Rede · Lars Harms · 11.12.2014 Die Demokratie muss lernfähig sein, Fehler eingestehen und korrigieren

Ziel des Allgemeines Gleichbehandlungsgesetzes ist „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“ (§ 1) Bis zu dieser klaren Formulierung war es ein weiter Weg in Deutschland. Wir haben endlich ein klares gesetzliches Diskriminierungsverbot, das auch Arbeitgeber und Vermieter umfasst. Dies tatsächliche und allgemeine Umsetzung des Toleranzgebot steht aus, so lange auf unseren Schulhöfen das Wort schwul die Liste der bösartigen Schimpfwörter anführt. 

Schwule und Lesben werden nach wie vor diskriminiert, aus der Wohnung geschmissen, geschmäht und am beruflichen Aufstieg behindert. So sollte ein schwuler Mitarbeiter nach der Anordnung seines Filialleiters in einem Supermarkt eine Frauenbluse tragen. Dieser und andere Fälle sind im aktuellen Bericht der Antidiskriminierungsstelle nachzulesen. Dort werden in jedem Jahr zwischen 70 und 80 Diskriminierungsfälle von Schwulen und Lesben vorgebracht. Die meisten Fälle werden nicht öffentlich, weil die Opfer keine Hetzjagd riskieren wollten. 

So sieht die gesellschaftliche Realität aus.

Und es sind nicht immer die Anderen, die diskriminieren, sondern auch der Gesetzgeber ist davon nicht frei. Die Bundesrepublik hat bis zur Strafrechtsreform 1969 eine ganze Generation von Männern, die Männer liebten, um ihr Lebensglück betrogen. Sie hat die Liebesbeziehung der Schwulen und Lesben kriminalisiert und beschmutzt. In der DDR sah es genauso aus, dass Schwule und Lesben verfolgt und verurteilt wurden. 

Die Diskriminierung geht weiter. Denn die Gesetze gelten zwar nicht, wirken aber weiter. Die Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Identität verurteilt wurden, erhalten nämlich keine Entschädigung – es sei denn, die Verurteilung lag in der Zeit des Nationalsozialismus. Das demokratische Deutschland verweigert bislang eine Entschädigung uns schafft eine Zweiklassen-Diskriminierung. Das ist ein unerträglicher Zustand, der umgehend behoben werden muss. 

Die Urteile müssen rückwirkend aufgehoben werden und Entschädigungsansprüche umgehend geprüft und anerkannt werden. Das ist inzwischen allgemein anerkannt und durch einen Beschluss des Bundesrates auch festgelegt. Der stammt allerdings aus dem Oktober 2012.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der lange zeitliche Vorlauf, mit dem wir es zu tun haben, voll beabsichtigt ist – um die Ansprüche zu verkleinern. Schließlich sterben jedes Jahr Berechtigte und können ihre Ansprüche nicht mehr durchsetzen. Seit dem Beschluss des Bundesrates sind auch schon wieder zwei Jahre ins Land gegangen. 

Wir lassen die Opfer hängen. Das ist für eine Demokratie einfach unwürdig. 

Aber es geht auch noch um etwas anderes. Das Unrecht von damals muss aufgearbeitet werden, damit auch heutige Generationen erkennen, dass Demokratie lernfähig ist und bereit ist, Fehler einzugestehen und zu korrigieren. Wie sollen wir glaubwürdig bleiben, wenn wir Toleranz als Bildungsauftrag verstehen, aber sie selbst nicht umsetzen? Diese Urteile waren falsch und müssen darum aufgehoben werden.

Seit einem Jahr gehört Schleswig-Holstein zur Koalition gegen Diskriminierung an. Das war ein bewusster Schritt. Wir haben uns verpflichtet, gemeinsam gegen Diskriminierung anzugehen. Der SSW ist davon überzeugt, dass der vorliegende Vorstoß dieses Ziel tatkräftig umsetzen wird. Der Schutz vor Diskriminierung beinhaltet im Falle der Schwulen und Lesben nämlich die unverzügliche Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 Verurteilten. 

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