Tale · Flemming Meyer · 23.03.2001 16. Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten

Ich muss gestehen, dass mich der vorliegende Bericht der Bürgerbeauftragten wieder betroffen gemacht hat. Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig unsere moderne Gesetzgebung und Verwaltung in der Lage ist, auf die aktuellen Bedürfnisse einzelner Bürgerinnen und Bürger einzugehen. Es ist Aufgabe der Bürgerbeauftragten, Menschen zu helfen, die in unserem System nicht ausreichend berücksichtigt und gerecht behandelt werden. Die vielen Beispiele machen wieder einmal deutlich, wie wichtig diese Arbeit ist. Die Bürgerbeauftragte gibt uns als Parlament wieder viele Anregungen, die nicht hier angesprochen werden können. Und deshalb bleibt auch mir nichts anderes übrig, als aus den exemplarischen Beispielen ein Beispiel auszuwählen.

Eine Anregung der Bürgerbeauftragten möchte ich aber aufgreifen: Wir meinen dass die Idee erwägenswert ist, die Eltern als Anspruchsberechtigte im Sinne des § 25 a Kindertagesstättengesetz zu machen. Damit würden die Probleme der Finanzierung von Kindergartenkindern über Gemeindegrenzen hinweg gelöst.
Vielleicht sollten wir hier sogar einmal weiter denken: Man könnte den Eltern auch generell die Zuschüsse für die Kinderbetreuung zusprechen. Dann könnten sie allgemein freier wählen, welche Form und Leistungen der Kinderbetreuung sie in Anspruch nehmen. In dieser Frage würde sich wieder einmal ein Blick nach Dänemark lohnen, wo man mancherorts solche Konten der Kinderbetreuung eingeführt hat. Die Eltern entscheiden dort selbst, ob sie eine Kindertagesstätte oder eine Tagesmutter in Anspruch nehmen oder ob sie die Kinder gar selbst zu Hause betreuen und dafür den öffentlichen Zuschuss bekommen. Mir ist klar, dass ein solches Modell auch erhebliche Nachteile haben kann. Wir sollten uns aber zumindest einmal seriös mit einer derartigen Lösung beschäftigen, weil sich bei einer guten Umsetzung auch eine ganze Reihe von Problemen vermeiden ließe. Der vorliegende Tätigkeitsbericht macht auf jeden Fall wieder einmal deutlich, dass gerade die Familien zu den Bürgerinnen und Bürgern gehören, denen wir das Leben noch viel leichter machen müssen.

Der Bericht der Bürgerbeauftragten macht auch wieder deutlich, wie weit wir im Land mit dem Projekt bürgerfreundliche Verwaltung sind. Es entsteht viel zu häufig noch der Eindruck, dass es darum geht, die Verwaltungen von den Bürgerinnen und Bürgern zu schützen. Offensichtlich wird vielfach die Parole ausgegeben, dass die öffentlichen Kassen vor den gierigen Griffen der Bürger geschützt werden müssten – auch wenn es um rechtmässige Ansprüche geht. Wir sind ganz offensichtlich noch weit davon entfernt, dass Verwaltungen nicht vorrangig Staatsdiener sind, sondern in erster Linie der Bevölkerung dienen. Sie sind da um das gesellschaftliche Zusammenleben zu ermöglichen und politisch festgelegte Ansprüche zu erfüllen. Die neue Bürgerfreundlichkeit, die nicht zuletzt im Zuge der Verwaltungsmodernisierung und neuer Steuerungsmodelle allenthalben propagiert worden ist, scheint noch immer ein theoretisches Konzept zu sein. Ich erwarte aber, dass die Verwaltungen im Land den Bürgerinnen und Bürgern zu ihren verbrieften Rechten verhelfen und diese beraten sollten, und nicht die Erfüllung von rechtmäßigen Ansprüchen verhindern. Das ist das mindeste. Ich weiss, dass die meisten Verwaltungen ihre Arbeit gewissenhaft und richtig erfüllen. Die Bürgerbeauftragte zeigt uns aber, dass es immer noch reichlich Ausnahmen gibt.

