Tale · Flemming Meyer · 27.08.1997 Große Anfrage Hospizeinrichtungen

Wir leben in einer Gesellschaft, die den Tod "institutionalisiert" hat, ihn aber nicht zu integrieren versteht. Das Sterben ist aus dem Leben verdrängt worden. Es findet hauptsächlich in Krankenhäusern und Heimen statt - aus dem Auge aus dem Sinn. Frühere Gesellschaften hatten eine Form gefunden, den Tod im Leben abzubilden und mit ihm zu leben. Die Menschen von heute stehen ihm ratlos gegenüber, weil er in ihrem Leben keinen Platz hat. In den letzten Jahren hat es in Deutschland phasenweise eine lebendige Diskussion um das Sterben gegeben. Der Skandal um die Sterbehilfe der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, die Diskussion um das medizinisch Machbare und die lebensverlängernde Gerätemedizin in Verbindung mit dem “Erlanger Baby” und die anhaltende Diskussion um Organspenden stellen unser ungeklärtes Verhältnis zur Sterblichkeit auf die Probe und provoziert uns zu Stellungnahmen. Ungeachtet der tragischen Umstände empfinde ich diese öffentlichen Debatten als belebend, weil sie eine Auseinandersetzung erzwingen. Wir brauchen eine neue Kultur, die den Umgang mit dem Tod wieder in den Blickwinkel rückt.

Eine Art, den Tod wieder ins Leben zurückzuholen, hat uns auf vorbildliche Weise die Hospizbewegung aufgezeigt. Es ist ihr nahezu einzigartiges Verdienst, ein neues, ganzheitliches Konzept der Pflege so klar und kompromißlos umgesetzt zu haben, wie es die Politik wohl nie geschafft hätte. Die Hospizbewegung, das ist bereits vertieft worden, bietet Hilfe für Sterbende ohne Gerätemedizin aber durch Leidenslinderung, Pflege, Mitgefühl und Hilfe zur Auseinandersetzung mit sich selbst. Darüber hinaus kümmert sie sich weit über den Tod hinaus um die Angehörigen, was sowohl den Sterbenden als auch den Angehörigen zugute kommt.

Die Hospizbewegung will nicht in Konkurrenz zu anderen Einrichtungen treten. Sie will eine Alternative in der Versorgungslandschaft sein, nicht dieser ihre Philosophie aufdrücken. In diesem Sinne sollten wir der Hospizbewegung helfen, ihre Aktivitäten so weit auszudehnen, wie eine Nachfrage für ihre Leistungen besteht. Ich hoffe, daß möglichst viele Menschen in Zukunft die Möglichkeit erhalten werden, dem Tod unter solchen würdigeren Verhältnissen zu begegnen. Es ist aber nicht zu erwarten, daß die Hospiz zur Grundversorgung sterbender Menschen und ihrer Angehörigen wird. Dem steht allein die betont weltanschauliche Ausrichtung der einzelnen Hospizeinrichtungen und die fehlende Kostendeckung für manche Leistungen entgegen.

Neben dem Willen, diese Bewegung bestmöglich zu unterstützen, birgt der Erfolg der Sterbebegleitung durch die Hospizbewegung für mich vor allem ein Signal für die Versorgungseinrichtungen des Gesundheitswesens und der Altenhilfe. Angesichts der Tendenz, daß Pflegeheime und Altenheime immer mehr zu Sterbeeinrichtungen werden, muß die dortige Versorgung Sterbender verbessert werden. Fortbildungsmaßnahmen und Supervision für Pflegepersonal und Ärzte finden schon statt, und sind unentbehrlich. Eine weitere an der jeweiligen Bewohnerstruktur orientierte Qualifizierung des Personals ist nötig. Aus- und Fortbildung allein wird aber nicht ausreichen. Eine bessere Vernetzung ambulanter und stationärer Versorgungseinrichtungen, eine großzügige Personalausstattung, angemessene räumliche Umgebungen und die Öffnung der Heime und Kliniken für Angehörige sind ebenfalls unentbehrlich. Die deutsche Ärzteschaft ist gefordert, ihr auf Heilung und Lebensverlängerung beruhendes Leitbild aufzugeben und auch ein möglichst leidensfreies und würdevolles Sterben als Ideal anzunehmen. Ambulante Sterbebegleiter und Selbsthilfegruppen für Angehörige brauchen eine sichere Arbeitsgrundlage, vor allem in Form von Schulung und Supervision.
Alles das erfordert einen Einsatz der Gesetzgeber. Wir müssen vor allem die finanziellen Rahmenbedingungen schaffen. Daß wir nicht die Mittel haben, um uns von heute auf morgen eine neue Kultur des Sterbens zu erkaufen, ist selbstverständlich. Ich plädiere aber für kleine, pragmatische Schritte in diese Richtung.

Ich hoffe also, daß wir mit der Großen Anfrage der CDU erst am Anfang eines Austausches darüber stehen, wie wir mit Sterben und Tod umgehen wollen, und welche infrastrukturellen Investitionen dafür notwendig sind. Handlungsbedarf ist vorhanden, aber es ist Behutsamkeit geboten, damit wir nicht gewaltsam und störend in einen Bereich hineinregieren, der sich - wie im Fall der Hospizbewegung und andere Sterbebegleitungs- und Angehörigengruppen - aus der Mitte der Gesellschaft zu entwickeln begonnen hat und auf stabile ehrenamtliche Arbeit baut.

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