Tale · Lars Harms · 18.06.2020 Die Öffentlich-Rechtlichen haben auch im Netz eine demokratische Funktion

Das Geoblocking innerhalb der Europäischen Union halte ich für eine absolut unnötige technische Restriktion.

Lars Harms zu TOP 18A/35 - Entwurf eines Gesetzes und Antrag zum Staatsvertrag zur Medienordnung in Deutschland  (Drs. 19/2177 und 19/2192)

Ich kann meinen Kindern nicht erklären, dass sie bis um 20 Uhr auf einen Film warten müssen oder dass der Film, der letzte Woche lief, nicht mehr verfügbar ist. Die „Generation online“ ist es gewohnt, Inhalte immer verfügbar zu haben; Handy und Tablet immer dabei. Das mag man persönlich seltsam finden, ist aber für die jungen Menschen eine Selbstverständlichkeit. Auch ich lasse mich durch die Heute-App auf dem Laufenden halten. Gerade zu Beginn der Corona-Pandemie explodierten die Zahl der Online-Zugriffe, weil die öffentlich-rechtlichen Nachrichten für gute, verständliche und solide Informationen stehen.
Die öffentlich-rechtlichen Angebote müssen sich an das neue Nutzungsverhalten anpassen; tun sich aber schwer damit. Einerseits, weil immer noch viele Anhängerinnen und Anhänger linearen Fernsehens in den Chefetagen und Redaktionen sitzen. Das sieht man einigen Medientheken leider auch an: sie sind unhandlich und kompliziert. Anderseits sind aber auch die bestehenden gesetzlichen Regelungen so starr, dass sie die bessere Online-Verfügbarkeit der Öffentlich-Rechtlichen  regelrecht verhindern. Ein Beispiel ist die Begrenzung der Verfügbarkeit der Tagesschau auf nur sieben Tage. Der neue Medienstaatsvertrag will das ändern. 
Dass wir es hier mit Neuland zu tun haben, merkt man bereits an dem langen Vorlauf des Verfahrens. Obwohl der Spartenkanal Einsfestival schon seit 2016 One heißt, steht er noch in §28 so drin. So lange ringen die Länder schon um die Neufassung, weil sie es eben nicht mit dem x-ten Änderungsvertrag zu tun haben, sondern mit etwas wirklich Neuem.
Ich denke, dass sich der Aufwand gelohnt hat: die öffentlich-rechtlichen Sender können jetzt endlich auf eine vertragliche Ebene beruhend, ihre Online-Angebote anbieten. Dazu müssen die Inhalte nicht mehr zwingend im Hörfunk oder im linearen Fernsehen gewesen sein. Das gemeinsame Programmdach „funk“ von ARD und ZDF zeigt, wie gut das auch ohne großes Werbebudget auf YouTube oder Instagram funktioniert. Die Inhalte haben sich herumgesprochen, so dass beispielsweise die Clips der Jugend-Serie „Druck“ mehr als 30 Mio. mal geklickt wurden.  Und natürlich immer werbefrei.
Wachsenden Zuspruch finden auch die anderen Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender und die entsprechenden Apps. Dabei ist die Kommunikation innerhalb der Social-Media-Kanäle die Achillesferse. Von Rechten gesteuerte Bots attackieren zielgerichtet den Facebook-Auftritt einzelner Sendungen, ohne dass die Redaktionen die ausreichende Manpower haben, um angemessen zu reagieren. Oftmals wird dann aus Überlastung die Kommentarfunktion geschlossen, was berechtigte Anliegen natürlich aussperrt. Das muss sich ändern, wird aber wohl von der weiteren auskömmlichen finanziellen Ausstattung der Sender abhängen. Das ist aber ein ganz anderes Thema.
Kommen wir zurück auf die jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauer. Diese haben zu Beginn der Corona-Pandemie fleißig soziale Medien als Informationsquelle genutzt. Gut, dass die Tagesschau schon vorher bei Tiktok präsent war, so dass sie im wahrsten Sinne des Wortes das Informationsbedürfnis der Jüngeren abgedeckt hat. Tiktok ist aufgrund seines restriktiven Contentmanagements natürlich nicht unumstritten; aber so lange eine eigene Medienplattform der öffentlich-rechtlichen Sender nicht in Sicht ist, sollten die Kanäle bespielt werden, auf denen die Beitragszahlerinnen und -zahler viel Tageszeit verbringen. Ansonsten kapern Verschwörungsmedien diese Kanäle. Die Öffentlich-Rechtlichen haben auch im Netz eine demokratische Funktion.
Fernsehen ist ein ideales Medium für Minderheiten. Während die Akteure auf Dänisch oder Friesisch etwas sagen, könnten alle Zuschauer eine Übersetzung per Untertitel bekommen. So gehen keine Infos verloren. Online würde das die Minderheiten sogar noch besser unterstützen: friesische Dokus können zum Beispiel mit zusätzlichen Verlinkungen im Netz laufen. Die Minderheiten verbinden darum viele Hoffnungen mit der Ausweitung des Online-Angebotes; noch fehlt aber immer noch eine angemessene Repräsentanz der Minderheiten vor und hinter der Kamera.
Ähnlich geht es den Menschen mit Behinderungen, die Simultanübersetzungen der Talkshows., Untertitel und Hörfassung nutzen. Die SPD hat einen entsprechenden Antrag vorgelegt, der noch einmal das Augenmerk auf diesen besonderen Bereich legt. Vieles wurde bereits umgesetzt oder wächst im Bestand. Allerdings halte ich die Online-Anlaufstelle für Beschwerden für eine sehr gute und innovative Idee. 
Der neue Medienstaatsvertrag stößt Türen auf, indem er Fernsehen und Hörfunk besser an das Nutzungsverhalten anpasst. Klar muss aber sein, dass das nur der Anfang sein kann. Sogar die Zeitungsverleger haben inzwischen viele Vorbehalte gegen die Online-Angebote der Öffentlich-rechtlichen Sender aufgegeben. Es liegen noch reichlich Aufgaben vor uns: Das Geoblocking innerhalb der Europäischen Union halte ich beispielsweise für eine absolut unnötige technische Restriktion. Warum kann ich im Urlaub in Frankreich nicht die Mediatheken von ARD und ZDF nutzen oder die Bundesliga anschauen, schließlich habe ich den Rundfunkbeitrag doch bezahlt? Warum gibt es nur wenige lizenzfreie Inhalte für Bildung und Privatgebrauch, zum Beispiel auf Wikipedia? Terra X hat ja gerade letzte Woche gezeigt, dass das doch technisch möglich ist. Darum bin ich davon überzeugt, dass Einschränkungen des Online-Angebotes langfristig wohl nicht zu halten sind. 
Von daher sind die Verhandlungen über den nächsten Medienstaatsänderungsvertrag unverzüglich in Angriff zu nehmen. 

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