Tale · Flemming Meyer · 14.04.2005 Rede zum Tolerierungsvertrag mit SPD und Grünen

auf dem außerordentlichen SSW-Landesparteitag
am Sonnabend den 12.03.2005 in der Idrætshallen, Flensburg


Wir alle werden den 20. Februar 2005 noch lange in Erinnerung behalten. Es war eine dramatische Nacht, in der die vermeintlichen Sieger am Ende doch leer ausgingen. Und es war eine traurige Nacht, in der wir das Mandat für eine hervorragende Abgeordnete Silke Hinrichsen verloren. Es war eine Nacht, in der die Prophezeiung aus vielen frühe-ren Wahlkämpfen wahr wurde: Seit dem 20. Februar ist der SSW das vielzitierte Züng-lein an der Waage bei der Regierungsbildung in Schleswig-Holstein.

Dass diese Rolle für uns große Veränderungen mit sich bringen würde, war uns allen schon vorher klar. Dass aber so ein Unwetter über uns hernieder brechen würde, das haben wahrscheinlich die wenigsten erwartet. Wir haben alle auf die eine oder andere Art die Konsequenzen dieses Wählervotums gespürt – die SSW-Kommunalpolitiker, ebenso wie SSF-Mitglieder, die dänischen Sekretariate ebenso wie viele, viele Mitglie-der der dänischen Minderheit. Denn schon am Montag nach der Wahl – bevor über-haupt Verhandlungen zwischen den Parteien begonnen waren – brach buchstäblich eine Lawine los. Die SSW-Landtagsgruppe, der SSW-Landesverband und viele andere wurden mit einer Flut von Anrufen, E-Mails und Briefen von empörten Mitbürgerinnen und Mitbürgern zugeschüttet.

Aus Sicht vieler Menschen hat eine kleine privilegierte Gruppe von Dänen CDU und FDP den Wahlsieg geklaut. Uns wurde vorgeworfen, wir würden die Demokratie mit Füßen treten. Es wurde gesagt, wir würden den Mehrheitswillen der Schleswig-Holsteinischen Bevölkerung nicht akzeptieren. Dazu würden wir unser Minderheitenprivileg – also die Befreiung von der 5%-Hürde – missbrauchen. Es kam aber noch schlimmer. Einige – glücklicherweise wenige - sagten, dass Dänen nicht über Deutsche bestimmen dürfen. Oder noch schlichter: Dänen raus aus Schleswig-Holstein!

Ich glaube, wir waren alle über diese heftigen Reaktionen geschockt. Denn bei allem Verständnis für die Enttäuschung der CDU- und FDP-Wähler ist es unerträglich, wenn aus einem Wahlergebnis – das die Bürger dieses Landes bestimmt haben – die Begrün-dung für eine dänenfeindliche Kampagne wird. Deshalb verstehe ich sehr gut, wenn viele unserer älteren Persönlichkeiten aus der Minderheit öffentlich fragen: Ja, haben wir denn über 50 Jahre vergebens für die Gleichstellung der dänischen Minderheit ge-kämpft? Haben wir uns umsonst für unsere Rechte als Staatsbürger in diesem Land eingesetzt? War die freundschaftliche Annäherung zwischen uns und der deutschen Mehrheitsbevölkerung nur eine Utopie?

Dies sind nicht unberechtigte Fragen. Denn die Hass-Tiraden gegen die dänische Min-derheit kommen wenige Wochen vor dem 50-jährigen Jubiläum der Bonn-Kopenhagener Erklärungen. Die Feiern, Staatsakte und Fernsehprogramme aus diesem Anlass sind längst geplant. Es sollte ein Fest der Freude werden, in dem wir uns gegen-seitig darin bestätigen, dass wir es gemeinsam weit gebracht haben. Und jetzt dies. Aber wir lassen uns dieses Jubiläum nicht verhageln! Und schon gar nicht von Men-schen von anderswo in Deutschland, die nicht kapiert haben, wie wichtig das friedliche Miteinander von Deutschen und Dänen für das Leben in unserer Region ist.

Mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen wurde der Impuls zu wichtigen Minderhei-tenrechten auf beiden Seiten der deutsch-dänischen Grenze gegeben. Dazu gehört die gegenseitige Anerkennung von Schulabschlüssen der Minderheitenschulen. Und dazu gehört auch die Befreiung des SSW von der 5%-Klausel zu Landtags- und Bundestags-wahlen. Dieses Privileg hat nichts mit dem Schutz der Minderheit zu tun. Es ist ein Stück gelebte Demokratie, denn es wurde dem SSW gegeben, damit wir auf gleicher Augenhöhe politisch mitreden und mitgestalten können. Und dieses Recht lassen wir uns nicht nehmen.

Trotz vollmundiger Drohungen nach der Wahl kann man uns diese Regelung auch nicht nehmen. Sie wurde erst wenige Tage vor der Landtagswahl - am 14. Februar - vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Was aber noch viel wichtiger ist: Bis vor wenigen Wochen hat keine Partei diese Regelung in Frage gestellt. Sie ist ein Teil des hochgelob-ten deutsch-dänischen „Modells“ im Grenzland.

Die Mitglieder der dänischen Minderheit und auch die mit uns zusammenarbeitenden Friesen sind deutsche Staatsbürger mit den gleichen Rechten und Pflichten wie alle anderen. Wir sind keine Bürger zweiter Klasse. Unsere beiden Stimmen im Landtag zählen mit. Und deshalb ist es Mathematik für Grundschüler, dass die CDU und die FDP mit 34 von 69 Mandaten eben nicht über die Mehrheit im Landtag und in der Bevölke-rung verfügen. Im übrigen gilt: Wer auch immer Ministerpräsident oder Ministerpräsi-dentin in Schleswig-Holstein werden will, muss im Landtag bis 35 zählen können. So, einfach ist das! CDU und FDP verfügen nur über 34 Landtagsmandate von insgesamt 69 Abgeordneten im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Das reicht nun einmal nicht.

Wer auch immer uns Wahlbetrug vorwirft, ignoriert die Tatsache, dass SSW, SPD und die Grünen zusammengerechnet über 48% der Stimmen aller Bürgerinnen und Bürger bekommen haben, CDU und FDP aber nur 46 %. Das einzige, was an den Anwürfen richtig ist, ist dass die CDU größer geworden ist als die SPD. Das allein kann uns aber nicht dazu verpflichten, einzig die CDU zu unterstützen. Vielen Menschen fällt es aber offensichtlich sehr schwer zu verstehen, dass die Partei mit den meisten Mandaten oder mit dem größten Stimmenzuwachs nicht automatisch die Landtagswahl gewon-nen hat. Dieses Demokratieverständnis wundert mich sehr, und es scheint zudem nur zu gelten, so lange die CDU die größte Partei ist. So etwas können wir nicht akzeptie-ren.

Auch eine andere Diskussion hat uns verwundert: Was ist eigentlich so schlimm daran, dass eine nationale Minderheit im Parlament eine Regierung unterstützt? Es ist schon längst europäische Normalität, dass sich Regierungen auf die Stimmen von nationalen Minderheiten stützen. Die ungarische Minderheit in Rumänien hat in einer Koalitions-regierung gesessen, die schwedische Minderheit in Finnland unterstützt schon seit den 30iger Jahren viele Regierungen aktiv, und in Spanien haben katalanische Parteien in der Zentralregierung in Madrid mit regiert.
Auch das Überleben der dänischen Minderheitsregierung von Poul Nyrup Rasmussen wurde 1998 durch ein Mandat von den Färöer-Inseln gesichert. Darüber hat es in Dä-nemark keine große Aufregung gegeben. Denn die so genannten „nordatlantischen“ Abgeordnete von den Färöern und Grönland gelten als normale „Folketingsmandate“, obwohl sie auch einen gewissen „Minderheitenschutz“ genießen. Aus minderheitenpo-litischer Sicht ist das Mitwirken nationaler Minderheiten bei der Regierungsbildung also geradezu ein Ausdruck für die gelungene Integration einer Minderheit in die Ge-sellschaft. Wenn dies in ganz Europa gilt, dann muss es auch in Deutschland und in Schleswig-Holstein gelten können.


