Tale · Flemming Meyer · 16.12.2010 Änderung des Landeswahlgesetzes

Die Regelungen für den Ablauf von Wahlen gehören zu den Grundfesten der Demokratie. Das Landeswahlgesetz wird vom Landtag beschlossen, das kann nicht anders sein, aber das Wahlrecht gehört dem Volk und nicht den Parteien. Gerade weil das Parlament in der Vergangenheit diesem Anspruch nicht immer gerecht geworden ist, hat das Landesverfassungsgericht der Politik einen Fingerzeig geben müssen, wie sie mit dem Wahlgesetz umzugehen hat. Vor diesem Hintergrund hätte auch der SSW es vorgezogen, wenn die Fraktionen heute eine parteienübergreifende Antwort auf das Urteil vom 30. August hätten vorlegen können. Die Bemühungen des Landtagspräsidenten um einen Konsens haben große Anerkennung verdient. Trotzdem sehen wir uns nicht imstande, auf einen Kompro-miss einzugehen, bei dem das interfraktionelle Vorgehen Vorrang vor einer angemessenen Antwort auf das Verfassungsurteil hat. Denn das Landesverfassungsgericht hat dem Landtag einen klaren Auftrag erteilt: Die Wahlrechtsgleichheit in Schleswig-Holstein ist aus dem Lot und muss wiederhergestellt werden.

Für die notwendigen Reparaturen hat das Gericht dem Landtag einen Werkzeugkasten mit rechtlichen Stellschrauben hingestellt. Hierzu gehört vor allem, dass die verzerrende Deckelung des Mehrsitzausgleichs aufgehoben werden muss. Nur so lässt sich verhindern, dass Parteien wieder ohne Zweitstimmenmehrheit die Mehrheit der Sitze im Landtag bekommen können. Gerade diese Konstellation, die seit der Landtagswahl 2009 Bürger, Zeitungskommentatoren und Wahlrechtsexperten auf die Palme gebracht hat, war ja auch die Ursache für unsere Klage beim Landesverfassungsgericht. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass nun ein einmütiger Landtag den vollen Ausgleich von Überhang-mandaten anstrebt.

Erfreulich ist es ebenfalls, dass der gesamte Landtag am Zweistimmenwahlrecht festhält. Dies war zwar auch eine der vom Gericht benannten Faktoren. Das Zweistimmenwahlrecht ist aber eine kleinere Schraube und hat keine ausschlaggebende Funktion, wenn es darum geht, das Ausufern der Mehrsitze zu verhindern. Die Erfahrungen von Kommunalwahlen und früheren Landtagswahlen zeigen, dass auch mit einem Einstimmenwahlrecht viele Überhangmandate entstehen können. Demgegenüber bietet das Zweistimmenwahlrecht mehr demokratische Gestaltungsmöglichkeiten für die Wählerinnen und Wähler. Bei der Abwägung von Vor- und Nachteilen für die Bürger wird der Landtag sich deshalb im Interesse der Wahlbevölkerung für den Erhalt der Zweitstimme einsetzen.

Die dritte und größte Schraube, die das Landesverfassungsgericht dem Landtag in den Werkzeugkoffer gelegt hat, ist die Zahl der Wahlkreise und daraus folgend die Anzahl der Direkt-mandate im Landtag. Denn es ist nun einmal die hohe Zahl von Direktmandaten, die zu Überhangmandaten führt und zur Überschreitung der Zielgröße von 69 Abgeordneten in der Landesverfassung. Zugegeben, die Zahl 69 ist nicht heilig, jedenfalls nicht im Wahlrecht. Das Landesverfassungsgericht hat in seiner Urteilsbegründung nur bemängelt, dass das geltende Wahlrecht nicht geeignet ist, die verfassungsrechtliche Vorgabe 69 zu erreichen. Die Politik hat natürlich jederzeit das Recht, mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit die Verfassung zu ändern. Aber trotzdem kommen wir natürlich nicht um die Vorgeschichte herum. Der Landtag hat selbst entschieden, die Zielgröße 69 in der Landesverfassung zu verankern. Er hat dies getan, weil er den Bürgerinnen und Bürgern im Zuge der Diätenreform 2003 verdeutlichen wollte, dass die neue Diätenstruktur nicht zu einem teureren Landtag führen würde. Dass dabei handwerklich gepfuscht wurde, können wir heute sehen. Es hat nicht funktioniert, aber die Frage ist nun, ob es die richtige Antwort ist, wieder einen größeren Landtag in Kauf zu nehmen. Wer die Zahl 69 ändern will, muss den Menschen erklären, weshalb er jetzt einen größeren Landtag für erforderlich hält. Wir können es nicht und der SSW kann auf keinen Fall einer Lösung zustimmen, bei der schon jetzt abzusehen ist, dass wir in der Praxis wieder Landtage mit bis zu 100 Abgeordneten bekommen. Denn es gibt auch die Möglichkeit, durch eine Reduzierung der Wahlkreise an der Zielgröße 69 festzuhalten und nur geringe Abweichungen zuzulassen. Die großen Parteien verweisen darauf, dass mit einer Reduzierung der Direktwahlkreise das Element der Persönlichkeitswahl zurückgedrängt würde. Dass dieser Konflikt aber untergeordnet ist, zeigt das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes für die Grünen. Das entscheidende verfassungsrechtliche Kriterium ist die Erfolgswertgleichheit der Stimmen. Dies bedeutet, dass die Mehrheitswahl immer der entscheidende Moment sein wird.

