Rede · Flemming Meyer · 24.03.2006 Verwaltungsstrukturreformgesetzesetz & Änderung der Gemeindeordnung und Amtsordnung

Die Halbwertzeit politischer Aussagen in diesem Haus liegt zurzeit bei drei Monaten. Mitte Dezember haben wir vom Innenminister noch Aussagen gehört wie, dass seine Vorgabe, nämlich 8.000 Einwohner für hauptamtliche Verwaltungen, von zentraler Bedeutung sei. Ich zitiere den Minister: „Ich möchte vor diesem Hintergrund übrigens dringend davon abraten, die genannte Mindesteinwohnergrenze in Frage zu stellen. Eine solche Diskussion würde den bisherigen Verhandlungen der Kommunen die Basis entziehen und den Reformprozess nachhaltig beeinträchtigen“. Das war am 14. Dezember 2005 – also vor 14 Wochen.

Die Landesregierung hat uns erzählt, dass sie einen Grundsatz hat: nämlich, dass Gemeinden mit eigener Verwaltung einen hauptamtlicher Bürgermeister haben, und Gemeinden ohne hauptamtliche Verwaltung lediglich einen ehrenamtlichen Bürgermeister haben. Dieser einfache und konsequente Grundsatz wird der Koalitionsräson geopfert, weil sich die beiden Volksparteien nicht einigen können.

Antwort von Radio Eriwan auf die Frage: Haben Gemeinden ohne eigene Verwaltung eine ehrenamtliche Struktur: Im Prinzip ja. Aber;  wenn eine Gemeinde mehr als 4.000 Einwohner hat, kann sie beschließen, neben dem ehrenamtlichen Bürgermeister und dem hauptamtlich geführten Amt - als Schreibstube der Gemeinde - noch einen hauptamtlichen Gemeindedezernenten zu wählen, der dem Bürgermeister die Bleistifte anspitzt. Soviel zur Haltbarkeit von Grundsätzen.

Der SSW bewertet Inhalt und Verfahren der Beschlussvorlage des Innen- und Rechtsausschusses alles andere als seriös. Das, was dort vorgeschlagen wird, ist unvernünftig, diffus und bürokratisch. Ein fauler Kompromiss, mit der heißen Nadel gestrickt. 

Die Große Koalition ist angetreten, die Verwaltung wirtschaftlicher, professioneller und bürgernäher zu machen. Zusätzliche kommunale Wahlbeamte, denn genau als das ist der Gemeindedezernent angelegt, sind eine starre Zusatzausgabe und auch bei bestem Willen nicht als wirtschaftlich darzustellen. Von der Kernforderung der CDU-Fraktion, die Herr Kollege Wengler noch Mitte Dezember formuliert hat, die Senkung der Verwaltungskosten und dass seine Fraktion die Landesregierung drängen wird, die Einsparpotenziale nachvollziehbar zu beziffern, ist nicht mehr nachgeblieben. Fehlanzeige auf der ganzen Linie.
Was am Gemeindedezernenten professionell sein soll, wird wohl für immer ein Geheimnis der Männerbünde der Großen Koalition bleiben.

Um es zumindest professionell so aussehen zu lassen, schlage ich vor, um im Duktus des Innenministeriums zu bleiben, ihn nicht „Gemeindedezernenten“, sondern kommunalen Dienstleistungsassistenten zu nennen. Das klingt modern und viel besser als das, was es eigentlich ist, nämlich eine Stelle für verdiente Parteifreunde.

Bürgernähe wird von der Koalition chronisch als Bürgermeisternah ausgelegt. Ob sich die Bürger künftig an den offiziellen Bürgermeister oder den geheimen Bürgermeister wenden sollen, wird wohl durch den lokalen Machtkampf entschieden werden und nicht durch eine klare Verwaltungsstruktur.

Einem Neu-Bürger, der aus einem anderen Bundesland zugereist ist, kann man nun die schleswig-holsteinischen Kommunal-Alternativen wie folgt aufzählen:

Er kann Bürger sein:
Erstens: In einer hauptamtlich verwalteten Gemeinde mit hauptamtlichen Bürgermeister als Verwaltungschef, oder
Zweitens: in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, dafür in einem Amt mit einem gewählten Amtsdirektor als Verwaltungschef, oder
Drittens: in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, dafür mit einem ehrenamtlichen Amtsvorsteher als Verwaltungschef, oder
Viertens: in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, in einer Verwaltungsgemeinschaft mit dem hauptamtlichen Bürgermeister der Nachbargemeinde als Verwaltungschef oder
Fünftens: in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, in einer Verwaltungsgemeinschaft mit dem ehrenamtlichen Amtsvorsteher des Nachbaramtes als Verwaltungschef
– die Variante mit dem Amtsdirektor lasse ich mal aus -
oder, hier kommt nun die grandiose Neuerung der Koalition
Sechstens: in einer Gemeinde ohne hauptamtlichen Bürgermeister, in einem Amt oder in einer Verwaltungsgemeinschaft mit einem Amt bzw. einer hauptamtlich verwalteten Gemeinde mit dem hauptamtlichen Amtsdirektor bzw. Bürgermeister als Verwaltungschef und einem gewählten hauptamtlichen „Hilfsbürgermeister“ für den ehrenamtlichen Bürgermeister.

