlich zu verstehen gegeben, dass jede beantragte Friesischstunde unter bestimmten Voraussetzungen genehmigt und extra finanziert wird. Weiter sollen jetzt rund um die Stadt Niebüll und auf der Insel Föhr entsprechende Pilotprojekte anlaufen, die dann in einigen Jahren zu einer vollständigen Kontinuität im Friesischunterricht von der ersten bis zur letzten Schulklasse führen sollen. Es besteht die Hoffnung, dass dann aus den heute 900 bis 1.000 Friesischschülern doch einige mehr geworden sind.
Eng hiermit verbunden ist die Einrichtung einer festen Professur für das Fach Friesisch an der Europauniversität Flensburg. Durch diese Maßnahme erhofft sich die Landesregierung, dass wesentlich mehr Friesischlehrer in einer noch höheren Qualität als bisher ausgebildet werden können.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Förderung des Friesischen im öffentlichen Raum. Seit 2004 gibt es das Friesisch-Gesetz, dass die friesische Sprache in Nordfriesland und auf der Insel Helgoland zur offiziellen Sprache macht. Friesisch darf damit vor Behörden gebraucht werden und auch als Einstellungskriterium für den öffentlichen Dienst gelten. Öffentliche Gebäude des Landes sind seit Beschluss des Gesetzes zweisprachig beschildert und kommunale Behörden dürfen dieses auch durchführen. Weiter ist es den Kommunen erlaubt, auch zweisprachige Ortsschilder in deutscher und friesischer Sprache aufzustellen, wovon in der Vergangenheit zunehmend Gebrauch gemacht worden ist. Auf diese Regelungen soll kontinuierlich aufgebaut werden. Ein erster Schritt hierzu ist der Beschluss der Landesregierung, dass Urkunden in den Minderheitensprachen in Zukunft nicht bei Behörden nur eingereicht werden können, sondern dass diese in Zukunft nicht mehr kostenpflichtig übersetzt werden müssen. Auch das ist ein Schritt hin zu mehr Gleichbehandlung der Minderheiten. Ein noch wichtigerer Schritt ist aber der Beschluss unserer Koalition, die wegweisende Straßenbeschilderung in Nordfriesland in Zukunft zweisprachig auszuführen. Damit wird im gesamten Landkreis sichtbar, dass es eine friesische Minderheit gibt und gleichzeitig wird ihre Sprache mit der Mehrheitssprache gleichbehandelt. Wir erhoffen uns hier nicht nur einen minderheitenpolitischen Schub, sondern bewusst auch einen Schub im Tourismus, weil Nordfriesland dann ein unverwechselbares Alleinstellungsmerkmal bekommt. Sie können also sehen, dass Minderheitenförderung durchaus auch zum Wohle der Mehrheitsbevölkerung sein kann.
Weitere wichtige Schritte in der Minderheitenpolitik in Bezug auf das Friesische sind die stark erhöhte Kulturförderung und die mehr als verdoppelte Förderung des Nordfriisk Instituut, der wissenschaftlichen Einrichtung der friesischen Volksgruppe. Noch 2012 lag die Förderung bei 200.000 Euro und in 2017 wird sie bei 438.000 Euro liegen. Auch das dokumentiert, dass man sich von Seiten der rot-grün-blauen Koalition durchaus der prekären Lage des Friesischen bewusst ist und hier auch bewusst gegen steuern will. Ein weiteres Zeichen hierfür ist die Einführung des Lokalfunks in Schleswig-Holstein. In Zukunft wird es lokale Radiostationen geben, die verpflichtet sind, auch in den Regional- und Minderheitensprachen zu senden. Einer der zukünftigen kommerziellen Radiosender wird im Bereich zwischen Husum und der dänischen Grenze senden und daher auch zur Pflicht haben, friesischsprachige Beiträge zu senden. Überhaupt sind die Friesen seit Jahren in der Medienwelt aktiv. Nachdem man jahrelang mit Internet-Radiosendern improvisiert hatte und Kurzsendungen von knapp 3 Minuten wöchentlich im öffentlichen Rundfunk gestaltete, hat man vor 5 Jahren den großen Schritt gewagt und im Offenen Kanal eine zweistündige tägliche Radiosendung etabliert. Diese Sendung, wie auch andere Dinge, werden aus den Erträgen eines Kapitalstocks für eine künftige Friesenstiftung finanziert. Dieser Kapitalstock wird ab diesem Jahr jährlich mit fast 300.000 Euro durch das Land extra aufgestockt. Auch dass soll illustrieren, dass die Minderheitenpolitik auch in Bezug auf die friesische Volksgruppe stark an Fahrt aufgenommen hat.
