Tale · Flemming Meyer · 17.10.2001 Bekämpfung des Terrorismus

„Die Politik der Inneren Sicherheit muss mit einem feinen Skalpell arbeiten, nicht mit dem Buschmesser“

Es ist sicherlich richtig, dass seit dem 11. September die Tagesordnung der Welt eine andere ist. Aber es ist nicht alles richtig, was nach dem 11. September auf der politischen Tagesordnung steht. Da reicht es nicht zu sagen, dass der Terrorismus Angst macht und ein wachsendes Bedürfnis nach Sicherheit schafft - dass der Terror den Weg nach Deutschland finden könnte. Auch die Lösungen, die uns angeboten werden, wecken Besorgnis.

Besonders erschreckend ist es für den SSW, dass jetzt Maßnahmen Hochkonjunktur haben, die wir bisher als untaug­lich für die Kriminalitätsbekämpfung oder schädlich für die freiheitlichen Grundrechte ange­sehen haben. Jetzt kommen schnell Lösungen auf den Tisch, die schon lange in Schubladen verstauben - alte Schreckensinstrumente, die angeblich neuen Probleme lösen werden. Als Universal­lösung wird uns einmal wieder die Überwachung präsentiert. Man muss sich aber vor Augen halten, dass auch die vorge­schlagenen Maßnahmen nicht das Inferno am World Trade Center verhindert hätten.

Seit dem 11. September haben die Bürgerinnen und Bürger hierzulande ein Stück Sicherheit verloren, das sie gern wieder haben möchten. Der rücksichtsvolle Umgang mit solchen Ängsten ist ein legitimes politisches Ziel. Trotzdem muss eines in diesen Tagen betont werden: Verant­wortungs­be­wusste Politik handelt nicht von der schnellsten Lösung, sondern von der effektivsten. Es geht darum, wirksam den Terrorismus zu bekämpfen, ihn vorbeugend zu verhindern.

Aber wir gewinnen nichts, wenn wir die Freiheitsrechte jetzt gegen die Sicherheit ausspielen. Ebenso wie Freiheit die innere Sicherheit voraussetzt, gibt es anders herum die persönliche und öffentliche Sicherheit nicht ohne die Freiheit. Es wäre wirklich fatal, wenn die Politik und die Bürger jetzt eine Einschränkung der Bürgerrechte in Kauf nehmen, nur weil ganz schnell etwas passieren soll.

Zugegeben, die Freiheitsrechte finden dort ihre Grenzen, wo sie den Feinden der Freiheit Tür und Tor öffnen. Der Datenschutz ist keine in Beton gegossene Verfassung, sondern lebendiger Schutz der Bürger, der an die gesellschaftliche Wirklichkeit angepasst werden muss. In diesem Sinne muss auch der Schutz der informationellen Selbstbestimmung immer gegen andere Rechte in die Waagschale geworfen werden. Die Grenzen des Datenschutzes müssen nach dem 11.09. neu verhandelt werden. - Aber nicht, indem der Bundesinnen­minister schon wenige Tage nach dem Desaster die einzig richtigen Glaubenssätze zur inneren Sicherheit verkündet, sondern indem man sich seriös mit dem Für und Wider der verschiedenen Maßnahmen auseinandersetzt.

Es ist Aufgabe der Politik, die Spreu von Weizen zu trennen und festzustellen, was wirklich wirk­sam gegen Terrorismus ist. Im Moment scheint aber nur ein Wettbewerb um die härteste Politik entbrannt zu sein, in dem Argumente kaum noch zählen. Es scheint nicht einmal mehr notwendig zu sein zu begründen, weshalb Freiheitsrechte auf dem Altar der Terrorismus­bekämpfung geopfert werden sollen. Viele der Vorschläge werden einfach in die Welt gesetzt, ohne überhaupt zu erklären, wie sie denn gegen den Terrorismus wirken sollen. Dieses gilt z. B. für die - vom Kanzler wie auch vom Kollegen Wadephul favorisierte - massenhafte Einsammlung von Finger­abdrücken, Sprach­profilen und anderen Persönlichkeitsmerkmalen.

Damit meine ich, dass es jetzt erst einmal wichtig ist zu analysieren, was die beste­henden Gesetze für die Bekämpfung des Terrorismus hergeben. Immerhin sind in den letzten Jahren zig Gesetze zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität geschaffen oder geändert worden. In vielen Bereichen müssen erst die bestehenden Möglichkeiten genutzt werden. – Mit anderen Worten: Es geht nicht zuerst um Verschärfung der Regeln, sondern darum, die bestehenden Einrichtungen zu stärken und effektiv einzusetzen. Das heißt auch, dass es für uns nicht hinnehmbar ist, wenn vorgeschlagen wird, die Rechte der Geheimdienste auszuweiten oder die Bundeswehr im Inneren einzusetzen - wenn also die Trennung von Bundeswehr, Polizei und Geheimdienst aufgehoben werden soll. Zu Recht wird darauf verwiesen, dass diese Trennung zu den rechtsstaatlichen Grundprinzipien – zu den Sicherungen unserer Republik gehören. Nicht nur Elektriker wissen, was passieren könnte, wenn auf Sicherungen verzichtet wird.