Dieser Neu-Bürger wird den Variantenreichtum Schleswig-Holsteins nur sehr schwer als die Krönung der Bürgernähe erkennen können, als die es die Koalition darstellt. Ob es die Alt-Bürger in Schleswig-Holstein völlig anders sehen, darf zumindest bezweifelt werden.

Ich habe bei der ersten Lesung auf ein großes Manko des Gesetzentwurfes hingewiesen, nämlich dass das zentralörtliche System des Landes und damit die Raumordnung vollständig ignoriert worden ist. Das zentralörtliche System ist jedoch keine Nebensächlichkeit, die im Nachhinein irgendwie draufgepfropft werden kann. Es gehört von Anbeginn an zu einer richtigen und handwerklich sauberen Reform der kommunalen Ebene dazu. Ich weiß aus Gesprächen mit Bürgermeistern, dass sie über das Fehlen des zentralörtlichen Prinzips irritiert sind. Diese Problematik ist im Gesetzgebungsverfahren überhaupt nicht berücksichtigt worden.

Im SSW-Modell wäre jeder ländlicher Zentralort und jedes Unterzentrum eine politische Gemeinde. Die Aufgaben, die dort auch mit räumlichem Bezug für das Umland geregelt werden, würden damit professionell und demokratisch transparent erledigt werden. Das sichert die Zukunft des ländlichen Raumes, nicht zusätzliche Wahlbeamtenstellen.

Ich habe durchaus Verständnis für Bürgermeister unserer Kleinstädte unter 8.000 Einwohner, insbesondere für deren Arbeitsbelastung. Aber die Möglichkeit, sofern wir im Modell der Koalition bleiben, einem ehrenamtlichen Bürgermeister eine Hilfskraft zur Seite zu Stellen, haben wir bereits in § 16 Satz 2 der geltenden Amtsordnung.

Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass die im Gesetz vorgesehene Senkung der Aufwandsentschädigung für den Bürgermeister, deren Gemeinde eine angestellte Hilfskraft für ihn beschäftigt, für eine Übergangszeit von einigen Jahren ausgesetzt wird.
Wahlbeamte, die sich zu Grauen Eminenzen und Gegen-Bürgermeistern entwickeln, auf Dauer einzurichten, stoßen jedoch auf den energischen Widerspruch des SSW.

Kollege Hildebrand von der FDP hat bereits in der ersten Lesung die kreisübergreifende Ämterbildung zu recht als die schleichende Ankündigung der Einführung von Großkreisen kritisiert. Auf die Kreise und die als Verwaltungsregionen nur dürftig getarnten Großkreise ohne demokratische Kontrolle werde ich im nächsten Tagesordnungspunkt näher eingehen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Unternehmensverbände in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf ganz offen, die Verwaltungsstrukturreform als die erste Hälfte des Weges zum Ziel eines Nordstaates sehen, in dem Schleswig-Holstein nicht auf dem Stand von 11 Kreisen und vier kreisfreien Städten sowie 1.100 selbstständigen Kommunen verharren kann.

Dies ist eine klare Aussage, die der SSW nicht teilt, aber respektiert. Es wäre begrüßenswert, wenn die Landesregierung in dieser wichtigen Perspektivisierung der Landespolitik ebenso klar Farbe bekennen könnte, statt bei einem entschiedenen  sowohl als auch nur auf der Stelle zu trippeln. Herr Ministerpräsident, wenn sie einen Nordstaat wollen, treten sie klar dafür ein, um die Menschen mitzunehmen, wenn sie es nicht wollen, schaffen sie ebenso konsequent die Voraussetzungen dafür, dass Schleswig-Holstein sich als Bundesland behaupten kann, aber führen sie.

In der ersten Lesung sind die Vorstellungen der Oppositionsparteien von den Rednern der Großen Koalition als Entwürfe vom grünen Tisch abgetan worden. Hier in der zweiten Lesung zeigt sich eindeutlich, dass der geschmähte grüne Tisch mit offenem Dialog zig Mal besseres zustande bringt, als die Koalitionsrunden hinter verschlossenen Türen.

Zusammengefasst: Die Landesregierung ist in der Klemme: einerseits spürt sie genau, dass neue Strukturen her müssen, um künftigen Entwicklungen begegnen zu können. Andererseits ist sie viel zu ängstlich, um wirklich neue Strukturen, nämlich demokratische, transparente und kompetente Entscheidungsstrukturen vor Ort, einzuführen. Es bleibt daher bei einer Symbolpolitik, die nichts zum Besseren bewegen kann. Deshalb wird der SSW dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen.

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