Sinti und Roma
Kommen wir nun abschließend zu den deutschen Sinti und Roma, von denen es in Schleswig-Holstein zirka 5.000 gibt und die seit rund 600 Jahren in Schleswig-Holstein nachgewiesen sind. Die deutschen Sinti und Roma sind ebenfalls eine Minderheit ohne eigenen Bezugsstaat und somit im Prinzip auf sich allein gestellt. Zwar gibt es in den meisten europäischen Ländern Roma-Minderheiten, aber diese Gruppen zählen nicht zu den privilegiertesten Gruppen. Im Gegenteil, auch in Deutschland sind die Sinti und Roma eher eine ausgegrenzte Minderheit. Aufgrund der Erfahrungen, die die Minderheit in der Nazi-Zeit hat machen müssen, wo auch ihre Sprache und Kultur als argumentative Grundlage für ihre Vernichtung genutzt wurde, lehnen es die Sinti und Roma ab, dass der Staat sich in irgendeiner Weise in die Weitergabe von Sprache und Kultur der Sinti und Roma einbringt. Die Sinti und Roma legen Wert darauf, dass ihre Sprache und Kultur ausschließlich im Familienverband weiter gegeben werden. Das führt dazu, dass es die klassische Sprachförderung, Schulunterricht in der Sprache der Sinti und Roma, Romanes in den Medien oder auch anderes nicht gibt – und das eben und gerade auch, weil die Sinti und Roma dies nicht wünschen. Deshalb setzt die Minderheitenförderung bei den Sinti und Roma an einer ganz anderen Stelle an.
Das wohl herausragendste Projekt ist das Projekt „Maro Temm“, was soviel wie „Unser Land“ heißt. Dabei ging es darum, für die Sinti und Roma eine Möglichkeit des gemeinsamen Wohnens zu schaffen. Unter normalen Umständen sind für die Sinti und Roma oft nur Wohnplätze in Problemvierteln erschwinglich. Es sollte aber neuer Wohnraum geschaffen werden, der nach den Wünschen und Traditionen der Sinti und Roma gestaltet werden sollte. So sollten Wohnungen in baulichem Zusammenhang, Gemeinschaftseinrichtungen und anderes geschaffen werden, damit die Sinti und Roma gemeinsam nach ihren Traditionen leben konnten. Hierfür wurde eine Genossenschaft gegründet, in der Menschen aus der Mehrheitsbevölkerung und auch Sinti und Roma Mitglied werden konnten. Mieter in den Wohnungen, die diese Genossenschaft gebaut hat, können aber nur Familien der Sinti und Roma werden. Es ist das erste Mal, dass die Sinti und Roma gemeinschaftlich für sich selbst eine so große Organisation wie eine Genossenschaft geschaffen haben. Damit haben sie einerseits die formalen Auflagen der Mehrheit erfüllt und andererseits eine Organisationsform gefunden, die es ermöglicht hat, dass die Sinti und Roma selber über die Wohnform entscheiden konnten. Inzwischen steht seit 2007 eine Reihenhaussiedlung mit 13 unterschiedlich großen Wohneinheiten mit etwa 1.200 qm Gesamtwohnfläche. Es gibt dort Gemeinschaftswohnflächen, einen Spielplatz und vieles mehr. Das Finanzvolumen dieser Investitionen umfasste ca. 1,9 Mio. Euro, die von den Mitgliedern und Spendern, aber insbesondere auch von der Stadt Kiel und dem Land Schleswig-Holstein stammten.
