Rede · 21.11.2007 Transparenter und gerechter Zugang zu Organspenden


Der Flensburger Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg hat auf ein beklemmendes Gerechtigkeitsproblem in unserem Gesundheitssystem hingewiesen: laut einer Studie des Bundesgesundheitsministeriums bekommen Privatversicherte 60 Prozent mehr Nieren-, 101 Prozent mehr Lungen- und 127 Prozent mehr Herztransplantationen als ihnen zahlenmäßig zustehen würde. Ich denke, dass ich nicht zu hoch greife, wenn ich die Befunde für so grundlegend halte, wie vor einigen Jahren die Ergebnisse der PISA-Studie im Schulwesen. Ich will auch erklären, warum: Jahrelang hatte man sich in Deutschland in der falschen Sicherheit gewogen, dass die schulischen Chancen unabhängig von sozialer Herkunft, Wohnort und finanzieller Möglichkeiten der Eltern seien. PISA hat gezeigt, dass  das Gegenteil der Fall ist. In kaum einem anderen Industrieland entscheidet der soziale Status stärker über das schulische Abschneiden als in Deutschland.

Jetzt kommt sozusagen der PISA-Schock fürs Gesundheitswesen, wo sich Patienten und Beitragszahler darauf verlassen, dass angesichts hoher finanzieller Belastungen von Beschäftigten und Arbeitgebern zumindest ein gerechter Zugang zu Gesundheitsleistungen garantiert ist. Und nun zeigt sich allerdings, dass  im Gesundheitswesen offenbar nicht nach der Schwere des Falles und seiner Dringlichkeit entschieden wird. Nicht der Kranke erhält die beste Versorgung, der am kränksten ist, sondern derjenige, dessen Privatversicherung die höchsten Honorare zahlt. Es steht zu befürchten, genaue Analysen stehen allerdings noch aus, dass trotz eines strengen Regelwerkes bei der Zuteilung der äußerst knappen Organe nicht ausschließlich nach medizinischen Kriterien, sondern auch nach dem Geldbeutel verteilt wird. Das muss  vor allem diejenigen verunsichern, die im guten Glauben der Organentnahme bei  zugestimmt haben, dass dieses Organ eben nicht verschachert wird. Dies ist kaum wieder gut zu machen, wenn sich die Bevorzugung von Privatpatienten bei der Zuteilung erhärten sollte.

Das Bundesgesundheitsministerium, das die Statistik nach den Kieler Vorfällen herausgegeben hat, dementiert in diesem Punkt nachdrücklich. Es ginge überhaupt nicht um den Geldbeutel des Patienten, schließlich fänden sich unter den Privatversicherten ja auch Beamte und Soldaten. Diese Personengruppe würde bekanntermaßen nicht über die höchsten Einkommen verfügen. Man will uns glauben machen, dass man sich mehr Gesundheit nicht kaufen könne. Richtig ist an dieser ministeriellen Faktenhuberei lediglich, dass  es nicht auf den Geldbeutel des Patienten, wohl aber auf seinen Versichertenstatus ankommt.

Es geht nicht um die Frage, ob es sich um einen Beamten oder um einen Großverdiener handelt, sondern um die jahrelang geduldete Privilegierung bestimmter Patientengruppen durch die Zweiteilung des Gesundheitswesens. Eine Privatversicherungsgesellschaft bezahlt dem Arzt oder dem Krankenhaus für die gleiche Leistung mehr als eine gesetzliche Kasse. Da ist es kaum eine Überraschung, dass die durchschnittlich weit gesünderen Privatpatienten an teuren Verfahren überdurchschnittlich partizipieren. Diese Privilegierung wird anhalten, solange die Gesundheitspolitik unterschiedliche Honorarhöhen für ein und dieselbe Leistung toleriert, und sogar, das hat man beim Pflegekompromiss der Berliner Regierung erst vor wenigen Monaten gesehen, weiterhin massiv stützt. Unterschiedliche Honorarhöhen müssen weg! Sie sind der Kern des Übels.

Es liegt einfach in der menschlichen Natur, Leistungen zu bevorzugen, für die man mehr Geld bekommt. Wenn also der Kassenpatient für eine Blutdruckmessung oder eben für eine Transplantation weniger Geld bringt, dann wird er gegenüber dem Privatpatienten das Nachsehen haben. Alles das, über das in den letzten Jahren Konsens bestand, nämlich Diagnosegruppen, Fallpauschalen, Budgets zur Kostenbegrenzung, wird durch die unterschiedlichen Honorarsätze hinterrücks torpediert.

Es ist durchaus zu befürchten, dass die überdurchschnittliche Partizipation an Transplantationen nur eines von mehreren ungleichen Zugängen innerhalb des deutschen Gesundheitswesens ist. Das Gerechtigkeitsproblem gilt wahrscheinlich auch für Krebstherapien, Präventionsprogramme und Neugeborenenversorgung, um nur einige zu nennen. Darum müssen die Honorarunterschiede endlich beendet und ein einheitliches Gesundheitssystem etabliert werden.

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