Tale · Flemming Meyer · 14.11.2001 Ergebnisse der Pisa-Studie

Die Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudie Pisa haben in der deutschen Öffentlichkeit und in den Medien einen wahren Sturm der Entrüstung hervorgerufen. Man kann ihn vielleicht mit der Debatte vergleichen, die durch die sehr engagierte Rede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog ausgelöst wurde, über den aus seiner Sicht katastrophalen Zustand des deutschen Bildungssystems. Das war Ende 1997. Bei ehrlicher Betrachtungsweise müssen wir uns eingestehen, dass seitdem in der Weiterentwicklung unseres Bildungssystems wenig passiert ist.

Deshalb kann das schlechte Abschneiden unserer Schülerinnen und Schüler in der Pisa-Studie keinen wirklich überraschen, der sich täglich mit dieser Materie beschäftigt. Ich gebe zwar der Bildungsministerin und dem Kollegen Hay Recht, wenn sie sagen, dass wir jetzt nicht die bildungspolitischen Grabenkämpfen der 70ér Jahre wiederaufleben lassen sollten, aber dennoch müssen wir uns als verantwortliche Politikerinnen und Politiker ernsthaft fragen, ob wir mit dem aktuellen Zustand an unseren Schulen zufrieden sein können.

Ich meine nein – und das nicht erst seit den Ergebnissen der Pisa-Studie. Das habe ich in den zahlreichen bildungspolitischen Debatten hier im Landtag immer wieder deutlich gemacht. Die Ergebnisse der Pisa-Studie können also nicht ernsthaft überraschen, sie tragen aber dankenswerter Weise dazu bei, die Mängeln des bundesdeutschen Bildungssystems im internationalen Vergleich wieder ins Bewusstsein der Menschen zu rufen, und sie geben uns somit auch die Gelegenheit, die Zukunft unseres Schulwesens über unseren eigenen Tellerrand hinaus zu diskutieren.
Richtig ist es aber dennoch, dass wir jetzt keine Schnellschüsse brauchen. Die Ministerpräsidentin will Anfang nächsten Jahres zu einer Gesprächsrunde einladen, die sich ausführlich damit beschäftigen soll, was konkret zu tun ist. Das begrüßt der SSW.

Was ist dann nun so katastrophal an den Ergebnissen der Pisa-Studie? – Wobei ich unterstreichen möchte, dass man im Grunde viele der internationalen Bildungsvergleiche immer mit Vorsicht genießen sollte. Dennoch handelt es sich nach Aussagen der Expertinnen und Experten bei der Pisa-Studie um eine sehr seriöse Untersuchung der OECD, die auch von allen Mitgliedsländern vorher anerkannt worden ist. –

Natürlich sind die bescheidenen Ergebnisse der deutschen Schülerinnen und Schüler in den Disziplinen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften im internationalen Vergleich völlig unzufriedenstellend, dazu kann es keine zwei Meinungen geben. Bekanntlich haben sie einen 21. und zweimal den 20.Platz erreicht.

Aber noch viel mehr sollten uns die Ergebnisse in der Lesekompetenz mit einem 27. Platz von 31 Nationen beunruhigen. Gerade die Fragen in der Lesekompetenz hatten zum Ziel, nicht nur die Deutsch- oder Literaturkenntnisse zu prüfen, sondern die „Cleverness“ der Schülerinnen und Schüler. Ein Lesetest-Versagen in diesem Bereich zeige laut OECD-Koordinator Andreas Schleicher, dass diese Personen die zukünftigen Herausforderungen an das Leben in Familie, Beruf und Gesellschaft wahrscheinlich nicht werden bewältigen können. Fast 25% der getesteten Schülerinnen und Schüler hatten Probleme in diesem Bereich, der ja auch über die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft entscheidet.

Dazu sollte uns beunruhigen, dass die Leistungsunterschiede zwischen den Besten und den Schlechtesten in fast keinem Land so krass ausfallen wie in der Bundesrepublik. Das mag zum einen an den vielen ausländischen Schülerinnen und Schülern liegen. - Wobei es schon fast einen Skandal darstellt, wenn der bayrische Ministerpräsident in diesem Zusammenhang fordert, dass Zuwanderungsgesetz abzulehnen, weil sonst angeblich noch mehr ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger ins Land kommen. Das ist Populismus pur und lässt Böses für einen kommenden Bundeswahlkampf ahnen.