Angesichts der vorliegenden Bilanz und der hervorragenden Bestandsaufnahme noch bestehender Probleme fällt es wirklich schwer zu verstehen, weshalb CDU und FDP regelmäßig im Rahmen der Haushaltsberatung die Abschaffung der Bürgerbeauftragten fordern. Es kann nur so sein, dass den Haushältern von CDU und FDP jedes Jahr bei ihrer panischen Suche nach Gegenfinanzierungsvorschlägen vergessen, was in den Tätigkeitsberichten der Bürgerbeauftragten steht. Anders ist das gar nicht zu erklären, denn jede Zeile des vorliegenden Berichts liest sich wie eine „unbefristete Aufenthaltsgenehmigung“ für die Bürgerbeauftragte.

Es kann gar keinen Zweifel geben, dass wir in Schleswig-Holstein eine Person brauchen, die sich gegenüber den Verwaltungen und dem Parlament für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger stark macht. Wir erwarten, dass die Arbeit der Bürgerbeauftragten jetzt in vollem Umfang weitergeführt wird. Wir fordern sogar, dass die Institution der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten in Schleswig-Holstein an dem rheinland-pfälzischen Bürgerbeauftragten-Modell ausgerichtet wird, das auch der skandinavischen Institution des Ombudsmannes entspricht.

Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten muss zur Eingangsinstanz für Eingaben werden. Wer ein Problem mit Behörden hat, soll sich immer als erstes an die Bürgerbeauftragte wenden können. Der Eingaben-Ausschuß soll nicht abgeschafft werden. Im Gegenteil könne sich durch eine regelmäßige Berichtspflicht der Beauftragten an den Eingabenausschuß eine fruchtbare Zusammenarbeit ergeben. Aber es ist sinnvoll eine niedrigschwellige Anlaufstelle zu schaffen, und dafür ist das Büro der Bürgerbeauftragten besser geeignet. Nur die Bürgerbeauftragte hat das richtige Maß aus Nähe und Distanz zum Parlament; nur eine weitgehend unabhängige Ombudsperson kann das Vertrauen möglichst vieler der Bürgerinnen und Bürger gewinnen und auch mal der Landespolitik die Stirn bieten. Ein entsprechender Vorschlag des SSW ist leider in der letzten Legislaturperiode nicht auf besonders viel Gegenliebe gestoßen.

Der vorliegende 16. Tätigkeitsbericht der Bürgebeauftragten ist das berufliche Vermächtnis Sigrid Warnickes. Er hinterlässt uns eine Reihe von offenen Fragen und Problemstellungen allgemeinen Charakters. Ein letztes Mal zeigt Frau Warnicke uns auf, wo hinter den Einzelschicksalen die Fallen der Bürokratie lauern. Denn Frau Warnicke, das sei nochmals wiederholt, hat nicht nur gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Menschen bei konkreten Problemen beigestanden. Sie hat auch die große Gabe gehabt, den Abgeordneten vermitteln zu können, wo sich allgemeine gesetzliche Mängel verbergen. Das zeigt auch die beeindruckende Bilanz der Erfolge, die in dem vorliegenden Bericht nachzulesen ist. Frau Warnicke hat nicht nur Einzelfalllösungen erreicht, sondern auch Anstöße für die Änderung von Gesetzen und Verordnungen gegeben. Die Nachfolgerin oder der Nachfolger von Frau Warnicke müssen in sehr große Fußstapfen treten.

Auch der SSW möchte selbstverständlich heute die Bürgerbeauftragte mit einem Blumenstrauß ehren. Aber noch so viele Blumen und Danksagungen werden aber nicht der Arbeit Sigrid Warnickes gerecht. Der einzig richtige Dank für Sigrid Warnicke ist es, wenn wir uns in den Ausschüssen mit jedem einzelnen der offenen Probleme auseinandersetzen und so viele dieser Mängel wie möglich durch Gesetze oder auf anderem Wege ändern.

Lassen sie mich abschließend etwas zur Nachfolge von Frau Warnicke sagen. Ich wünsche den Mehrheitsfraktionen sehr viel Augenmass bei der Neubesetzung dieses Postens. Er hat gerade den großen Vorteil gehabt, dass er aufgrund der Ansiedlung beim Parlament nicht partei-politisiert war. Durch die öffentliche Diskussion um die Nachfolge und die öffentliche Zurschaustellung der fraktionsinternen Entscheidungsprozesse hat man uns einen Bärendienst erwiesen. Die Bürgerbeauftragte gehört nicht der SPD sondern dem gesamten Landtag. Deshalb hoffe ich, dass wir bald gemeinsam eine würdige Nachfolgerin oder einen würdigen Nachfolger für Sigrid Warnicke wählen können.

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