Der SSW wird sich nicht einschüchtern lassen. Wir werden weiterhin den Weg gehen, den wir für richtig halten. Das schulden wir unseren 52.000 Wählerinnen und Wählern. Wir werden weiterhin nach der Wahl genau das tun, was wir auch vor der Wahl gesagt haben. Dieser Parteitag hat im September einstimmig beschlossen: Wenn es zum Patt zwischen den beiden Blöcken Rot-Grün oder Schwarz-Gelb kommt, dann ist der SSW bereit, Verantwortung für Schleswig-Holstein zu übernehmen. Wir haben gesagt: Wenn wir das Zünglein an der Waage sind, dann werden wir eine Minderheitsregie-rung nach skandinavischem Vorbild unterstützen. Und wir haben gesagt: Wir werden mit allen Parteien auf der Grundlage unserer Kernforderungen und unseres Wahlpro-gramms über die Bildung einer Minderheitsregierung verhandeln. - Ich weiß, dass wir auch im September die Möglichkeit einer Teilnahme des SSW an einer Koalition disku-tiert haben. Für mich, für Lars, für Silke und für den Landesvorstand war dieses aber nur eine reelle Option, wenn der SSW zumindest 5% erreicht hätte. Das war nicht der Fall, und wir glauben, dass für die Partei in der jetzigen Situation eine Tolerierung das Beste ist.

Der SSW hat sein Wort gehalten! Schon Montag nach der Wahl hat der Landesvorstand einstimmig beschlossen, mit den beiden großen Parteien SPD und CDU Sondierungsge-spräche aufzunehmen. Wir haben bei den Gesprächen mit der SPD erfahren, dass sie und die Grünen bereit wären, in konkrete Verhandlung über eine Tolerierung mit dem SSW zu treten. Das war aber noch keine Vorentscheidung, denn anschließend haben wir ein Gespräch mit den Vertretern der CDU geführt. Dieses zweite Gespräch hat uns aber nicht weiter gebracht.

Im Rückblick muss ich sagen, dass die CDU dem SSW im Grunde ein „sizilianisches“ An-gebot gemacht hat. Einerseits hat Peter-Harry Carstensen öffentlich gesagt, dass die Mandate des SSW „voll“ gültig sind. Andererseits hat er uns vorgeschlagen, das sich der SSW bei der Wahl des Ministerpräsidenten und die nächsten fünf Jahre neutral verhal-ten soll. Wir sollten einfach nicht mitstimmen, wenn uns etwas nicht gefällt. Wer unter diesen Bedingungen mit uns verhandelt, der führt Scheingespräche. Wären wir darauf eingegangen, dann könnten wir unsere politische Arbeit auf Landesebene nicht nur einstellen, wir würden das Erbe unserer Vorgänger im Landtag mit Füßen treten.

Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Börnsen hat in einer „Berliner Erklä-rung“ verlangt, dass der SSW seiner bewährte „Neutralität“ treu bleibt. Gerade solche Äußerungen von CDU-Politikern aus der Region haben mich viel mehr enttäuscht als die unqualifizierten Angriffe von Angela Merkel oder Roland Koch. Die wissen es nicht besser. Wolfgang Börnsen weiß aber ganz genau, dass der SSW eine „passive“ Tolerie-rung mit seiner ganzen Geschichte und mit seinem Anspruch als gestaltende Partei überhaupt nicht vereinbaren kann. Wie sollen wir als Abgeordnete des SSW eine „pas-sive“ Tolerierung oder „Neutralität“ fünf Jahre im Parlament durchhalten? Dann kön-nen Lars und ich und unsere Mitarbeiter im Grunde nach Hause gehen und die nächste Landtagswahl abwarten. So geht es nicht.

