Tale · Flemming Meyer · 08.10.2008 Jugend in Schleswig-Holstein

Der Maler Salvator Dali hat einmal gesagt: „Das größte Übel der heutigen Jugend besteht darin, dass man nicht mehr dazugehört.“ Eben. Darum müssen wir fragen, was die jungen Menschen heute bewegt.
Die CDU hat mit ihrer Anfrage einen weiten Bogen gespannt. Einmal mehr wird deutlich, wie heterogen die Lebensverhältnisse der jungen Menschen in Schleswig-Holstein sind, obwohl gleichzeitig durchaus ähnliche Interessen erkennbar sind. Die Politik ist also herausgefordert, flexible Maßnahmen zu entwickeln. Wir müssen uns selbst die Schere im Kopf bewusst machen, denn es gibt nicht den repräsentativen Durchschnittsjugendlichen. Ich warne darum ausdrücklich vor Verallgemeinerungen, die nur eine falsche Sicherheit vorgaukeln. Ich zitiere aus dem Bericht, Seite 7: „Kinder und Jugendliche in Schleswig-Holstein verfügen über gute Chancen für ihre private und berufliche Zukunft“. Dieses Pauschalurteil wird auf den folgenden Seiten widerlegt, und zwar gleich mehrmals. Die Chancen sind ungleich verteilt. Daran hat auch das Schulsystem seinen Anteil. Die Einführung der Gemeinschaftsschulen wird daran einiges ändern.
Richtig ärgerlich finde ich, dass die Offenen Ganztagsschulen an mehreren Stellen des Berichts als das Allheilmittel schlechthin angeboten werden. Sie helfen bei der Kooperation der Jugendträger, gewährleisten die Vernetzung mit dem Jugendzentrum, wenn sie es nicht ganz ersetzen und üben Demokratie und integrieren Migranten. Die offene Ganztagsschule kann nicht jedes Problem lösen; erst recht, wenn sie derart, wie eben ausgeführt, mit Aufgaben überfrachtet wird. Nur professionelle Kräfte im Nachmittagsprogramm gewährleisten die professionelle Umsetzung der Aufgabe.
Sicherlich besteht Einigkeit, dass die erworbene Qualifikation über die Lebenschancen entscheidet. Im letzten Schuljahr verzeichnen wir 1.180 Schleswig-Holsteiner ohne Schulabschluss. Das war statistisch fast jeder zehnte Absolvent, womit sich Schleswig-Holstein im bundesweiten Vergleich im oberen Drittel bewegt. Diese alarmierenden Zahlen weisen auf ein großes Problem hin. Die zahlreichen Angebote, den Abschluss im Rahmen einer Qualifikationsmaßnahme nachzuholen, sind beeindruckend; doch am allerbesten wäre es natürlich, wenn alle Jugendlichen bereits im ersten Anlauf einen Abschluss machen würden. Und hier werden durch das Schulsystem entscheidende Weichen gestellt. Gemeinschaftsschulen, aber auch Regionalschulen, werden glücklicherweise durchlässiger werden als ihre Vorgänger.
Credo des SSW ist die Schaffung gerechter Chancen für alle, indem die Strukturen flexibel sind und sich nach den Wünschen der Jugendlichen ausrichten können.

Viele Jugendliche sind bereit, ein Ehrenamt zu übernehmen. Leider fehlen Hinweise auf das Deutsche Rote Kreuz und die Jugendfeuerwehren, die gerade auf dem Land die Säulen des jugendlichen Ehrenamtes sind. Andererseits hört man gerade von diesen Verbänden Klagen, dass es nicht gelingt, die Jugendlichen dauerhaft als Übungsleiter oder Mitglied zu binden. Durch wachsende berufliche und schulische Beanspruchung melden sich vor allem die Jugendlichen ab dem 16. Lebensjahr ab. Dieses Phänomen ist flächendeckend. Darum erscheint es besonders sinnvoll, wenn die Sozialministerin den Vereinen bewährte Konzepte an die Hand geben könnte. Die Feuerwehren haben gute Erfahrungen damit gemacht, die Jugendlichen nach einer gewissen Zeit persönlich anzusprechen.
Abschließend zum Freizeitverhalten: „Shoppen“ mag für Kinder reicher Eltern eine häufige Freizeitbeschäftigung sein, doch die Jugendlichen geben sie gar nicht in der zitierten Studie „Jugendverbandsarbeit“ an.
Das Freiwillige Ökologische Jahr ist nach dem Bericht der Renner. Für das aktuelle FÖJ, also 2008/2009 bewarben sich fast 700 Jugendliche. Es stehen dem 150 Plätze gegenüber. Es ist unumgänglich, die Träger bei der Schaffung neuer Plätze zu unterstützen. Da sich viele Jugendliche aus anderen Bundesländern in Schleswig-Holstein bewerben, erscheint ein bundesweites Konzept überfällig.