Die CDU und die SPD betrachten die Wahlkreise aber offensichtlich als ihr Eigentum, ansonsten lässt es sich nicht erklären, dass sie sich durch einen verkleinerten Landtag schon im Nachteil sehen. Es ist etwas befremdlich, wenn der CDU-Fraktionsvorsitzende der dpa gegenüber lamentiert, er sei „im Moment der einzige, der zu seinen Abgeordneten gehen muss, um zu sagen, ihr seid im nächsten Landtag nicht mehr vertreten“. Wenn die Zahl der Wahlkreise stärker reduziert würde, dann trifft es alle. Es wird natürlich auch bei den anderen Parteien Mandate kosten, es kann für den SSW zum Verlust des Fraktionsstatus führen und verringert die Chancen auf ein Direktmandat. In einer kleinen Fraktion hat jedes einzelne Mandat eine ungleich größere Bedeutung für die Arbeit als in einer großen Gruppe. Also unterstellen Sie uns nicht, wir würden nur an uns selbst denken. Dieser Prozess wird für alle schmerzhaft, aber das darf uns nicht davon abhalten, ein sauberes Wahlgesetz zu beschließen.

Dasselbe gilt für das mathematischen Verfahrens, mit dem die Wählerstimmen in Landtags-mandate umgerechnet werden. Es gibt gute Gründe, das Höchstzahlverfahren nach d´Hondt abzuschaffen. Wir fordern die Umstellung auf die Methode Sainte Laguë/Schepers, die zu genaueren Ergebnissen führt und so dem Gebot der Erfolgswertgleichheit der Stimmen besser Rechnung trägt. Gerade in Verbindung mit dem Zählverfahren wird den kleinen Parteien der Vorwurf gemacht, eigene Interessen zu bedienen. Und natürlich ist ein anderes Berechnungsverfahren günstiger für uns, weil D’Hondt kleinere Parteien tendenziell benachteiligt. Aber das entscheidende ist, dass die Methode Sainte Laguë/Schepers gerechter ist, weil sie so genau wie möglich das Wählervotum widerspiegelt. Das oberste Ziel ist die Erfolgswertgleichheit und die ist bei diesem Zählverfahren größer.

Dies gilt auch für die Frage, wie weit die Größe eines Wahlkreises vom Durchschnitt abweichen darf. Das Verfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass anstelle der geltenden 25 % Toleranzgrenze maximal eine Abweichung von plus/ minus 15 % der Wahlkreisdurchschnittsgröße anzustreben ist, damit alle Stimmen annähernd das gleiche Gewicht haben. Der SSW ist offen für eine Diskussion darüber, ob die Wahlkreise dabei nach Bevölkerung oder Anzahl der Wahlberechtigten zugeschnitten werden. Was aber nicht geht, ist, dass man das Votum des Gerichts einfach ignoriert und eine 20%-Grenze wählt.

CDU, FDP und SPD haben nicht einmal den Versuch unternommen, die Hausaufgaben zu lösen, die das Landesverfassungsgericht der Politik auferlegt hat. Insbesondere die beiden größten Parteien behandeln das Verfassungsgerichtsurteil wie eine Art Orakelspruch, der je nach Lust und Laune ausgelegt werden kann. Sie erliegen abermals der verhängnisvollen Versuchung, zuerst an die Partei zu denken. Das ist aber genau die Denkweise, die uns die aktuellen verfassungsrechtlichen Probleme eingebrockt hat. Aus diesem Grund hat der SSW gemeinsam mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen eigenen Gesetzentwurf zur Änderung des Wahlgesetzes eingereicht. Unsere Eckpunkte werden dem Verfassungsgerichtsurteil gerecht und halten als einzige das Versprechen, dass der Landtag künftig nicht zu groß sein wird.

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