Um es klar zu sagen: Der SSW hat ein vollgültiges Mandat. Dafür hat nicht nur mein Vorgänger Karl Otto Meyer in den 70’er Jahren hart gekämpft, sondern schon Berthold Bahnsen in den 60´er Jahren. Die CDU zitiert gern und häufig ein SSW-Prinzip: „nicht stürzen, nicht unterstützen“; dieses sollen wir mit unserer Entscheidung jetzt angeb-lich verlassen. Dieses Prinzip hat es in Wirklichkeit nie gegeben. Schon Berthold Bahn-sen wurde von der CDU als, ministrabel“ angesehen, und auch Karl Otto hat 1987 von der CDU diverse Angebote bekommen, damit er eine CDU-Regierung unterstützte. Al-so, wenn es der CDU passt, dann ist das Mandat des SSW vollgültig. Wenn nicht, dann müssen wir uns neutral verhalten. Det er jo logik for burhøns og helt uacceptabel.

Der Gipfel in der Diskussion mit unseren Kollegen aus der CDU wurde erreicht, als Herr Carstensen vor wenigen Tagen öffentlich in den Kieler Nachrichten sagte, der SSW schürt mit seinem Verhalten anti-dänische Ressentiments. Da wird ja wohl die Welt auf den Kopf gestellt. Denn was bedeutet diese Aussage eigentlich in letzter Konse-quenz? Sie bedeutet: „Verhaltet euch brav. Wenn nicht, dann überschreitet ihr eine Grenze und habt selbst Schuld an allen anti-dänischen Äußerungen und Ressenti-ments.“ Solche Haltungen treten unsere demokratischen Grundrechte mit Füßen. Min-derheitenpolitik bedeutet eben nicht: sehen und nicht hören. Wir lassen uns nicht er-pressen oder verleumden.

Geht es nach uns, dann wird die Regierungsbildung in Kiel keinerlei negativen Einfluss auf das gute Verhältnis der Bevölkerungsgruppen im deutsch-dänischen Grenzland haben. In den letzten 50 Jahren hat sich das Verhältnis von Deutschen und Danen in unserem gemeinsamen Grenzland grundlegend geändert, weil wir alle dieses wollten. Auch der SSW hat in den Kommunen und im Land maßgeblich dazu beigetragen. Wir werden alles daran setzten, dass dies auch so bleibt. Nur kann dieses nicht um den Preis der Selbstverleugnung geschehen.

Zur Geschichte gehört natürlich auch, dass die FDP mit Wolfgang Kubicki von Anfang gesagt hat: Sie steht für eine Minderheitsregierung nicht zur Verfügung. Die CDU hat also eigentlich von Anfang an nur die Option einer Großen Koalition gehabt. Nur, liebe Freunde: Für das Zustandekommen einer Großen Koalition ist der SSW überhaupt nicht verantwortlich. Darin haben wir keine Aktien. Eine große Koalition liegt ganz allein in den Händen von SPD und CDU.
Der Unternehmensverband und sein Präsident, Herr Driftmann, propagieren ja vehe-ment eine Große Koalition als Allheilmittel zur Lösung der Probleme Schleswig-Holsteins. Sollte es zu dieser Konstellation kommen, dann hätten die regierungstra-genden Parteien 59 von 69 Mandaten im Landtag. Die Opposition - einschließlich des SSW - hätte nur noch 10 Mandate.

Dieses Ungleichgewicht zwischen Regierung und Opposition und auch die Erfahrungen in anderen Bundesländern sprechen nicht unbedingt dafür, dass eine Große Koalition wirklich die anstehenden Probleme lösen kann. Im übrigen hat es sich schon öfters ge-zeigt, dass knappe Parlamentsmehrheiten – z.B. bei der Ostpolitik Willi Brandts – große Reformen durchsetzen können. Aber wie gesagt: Eine Große Koalition müssen andere wollen, und daher hatte der SSW keine Wahl. Nur SPD und Grüne wollten wirklich mit uns über eine Tolerierung verhandeln – die andere Seite wollte es eben nicht.

