Rede · Flemming Meyer · 23.02.2011 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Schleswig-Holstein

Der SSW begrüßt ausdrücklich die vorliegende Große Anfrage der Fraktion Die Linke zur Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge im Land. Bisher waren unsere Diskussionen zu diesem Thema immer eher auf Einzelschicksale, Berichte des Flüchtlingsbeauftragten und Geschehnisse direkt vor Ort bezogen. Es fehlten aber eine statistische Grundlage und damit auch Fakten zur Situation minderjähriger Flüchtlinge im Land. Die vorliegende Große Anfrage gibt dazu erste Anhaltspunkte, obwohl ich aus Sicht des SSW auch sagen muss, dass die Informationen in Teilen nicht belastbar sind, weil Daten fehlerhaft oder gar nicht erfasst wurden und daher kein repräsentatives Bild abgeben.

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind auf der politischen Tagesordnung erschienen, weil es zum einen in Einzelfällen zu Verweigerungen bei der Inobhutnahme bei den Jugendämtern und damit zu Verstößen gegen § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII kam und weil sie auch als Jugendliche in die Abschiebehaft genommen wurden. Zum anderen gibt es in Schleswig-Holstein immer mehr junge Flüchtlinge, die eine angemessene Betreuung und Unterstützung brauchen. Der SSW forderte schon seit langem die Einrichtung einer Clearingstelle. Diese Forderung ist jedoch leider bisher an der Ablehnung der Kommunen und der Haushaltslage des Landes gescheitert. Aus unserer Sicht – um dies gleich vorweg zu nehmen – zeigt die Große Anfrage allerdings, dass die Herausforderungen der Kommunen zur Betreuung der minderjährigen Flüchtlingen nach wie groß sind und wir eine zentrale Anlaufstelle schaffen müssen.

Zum einen gibt es in bestimmten Kreisen – nämlich Ostholstein, Kiel, Schleswig und Flensburg - eine sehr hohe Zahl an Flüchtlingen. Insgesamt steigt die Zahl der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge im Land, von 2007 bis 2010 in Schleswig zum Beispiel von 9 auf mindestens 50 und in Ostholstein von 20 auf mindestens 102, zum anderen sind zum Beispiel Nordfriesland oder Rendsburg kaum mit dieser Problematik beschäftigt.

Die erhobenen Daten weisen darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der jungen Menschen aus Afghanistan oder dem Irak kommen, also aus Kriegsgebieten. Es sind gerade nicht Kinder und Jugendliche, die mal ein Abenteuer erleben wollen. Diese Kinder kommen aus Ländern, deren Heimat von Krieg zerstört ist und die auf der Flucht sind. Auf der Flucht vor schrecklichen Erlebnissen, Gewalt und Totschlag und die eine neue Lebensperspektive suchen.

Interessante Ergebnisse bringt die Große Anfrage in Bezug auf die Vormundschaft. Zum einen scheint es einen großen Unterschied zwischen den Amtsvormündern und den privaten Vormundschaften zu geben. Bei den Amtsvormündern findet die Inobhutnahme häufig nicht als sozialpädagogische Krisenintervention statt. Es gibt also kein Clearingverfahren, das die Situation der jungen Menschen aufgreift und ihnen Schutz und Geborgenheit bietet. Dies wird durch die Statistiken belegt. Von den von Anfang 2007 bis Ende 2009 ausländerbehördlich erfassten 429 Jugendlichen haben 146 der unter 16-jährigen keinen Vormund bekommen. Der Vormundschaftsverein lifeline in Lübeck belegt aber, wie wichtig es ist, einen Vormund zu erhalten. In fast allen Fällen ist es dem Verein gelungen, einen Jugendhilfebedarf feststellen zu lassen. Dies dürfte angesichts der Schicksalsschläge der jungen Menschen eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber nicht. Allerdings sind die Daten zu den Jugendhilfeleistungen ebenso wenig belastbar wie die zum erzieherischen Bedarf. Und auch die Informationen zu den Integrationsmaßnahmen sind wenig hilfreich. Wir wissen gerade mal, dass 86 Flüchtlinge einen Sprachkurs besuchen bzw. besuchten.

Insgesamt scheint es eine hohe Anzahl von jungen Flüchtlingen zu geben, die noch vor dem Ende des Clearingverfahrens wieder verschwunden sind. Die Zahl wird auf 335 geschätzt. Aus Sicht des SSW ist die Inobhutnahme und das Clearingverfahren der jungen Menschen kein rein ordnungspolitischer Vorgang, sondern dient dazu diesen Kindern die Hilfe zu kommen zu lassen, die sie benötigen - also auch sozialpädagogische Hilfeleistungen. Es geht hier darum, den jungen Menschen zu helfen. Sie brauchen eine dezentrale Unterbringung und eine professionelle Begleitung bei der Klärung ihrer Situation. Dass heißt, es muss ausgebildete Vormünder geben, die professionell begleitet werden. Dafür brauchen wir nicht nur die Handreichung von Land in Sicht, wir brauchen auch eine professionelle Clearingstelle und eine regelmäßige Datenerfassung, die um qualitative Methoden ergänzt wird, damit wir mehr davon verstehen, wie wir ihnen helfen können. Angesichts der hohen Anzahl an jungen Flüchtlingen, sind wir ihnen das schuldig.

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