Zum anderen kann man aber in dieser Debatte nicht übersehen, dass das deutsche Schulwesen nicht zur Integration von schwachen Schülern gleich welcher Nationalität – aber insbesondere auch nicht der deutschen Pennäler beiträgt. Denn der typische schwache Leser ist laut Pisa der männliche Jugendliche aus einer Migranten- oder sozial benachteiligten Familie. Mädchen schneiden beim Leseverständnis wesentlich besser ab als die Jungen.

Das heißt, das Ziel durch die Bildungspolitik, Chancengleichheit und gesellschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen, wird hierzulande scheinbar überhaupt nicht erreicht. Das ist angesichts der bildungspolitischen Diskussion der letzten dreißig Jahre äußerst ernüchternd. Was ist also zu tun?

Die Bildungsministerin sieht die Hauptprobleme im Unterricht selbst. Sie ist der Meinung, dass beispielsweise das anwendungsbezogene Wissen und das Verständnis von Texten – insbesondere den schwächeren Schülern – nicht gut genug vermittelt wird. Sie vertritt dazu die Auffassung, dass wir eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Eltern und Bildungseinrichtungen brauchen und bereits im Kindergarten unsere Kinder besser mit Texten und Büchern vertraut machen sollten. Auch die Ausbildung und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer muss besser werden.

Alle angesprochenen Punkte sind richtig und werden auch von SSW unterstützt. Das heißt, das Umfeld und der Inhalt von Schule müssen verbessert werden - in einer gemeinsamen Anstrengung von Eltern, Lehrkräften und Politikern, die ja die Rahmenbedingungen setzten. Wenn das gesagt ist, kommen wir aber dennoch nicht herum, die Frage der Ressourcen und Strukturen zu diskutieren.

Auch bei den Ressourcen, die die Bundesrepublik per Schülerinnen und Schüler einsetzt, liegen wir relativ weit hinten im Feld der Industrienationen. Das dieses ein faktisches Problem ist, zeigt ja auch, dass wir in fast allen Bundesländern ein Problem mit der Unterrichtsversorgung haben. Kurz gesagt: wir müssen mehr Ressourcen für die Bildung freisetzen ,wenn wir im internationalen Vergleich auch in Zukunft mithalten wollen.

Dazu sollte es aus Sicht des SSW allen Verantwortlichen zu denken geben, dass in den weitaus meisten Industrieländern, die im Schulleistungstest Pisa weit vor der Bundesrepublik liegen, die Schülerinnen und Schüler bis zur neunten Klasse gemeinsam die Schule besuchen. Ein gegliedertes Schulwesen ab der 4. Klasse gibt es überhaupt nur in der Bundesrepublik, in der Schweiz und in Österreich.

Für uns heißt das: Das gegliederte Schulsystem hat keine Zukunft. Es ist nicht nur zu teuer, sondern verschlechtert die Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler aus sozial schwachen Familien, und es trägt dazu bei, dass die Bundesrepublik ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr bringt.

Das heißt zwar nicht, dass die ungeteilte Schule immer nur gute Ergebnisse bringt oder ohne Probleme ist. So liegt beispielsweise Dänemark in vielen Bereichen nur im Mittelfeld der Pisa-Studie. Aber die ungeteilte Schule kann viel besser zur Integration der Schülerinnen und Schüler beitragen. So ist es beispielsweise bemerkenswert, dass dänische Schülerinnen und Schüler laut einer anderen Studie über einen sehr hohen Grad an sozialer Kompetenz verfügen und sehr gerne zur Schule gehen. Das liegt auch an der ungeteilte Schule.

Der SSW mahnt schon seit Jahren in den bildungspolitischen Debatten des Landtages grundlegende Reformen des Schulsystems und auch der Lehrerausbildung an. Leider versucht man immer nur an den Problemen herumzudoktern, statt endlich das gegliederte Schulsystem aufzubrechen. Die Mehrheit im Landtag war nicht einmal bereit, kleine Schritte in diese Richtung zu gehen; zum Beispiel wurde im Frühjahr die Forderung des SSW nach Einführung einer sechsjährigen Grundschule auf regionaler Ebene abgelehnt. Es geht aber kein Weg daran vorbei: wir müssen endlich eine grundlegende Reform des Schulsystems in Angriff nehmen.

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