Rede · Flemming Meyer · 27.02.2008 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge u.a.



Wir haben im Ausschuss über den Bericht der Landesregierung zu den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eine eingehende Beratung durchgeführt. In den Beratungen und der dazugehörigen Anhörung wurden mehrere Punkte deutlich, die in unserem Land im Argen liegen. Da ist zum einen die sehr unterschiedliche Datenlage. Während die Landesregierung im Bericht nicht vollständig angeben konnte, wie groß der betroffene Kreis von Menschen ist und in welchem Status sie derzeit leben, konnten die Flüchtlingsorganisationen sehr genaue Daten liefern. Dieses ist dabei aber nicht unbedingt der Landesregierung anzulasten, sondern die Kreise scheinen nicht immer gesicherte Daten nennen zu können. Was der Hintergrund hierfür ist, darüber kann man nur spekulieren. Ich allerdings glaube nicht, dass die Kreise die Daten nicht liefern können. Vielmehr muss man doch davon ausgehen, dass Menschen, die in einem verwaltungsmäßigen Verfahren stecken, auch von den Verwaltungen erfasst werden.

Betrachtet man, dass die zuständigen Behörden oft der Meinung sind, hier nach vernünftigen Prinzipien zu handeln, dann kann man erahnen, warum man möglicherweise nicht so freigiebig mit Daten ist, wie wir es uns als Landtag erhofft hatten. Es besteht nämlich eine große Diskrepanz zwischen dem, was von den Verwaltungen als angemessen angesehen wird, und dem, was die Flüchtlingsorganisationen und der Flüchtlingsbeauftragte als sinnvoll erachten. Die Landesregierung hat in diesem Bereich im Übrigen nicht die Fachaufsicht über die kommunale Ebene. Man ist vor Ort völlig eigenständig und vielleicht auch allein gelassen. Deshalb sind wir – gemeinsam mit FDP und Grünen – der Meinung, dass der Landtag hier deutlich machen muss, wie die Behandlung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge landesweit einheitlich zu erfolgen hat.

Der Flüchtlingsbeauftragte hat in der schriftlichen Anhörung zum Bericht deutlich gemacht, dass die jugendrechtliche Bestimmung des § 42 SGB VIII zwingend anzuwenden ist. Dieses bedeutet, dass die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge grundsätzlich in Obhut genommen werden müssen und sie Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe haben. Das heißt zum Beispiel auch, dass sich eine Aufnahme in eine Aufnahmeeinrichtung, die für erwachsene Flüchtlinge ausgerichtet ist, ausschließt. Ebenso ist natürlich die Abschiebehaft in einer Jugendstrafanstalt für diese Jugendlichen völlig unangemessen. Es geht vielmehr darum, dass die Jugendlichen durch Leistungen der Jugendhilfe erst einmal wieder stabilisiert werden müssen. Und das geht nur durch Inobhutnahme und Nutzung aller Möglichkeiten, die die Jugendhilfe bietet. Entsprechend dieser Sichtweise haben wir den ersten Absatz unseres gemeinsamen Antrages formuliert.

Im zweiten Absatz fordern wir ein Clearingverfahren, um den Hilfebedarf der unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge festzustellen. Der Bericht und die Anhörung im Ausschuss haben gezeigt, dass in Schleswig-Holstein sehr unterschiedlich und uneinheitlich gehandelt wird. Der Vormundschaftsverein Lifeline hat an einigen exemplarischen Fällen deutlich gemacht, wo die Probleme liegen. Insbesondere liegen die Probleme darin begründet, dass wir in Schleswig-Holstein nicht einheitlich und gemäß § 42 SGB VIII vorgehen. Dies wollen wir ändern.

Am einfachsten wäre es, wenn wir eine zentrale Clearingstelle einrichten würden, die beim Eintreffen eines unbegleiteten jugendlichen Flüchtlings alle Folgemaßnahmen festlegt, die dann in den Kreisen und kreisfreien Städten umgesetzt werden. Solche Clearingstellen gibt es in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern. Man kann also sehen, dass eine Einrichtung einer solchen Clearingstelle und die Durchführung eines einheitlichen Verfahrens nichts mit der politischen Farbenlehre zu tun hat. Vom rot-roten Berlin bis zum tiefschwarzen Bayern ist man sich da einig. Wir schlagen in unserem Antrag deshalb vor, dass zumindest ein einheitliches Clearingverfahren angewendet wird. Das heißt, dass man landesweit nach einheitlichen Kriterien und in einem transparenten Verfahren vorgeht und dass in dieser drei- bis sechsmonatigen Phase der Hilfebedarf des Einzelnen im Vordergrund steht.

Eng mit der Problematik der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ist die Frage der Abschiebehaft verbunden. Der Flüchtlingsbeauftragte schlägt hierzu vor, dass der Innenminister seinem Erlass zur Abschiebehaft regelt, dass eine Inhaftierung von Jugendlichen nicht durchgeführt wird. Das deckt sich auch mit dem Antrag der FDP zur Abschiebehaft, der natürlich über den engen Kreis der Jugendlichen hinaus geht. Im Antrag der FDP wird gefordert, dass die Abschiebehaft nur unter engen gesetzlichen Begrenzungen durchgeführt werden darf. Hierzu soll die Landesregierung eine Bundesratsinitiative starten. Wir meinen, dass dies ein richtiger und wichtiger Schritt wäre. Bevor Menschen der Freiheitsentzug droht, muss man eigentlich hohe Hürden überspringen. Dies muss auch für ausländische Mitmenschen gelten, die - aus welchen Gründen auch immer - in unser Land eingereist sind. Klare rechtsstaatliche Regelungen mit entsprechend hohen Hürden müssen dafür sorgen, dass die Abschiebehaft die Ausnahme und nicht die Regel ist. Deshalb macht es Sinn, festzulegen, dass man nur dann in Sicherungshaft genommen werden kann, wenn durch belegbare Tatsachen der Verdacht begründet ist, dass man sich der Abschiebung entziehen will.