Wir müssen jetzt nicht in Panik die Innen­politik neu erfinden. Gerade auch, weil wir bisher keine Erfahrung mit dieser Form des Terrors gehabt haben, ist es falsch zu behaupten, dass die bisherige Politik der inneren Sicherheit vollkommen geändert werden muss. Es muss erst einmal unterschieden werden zwischen Maßnahmen, die wirksam den Terror­is­mus bekämpfen können, und Maßnahmen, die dieses nur vorgeben. Auch bei den vom Kollegen Wadephul vorge­schlagenen Ideen haben wir teilweise erhebliche Zweifel, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen im Einzelfall wirklich Terroristen stoppen können. Das gilt aber nicht für alles.

Eines möchten wir ganz sicher nicht: Dass bei ausländischen und deutschen Bürgern unterschiedliche Rechts­maßstäbe angewandt werden. Das gilt auch für die schwierige Frage der Abschiebung. In diesem Bereich benötigen wir ganz sicher keine Verschärfung; die bisherigen Regelungen reichen aus.

Die Einrichtung einer Einheit für islamischen Extremismus beim Landesamt für Verfassungs­schutz macht vom Ansatz her Sinn, weil wir bisher nicht ausreichend Informationen über dieses Problem haben. Wir begrüßen deshalb auch dementsprechende Pläne der Landesregierung. Allerdings warnen wir jetzt schon vorbeugend davor zu glauben, dass Mittel für diese neuen Aufgaben bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus’ genommen werden können, wie es die Bundesregierung schon vorgeschlagen hat. Es dient bestimmt nicht der inneren Sicherheit, wenn die Mittel vom Rechtsextremismus zum extremistischen Islamismus umgeschichtet werden. Skinheads schlagen in Deutschland immer noch öfter zu als extreme Islamisten.

Was die Katastrophenschutz- und Alarmplanung betrifft, muss eine Überprüfung statt­finden. Es sind neue Gefahrenszenarien entstanden, die entsprechende Maßnahmen erfordern. Die Lan­des­regierung hat hier bereits entsprechende Vorhaben zur Verbesserung der Ausrüstung ein­ge­leitet. Allerdings glauben wir nicht, dass wir durch eine personelle und sachliche Ver­stärkung von Organisationen des Katastrophenschutzes auf „die Folgen der terroristischen Gewalt in der jetzt deutlich gewordenen Dimension“ vorbereitet sein können - und müssen, wie es im CDU Antrag heißt. Wir müssen auch der Tatsache ins Auge sehen, dass wir nicht jederzeit für alles vorbeugend gewappnet sein können.

Wie hilflos die Menschen hierzulande vor dem Trümmerhaufen von Manhattan stehen, zeigt auch die Wieder­auferstehung der Kronzeugenregelung. Wir lehnen sie entschieden ab. Wir haben grundsätzlich nichts dagegen, dass straffälligen Menschen mit Wissen über Anschläge ein Notausgang geöffnet wird. - Ganz davon abgesehen, dass es naiv erscheint zu glauben, dass brandgefährliche, zum Selbst­mord bereite „Schläfer“ ein schlechtes Gewissen bekommen. - Wenn es Menschenleben retten kann, muss es trotz allem möglich sein. Wir meinen aber nicht, dass Straftäter dadurch einer Bestrafung entgehen sollen. Es darf nur um eine Strafmilderung gehen, wie es rot-grün in Berlin vereinbart haben.

Die Bundesmittel für die Bereitschaftspolizei sind gekürzt worden, und das war falsch. Deshalb können wir der Forderung nach Erhöhung dieser Gelder nur beipflichten. Es ist absurd, dass der Bund auf der einen Seite seinen Beitrag für die Bereitschaftspolizeien der Länder kürzt, während der Bundes­­innenminister auf der anderen Seite die Aufgabengebiete für den Bundesgrenzschutz ausweiten möchte - und so manche gar die Bundeswehr als Wach- und Schließgesellschaft einsetzen möchte. Wir meinen, dass die Polizeihoheit der Länder nicht ausgehöhlt werden darf.

Mein Fazit lautet also: Unsere freiheitliche Demokratie baut darauf, dass der Staat nur solche Maßnahmen ergreift, die wirklich notwendig sind, um ein Problem zu lösen, und die möglichst wenig Neben­wirkungen haben. Mit anderen Worten: Die Politik der Inneren Sicherheit muss möglichst mit einem feinen Skalpell arbeiten und nicht mit dem Buschmesser – auch wenn letzteres sicherlich tatkräftiger aussieht und mehr Eindruck schindet. Im Moment scheint in der Innenpolitik aber eine Politik der markigen Worte und der Härte Konjunktur zu haben. Dass sich hierdurch der Terrorismus effektiv bekämpfen lässt, wagen wir zu bezweifeln.

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