Tale · Christian Dirschauer · 24.09.2020 Grundsätzliche Strukturverbesserungen sind mit der Radstrategie nicht zu erkennen

Der ökologische Umstieg vom Auto aufs Rad wird nur gelingen, wenn die Infrastruktur im deutlich messbaren Bereich wächst. Doch nicht einmal die Instandhaltung der bestehenden Radwege ist gewährleistet.

Christian Dirschauer zu TOP 30 - Umsetzung der Radstrategie Schleswig-Holstein 2030 (Drs. 19/2432)

Der Wirtschaftsminister ist angetreten, dem Fahrrad eine bessere Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Das ist lobenswert und mit der Einbindung verschiedener Akteursgruppen, unter ihnen auch den Parteien, ist seinem Haus ein großer Wurf gelungen. Wenn Expertise zusammengeführt wird, kommt meistens etwas Sinnvolles heraus. Die Erkenntnisse im BYPAD-Verfahren sind beileibe nicht neu, aber sie wurden auf eine transparente Weise diskutiert und zusammengestellt.
Es ist jetzt am Wirtschaftsministerium, die Vorschläge und Prioritäten umzusetzen. Was aber herausgekommen ist, ist eine Pressekonferenz mit dem ADFC, ein paar lesenswerte Papiere und der vorliegende Antrag.

Ich habe mir erlaubt, das Wort Strategie im Duden nachzuschlagen. Von einem genauen Plan des eigenen Vorgehens ist da die Rede, der dazu diene, das politische Ziel zu erreichen. Dann schauen wir uns mal die konkreten Maßnahmen an, die diese Strategie umsetzen sollen. Da werden genannt: Prüfung, Bericht, Errichtung von Fahrradbügeln, Netzplanung, Runder Tisch, Self-Service-Stationen und eine Mängelapp. Aus dieser Liste erschließt sich eine Strategie nicht unbedingt. Welches Ziel soll mit diesen Maßnahmen verfolgt werden? Viel anstellen, ohne viel auszugeben?

Dabei sind die Voraussetzungen doch gar nicht so schlecht. Mit den elektrisch unterstützten Fahrrädern erschließen sich gerade jetzt ganz neue Distanzen, Wegemöglichkeiten und geografische Landschaften. Das Rad ist als Fortbewegungsmittel beliebter als je zuvor. Ohne Pedelec die Hänge der Flensburger Förde zu erklimmen, ist ganz schön sportlich. Mit einem eBike ist das aber auch eher untrainierten Menschen möglich. Der Weg von und zur Arbeit ist mit diesem Gefährt eine gesunde und ökologische Alternative. Die Menschen fahren nicht erst seit Corona sehr viel mehr Rad.

Daraus resultiert aber eine wachsende Erwartungshaltung, was den Zustand der Radinfrastruktur angeht. Und die Struktur ist nicht gut. Der ökologische Umstieg vom Auto aufs Rad wird nur gelingen, wenn die Infrastruktur im deutlich messbaren Bereich wächst. Doch nicht einmal die Instandhaltung der bestehenden Radwege ist gewährleistet. Das belegt die  Umfrage der Husumer Nachrichten, deren Leserinnen und Leser im Handumdrehen ein Dutzend schlimme Radstrecken nannten. Auf Nordstrand verunglückte eine Frau in einem Elektrorollstuhl, weil der Radweg durch Wurzelaufbrüche marode ist. Dessen Sanierung liegt noch in weiter Ferne, denn der Kreis Nordfriesland hat schon vor Jahren  im Rahmen der Haushaltskonsolidierung beschlossen, dass Fahrradwege an Kreisstraßen nur dann saniert werden, wenn die betroffenen Gemeinden den Eigenanteil übernehmen. Das können sich die kleinem Gemeinden aber oft nicht leisten. Und so werden Radwege zu Radunfallwegen. Die Mängel-App wird die ersten Monate also ziemlich heiß laufen. 
 
Ein weiteres Beispiel aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde. Dort ist der Radweg von Borgstedt nach Schirnau erneuert worden, bis Holtsee geht es dann aber auf 50cm Breite weiter. Das ist für Ortsunkundige eine böse Überraschung  und außerdem echt gefährlich.  Der Wirtschaftsminister verweist dabei auf die Kommunen. Er hat ihnen angeboten, die Hälfte der  Planungs- und Bau- und Grunderwerbskosten zu übernehmen. Die Kommunen haben abgelehnt. Das Geld fehlt sogar für die Vorarbeiten; geschweige sind die Finanzmittel dann für den Ausbau da. 

Darum müssen wir die Gemeinden ganz gezielt unterstützen. Der vorliegende Änderungsantrag ist dafür der Ansatz: Unterstützung der Gemeinden nicht nur beim Neubau, sondern auch und gerade bei der Instandhaltung. Dort hapert es besonders. Die Gemeinden wissen nämlich ganz genau, wo ein Radweg zu schmal ist oder durch Wurzelaufbrüche quasi nicht mehr nutzbar ist. Sie kennen ihre Stadt gut, haben aber nicht die nötigen Mittel zur Sanierung. Das wollen wir ändern, damit die Zahl der Schilder, die vor schadhaften Radwegen warnen, nicht weiter wächst.

Eine Strategie, die die Menschen langfristig zum Umsteigen aufs Rad bewegen will, muss über die Instandsetzung hinaus den Ausbau des Radnetzes in Angriff nehmen.  Auch hier geht es viel zu schleppend voran. Im Fahrradportal des Bundeswirtschaftsministerium wurden im März die Neubauprojekte in den einzelnen Bundesländern aufgelistet. Schleswig-Holstein: Fehlanzeige. Die Gründe sind neben fehlendem Geld auch die Strukturen: so gibt es keine gemeindeübergreifende Planung in Schleswig-Holstein. Radwege enden im Nichts. Auch RadSH kann wohl kaum dieses Vakuum füllen. Es gibt keine flächendeckende Möglichkeit der Fahrradmitnahme im Öffentlichen Nahverkehr. Die Schulwege rangieren nicht ganz oben beim Radwegebau. Diese Liste der Probleme und Baustellen könnte ich fortsetzen. Grundsätzliche Strukturverbesserungen sind allerdings auch mit der Radstrategie nicht zu erkennen. 

Aber zumindest bekommen wir bald 10.000 neue Fahrradbügel.

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