Ein weiteres Problem ausreisepflichtigen Personen wurde uns im Ausschuss geschildert. Dabei ging es um ärztliche Untersuchungen bei traumatisierten Flüchtlingen. Im geschilderten Fall wurde die Anwesenheit einer weiteren Person während der Untersuchung nicht zugelassen. Man kann sich sicherlich vorstellen, dass es Fälle geben kann, in denen eine traumatisierte Person den Beistand und die Unterstützung einer Vertrauensperson benötigt. Ich kann mir zwar vorstellen, dass ein Arzt seine Tätigkeit frei ausüben können muss, aber trotzdem muss es Möglichkeiten geben, dass man als traumatisierte Person eine Person seines Vertrauens mit zur Untersuchung nehmen kann. Ich bin mir nicht sicher, wie oft die Mitnahme einer Person verweigert wird, aber jeder einzelne Fall ist eigentlich schon ein Fall zu viel. Und deshalb kann es uns nur darum gehen, so schnell wie möglich, zu einer pragmatischen Lösung zu kommen, die sowohl die Freiheit der Ausübung des Ärzteberufes als auch die Interessen der Betroffenen im Auge hat. Wir schlagen deshalb vor, dass die Betroffenen in Zukunft die Möglichkeit haben, zu einem anderen Facharzt zu gehen, wenn so die Anwesenheit einer Vertrauensperson ermöglicht werden kann. Dies wäre eine einfache und vor allem schnelle Lösung des Problems, der sich eigentlich niemand verschließen kann.

Gleiches gilt auch für den ersten Absatz unseres gemeinsamen Antrags mit FDP und Grünen. Bevor aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergriffen werden, muss sichergestellt sein, dass traumatisierte Personen vorher entsprechend ärztlich untersucht worden sind. Sollte sich nämlich herausstellen, dass eine betroffene Person wirklich traumatisiert ist oder anderweitig unter den Folgen der Flucht leidet, darf diese Person nicht ausgewiesen werden. Auch hier muss – wie zuvor bei den unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen – der Mensch und seine persönlichen Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Es ist unsere Aufgabe als Staat und Gesellschaft dafür zu sorgen, dass traumatisierte Menschen die Hilfe bei uns bekommen, die sie benötigen.

Ich komme nun zum letzten Antrag, den wir unter diesem Tagesordnungspunkt behandeln. Auch wir sind der Auffassung, dass das Staatsangehörigkeitsrecht überarbeitet werden muss. Es ist klar, dass die Staatsangehörigkeit nicht nur Rechte, sondern auch Verpflichtungen beinhaltet. Und jeder, der die deutsche Staatsangehörigkeit annimmt oder erwirbt, fällt automatisch unter diese Rechte und Pflichten, die mit der Staatsangehörigkeit verbunden sind. Insofern muss man sich als Person sicherlich genau überlegen ob und welche Staatsbürgerschaft man annehmen will. Ich glaube deshalb, dass sich jeder Einzelne genau diese Gedanken auch macht und niemand so quasi nebenher noch schnell eine Staatsbürgerschaft annimmt. Wenn wir davon ausgehen, dass man sehr genau überlegt was man tut, dann können wir auch davon ausgehen, dass sich die betroffenen Menschen sehr bewusst – und aus Überzeugung – für zum Beispiel die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden haben. Einen besseren Beweis für Integration gibt es eigentlich nicht. Und deshalb ist es unverständlich, dass die rechtlichen Grundlagen im Staatsangehörigkeitsrecht noch nicht liberalisiert worden sind. Wer dauerhaft Menschen mit Migrationshintergrund auch in dieser Frage ausschließt, leistet gerade keinen Beitrag zur Integration.

Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus, als es sich vielleicht der eine oder andere vorstellt. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass die Menschen in ihrem Leben nicht mehr an einem Ort verharren, sondern in vielen Ländern Station machen. Das betrifft im Übrigen nicht nur Ausländer hier bei uns, sondern auch viele Deutsche, die sich im Ausland aufhalten. Diese Menschen erwerben praktisch eine neue Kultur und fühlen sich mit ihr verbunden. Daher ist es nur ein logischer Schritt diese Verbundenheit auch durch die Annahme der jeweiligen Staatsbürgerschaft mit ihren Rechten und Pflichten zu dokumentieren. Noch einleuchtender ist dies, wenn man ausländische Eltern hat, aber in Deutschland aufgewachsen ist. Man kennt die Sprache und Kultur, will aber gleichzeitig seine eigenen Wurzeln nicht kappen. Und wenn man sich dann noch den Fall vorstellt, dass man Eltern aus zwei unterschiedlichen Staaten hat, dann kann man sich lebhaft vorstellen, dass man an beiden Wurzeln festhalten will. Wer sich also die Lebenswirklichkeit ansieht, der kann nicht an einer Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts vorbei kommen.




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