Dieses Projekt hat zu zwei wichtigen Effekten geführt. Einerseits haben sich durch die kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Mehrheitsbevölkerung auch die Minderheitenangehörigen für die Mehrheit geöffnet und andererseits ist hier auch inzwischen ein so großes Vertrauen aufgebaut worden, dass auch Sozialarbeit in der Siedlung geleistet werden kann. Insbesondere die Bildung hat unter den dortigen Bewohnern eine wesentlich höhere Stellung als je zuvor erhalten. So werden zum Beispiel schon die jüngsten Kinder der Sinti und Roma auf den Schulbesuch in einem extra angeschafften mobilen Klassenzimmer vorbereitet.
Ein zweites Projekt knüpft genau hier an. So genannte Mediatoren begleiten die Kinder der Sinti und Roma in die Schule. Bei den Mediatorinnen handelt es sich ebenfalls um Minderheitenangehörige. Hintergrund ist, dass Schulen in der Vergangenheit gemieden wurden, weil die Kinder der Sinti und Roma zur Nazi-Zeit direkt aus den Schulen in die KZs verbracht wurden. Dieses traumatische Erlebnis war nicht so einfach zu verarbeiten. Deshalb hat man von Seiten des Landes Geld zur Verfügung gestellt, um erwachsene Angehörige zu schulen. Danach sind diese ausgebildeten Kräfte an die Schulen gegangen und haben dort die Kinder der Minderheit unterstützt. So wurde es möglich, dass die Angst und Sorge der Eltern aufgebrochen werden konnte und gleichzeitig auch die Schülerinnen und Schüler eine vertrautere Umgebung in der Schule vorfanden. Heute sind die Mediatoren als Bindeglied zwischen Schule und Elternhaus unabdingbar. Auch aus diesem Grund sind den Sinti und Roma in der Vergangenheit mehr Gelder zur Verfügung gestellt worden. Der Zuschuss für die Landesgeschäftsstelle ist markant erhöht worden und auch sind weitere Mittel in Höhe von rund 300.000 Euro jährlich für Kulturarbeit, Marketing und Bildungsarbeit zur Verfügung gestellt worden. Wichtig dabei war immer wieder, dass die Sinti und Roma hier eigenverantwortlich über ihre Gelder entscheiden können.
Im Rahmen dieser Eigenverantwortung haben die Sinti und Roma in Schleswig-Holstein ein weiteres Projekt auf den Weg gebracht, dass unter anderem auch den Staat bei seiner Arbeit entlastet. Aufgrund ihrer Sprach- und Kulturkenntnisse sind die einheimischen Sinti und Roma in der Lage, Roma aus anderen Ländern, die nach Deutschland kommen, beratend zur Seite zu stehen. Bei Anträgen, Behördengängen und im Asylverfahren kann der Landesverband der deutschen Sinti und Roma nun juristische Hilfestellung geben. Das führt zu zweierlei. Erstens, dass die Betroffenen eher das bekommen können, was ihnen rechtlich zusteht, und zweitens, dass die Anträge an die Behörden schon so gut vorbereitet sind, dass die Entscheidungswege und der Aufwand hierfür kleiner werden. Auch dieses Projekt wird aus den zuvor genannten Mitteln finanziert und soll nun auf dauerhafter finanzieller Grundlage weiter geführt werden.
Meine Damen und Herren,
sie sehen, die Minderheitenpolitik ist auch bei uns in Schleswig-Holstein ein buntes Feld. Wir können sehen, dass die Minderheiten sehr unterschiedlich strukturiert sind und dass die Aufgabenstellungen manchmal auch völlig unterschiedlich sein können. Und wir sind davon überzeugt, dass es immer wieder individuelle Lösungen geben muss. Dafür muss man aber mit den Minderheiten zusammenarbeiten und mit ihnen sprechen. Wer wirklich Minderheitenpolitik machen will und so auch die eigene kulturelle Vielfalt bewahren will, der muss auch den Mut haben, Minderheiten Rechte einzuräumen und diese Rechte mit Leben zu füllen. Und dazu gehört auch, dass Minderheiten an der Regierung beteiligt sein können. Bei uns ist das jetzt das erste Mal der Fall. Und auch das ist ein Zeichen für gelebte Minderheitenpolitik.
Ich danke für Ihr Aufmerksamkeit.