Bei allen kritischen Tönen in der aktuellen Debatte dürfen wir aber nicht vergessen, dass der SSW und die dänische Minderheit in den letzten Wochen auch sehr viel Zu-spruch und Unterstützung von allen Seiten bekommen hat. Unsere Freunde in Däne-mark haben, quer durch alle politischen Lager den SSW aufgefordert, durchzuhalten. Auch viele unserer deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Schleswig-Holstein haben uns mit Briefen, E-Mails und Telefonaten unterstützt. Viele europäische Min-derheiten und der Verband der europäischen Minderheiten, der FUEV, haben uns den Rücken gestärkt. Dafür unseren herzlichen Dank.
Mit dem heutigen Landesparteitag schreiben wir SSW-Geschichte, und es ist beileibe keine einfache Entscheidung, die wir gemeinsam zu treffen haben. Daher meine Auf-forderung: Wir müssen uns und unserer Linie treu bleiben und die Herausforderung annehmen, die uns das Wahlergebnis beschert hat. Wir machen Politik für die Men-schen in Schleswig-Holstein, denn wir und unsere Familien sind Bürger dieses Landes. Dabei lassen wir uns von dem Grundsatz leiten: Was für die Minderheit gut ist, ist auch gut für die Mehrheitsbevölkerung in Schleswig-Holstein. Minderheitenpolitik hat mit allen Bereichen unserer Gesellschaft zu tun und ist – wir wissen es – auch immer ein Gradmesser für den Zustand der Demokratie in unserem Land. Dafür haben wir uns im Wahlkampf abgerackert, dafür steht der SSW seit Jahrzehnten. Unsere 52.000 Wähle-rinnen und Wähler und auch die Menschen im Lande haben einen Anspruch darauf, dass wir unsere Mandate in ihrem Sinne aktiv benutzen.

Die Delegierten des SSW müssen heute auf der Grundlage der vorliegenden Tolerie-rungsvereinbarung entscheiden, ob die SSW-Landtagsgruppe in den nächsten fünf Jah-ren eine rot-grüne Minderheitsregierung nach skandinavischem Vorbild unterstützen soll.
Minderheitsregierungen haben sich in unseren skandinavischen Nachbarländern seit Jahrzehnten bewährt. Insbesondere in Zeiten, in denen tief greifende Reformen erfor-derlich waren, haben Regierungen ohne feste parlamentarische Mehrheit den notwen-digen Fortschritt herbeiführen können. Warum soll das nicht auch in Schleswig-Holstein gehen?

Auch wenn man das dänische Modell nicht eins-zu-eins übertragen kann, wollen wir diesen Weg gehen. Wichtig ist für uns, dass die demokratisch legimitierte Machtaus-übung in Zukunft stärker als bisher im Parlament konzentriert werden muss. Unsere Tolerierung kann sowohl die notwendige Stabilität sichern als auch Flexibilität und Wandel gewährleisten. Denn neben den in der Tolerierungsvereinbarung festgelegten Eckpunkten, steht es der Landesregierung frei, sich in konkreten Sachfragen eine ande-re Mehrheit im Parlament zu suchen. Dieses neue parlamentarische Element nach skandinavischem Vorbild kann dazu beitragen, die starre Blockbildung im deutschen Parlamentarismus aufzuweichen.

Trotz aller öffentlichen Äußerungen ist der SSW bereit, der CDU und der FDP die Hand zur Zusammenarbeit im Landtag zu reichen. Wir wollen einen Wettbewerb der Ideen und Konzepte zum Wohle des Landes. Deshalb werden wir uns vernünftigen Vorschlä-gen niemals verschließen. Es ist daher an CDU und FDP, dieses Angebot auch anzu-nehmen. Der SSW ist überzeugt, dass man mit der ersten tolerierten Minderheitsregie-rung in der Geschichte Schleswig-Holsteins gute, gemeinsame Reformen voranbringen kann. Im diesem Sinne ist das Modell der Minderheitsregierung aus unserer Sicht eine Chance zur Weiterentwicklung Schleswig-Holsteins, die wir alle gemeinsam nutzen sollten.