Ein Wort zur Wohnsituation junger Erwachsener. In den letzten Jahren hat sich der Wohnungsmarkt deutlich entspannt. Eigentlich die besten Voraussetzungen, dass auch junge Menschen sich eine eigene Wohnung suchen. Vergessen wir an dieser Stelle allerdings nicht, dass die Vorgaben der Sozialzentren sehr strikt sind. In einem Hartz IV-Haushalt müssen die jungen Erwachsenen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres verbleiben, ansonsten erhalten sie keine Unterstützung. Wir haben über die bevormundende Praxis bereits gesprochen, die im Land tausende Jugendliche betrifft: Immerhin erhält jeder 7. junge Schleswig-Holsteiner Hartz IV. Ich denke, dass wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen sollten.
Die jungen Schleswig-Holsteiner sind mobil; sie nehmen für eine Ausbildung lange Wege in Kauf. Die strukturschwachen westlichen Landkreise Dithmarschen und Nordfriesland sind dabei meistens der Ausgangspunkt. Bei weitem nicht alle kehren nach Abschluss der Ausbildung in ihre Heimat zurück. Wir beobachten also eine andauernde Abwanderung qualifizierter Menschen. Zumindest in den grenznahen Bereichen sollten wir Kooperationsmodelle entwickeln. Im südlichen Dänemark beobachtet man nämlich die gleiche Wanderungsbewegung, auch wenn dort die Arbeitslosigkeit junger Erwachsenen geringer ist als bei uns. Aus zwei schwachen Akteuren einen starken zu machen, liegt in unser aller Interesse.

Wie bei allen Bevölkerungsgruppen gilt auch bei den Jugendlichen, dass sie sich selbst am besten vertreten können. Doch gerade in Sachen politische Partizipation melden sich die jungen Leute scharenweise ab. Als Abgeordneter werde ich mich nicht mit der überaus geringen Wahlbeteiligung der unter 30Jährigen abfinden. Bei den jungen Frauen zwischen 21 und 24 Jahre wählt nicht einmal die Hälfte. Über 60% von ihnen dreht der repräsentativen Demokratie den Rücken. Es ist unsere vordringliche Aufgabe, daran etwas zu ändern.
Sicherlich spielt die gefühlte Ohnmacht der jungen Menschen eine Rolle. Wer das Empfinden hat, dass die eigene Stimme keinen Widerhall findet, wird erst gar nicht zur Wahl gehen. An dieser Stelle möchte ich noch einmal für eine Revitalisierung der kommunalen Ebene werben. Nur wenn Städte und Kreise über ausreichende Finanzmittel verfügen, über deren Verwendung sie selbst entscheiden können, wird die Wahlbeteiligung steigen; übrigens nicht nur bei den jungen Wählerinnen und Wählern. Wenn sie merken, dass sie die Einrichtung eines Jugendzentrums „herbeiwählen“ können, wird ihre Motivation, zur Wahl zu gehen, steigen.
Wir benötigen also eine wirksame Kommunalreform. Wenn wir erst Kommunen haben, die stark genug sind, viele Lebensbereiche selbständig zu gestalten, bin ich mir sicher, wird auch die Wahlbeteiligung zunehmen.
Abschließend möchte ich angesichts der beunruhigenden Einmietung des „Thor Steinar“-Geschäfts in der HSH-Nordbank-Passage in Hamburg meine Erleichterung Ausdruck geben, dass rechtextremistische Tendenzen in unserem Land wirkliche Randphänomene sind. Die Zahl der Aktivisten stabilisiert sich. Das ist sicherlich der soliden Prävention in Schulen und durch die Kommunen geschuldet. Ich hoffe sehr, dass das so bleiben wird.

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