Dabei möchte ich eines ganz klar sagen: Wir sind nicht mit der Regierung verheiratet. Eine Tolerierung ist eben keine Koalition, und der SSW ist kein rot-grünes Anhängsel. Der SSW bleibt sich selbst treu und ist eine eigenständige Partei. Wir unterstützen die-se Minderheitsregierung auf der Grundlage der vorliegenden Vereinbarung und des parlamentarischen Handelns, das daraus folgt. Und eines sollten wir der Öffentlichkeit auch klar machen: Wir haben auf Ministerposten verzichtet, weil es uns um die Sache geht und nicht um Macht oder Posten. Wir haben in den letzten zwei Wochen mit der SPD und den Grünen um die heute vorliegende Vereinbarung gerungen, weil wir unse-re inhaltlichen Positionen im Regierungshandeln wiederfinden wollen.

Natürlich haben wir uns auch den Koalitionsvertrag angesehen und sind über die Koali-tionsverhandlungen immer informiert worden. Aber auch das muss klar sein: Der Koali-tionsvertrag ist nicht der Koalitionsvertrag des SSW, sondern der von SPD und Bünd-nis90/Die Grünen. Unsere Tolerierungspartner haben viele Elemente und Vorschläge des SSW in ihrem Koalitionsvertrag mit aufgenommen. Das finden wir positiv. Den-noch halten wir nicht für alle Details des Koalitionsvertrages den Kopf hin. Aber die Richtung des Koalitionsvertrags stimmt, und er ist so gestaltet, dass er einer Tolerie-rung durch den SSW im parlamentarischen Alltag ermöglicht.

Für uns ist der Inhalt der Tolerierungsvereinbarung entscheidend, und hier können wir feststellen: Die Tolerierungsvereinbarung trägt ganz klar die Handschrift des SSW. Sie macht auch deutlich: Rot-Grün kann nicht einfach so weitermachen wie bisher. Es wird in der nächsten Legislaturperiode in einer ganzen Reihe von zentralen Feldern eine neue Politik geben. Das ist auch unser Verdienst. Es wird insbesondere in der Arbeits-markt- und in der Bildungspolitik sowie bei den Kommunal- und Verwaltungsstruktu-ren Reformen nach skandinavischem Vorbild geben. Es wird endlich eine Gleichstellung der dänischen Minderheit im Schulbereich geben. - Og kære venner. Denne her aftale er historisk, det skal der ikke herske tvivl om. - Wir bekommen endlich nach jahrzehn-telangen Diskussionen eine gesetzliche Regelung für Finanzierung der Schülerbeförde-rung der dänischen Schulen im Landesteil Schleswig. Mit der Umsetzung werden wir am Ende dieser Legislaturperiode die Gleichstellung im Schulbereich erreicht haben.

Auch die Friesen werden in den nächsten Jahren verstärkt gefördert werden. Außerdem haben wir eine ganze Reihe von konkreten Ergebnissen für unsere Region erreicht. So werden z.B. der Hochschulstandort Flensburg und die grenzüberschreitende Zusam-menarbeit in ganz vielen Schritten verbessert. Auch das Danevirke-Museum soll besser gefördert werden, damit es seinen Teil dazu beitragen kann, dass das Danewerk kultu-rell und touristisch besser genutzt werden kann. Das sind nur einige Beispiele aus un-serer Vereinbarung. Aber darüber werden wir ja gleich im Einzelnen diskutieren.

Nur soviel vorweg: Diese Tolerierungsvereinbarung ist ein Kompromiss zwischen drei Partnern. Deshalb wird man natürlich nicht jede Forderung aus dem SSW-Wahlprogramm dort wieder finden können. Sollte dieser Landesparteitag – was ich hoffe – diese Tolerierungsvereinbarung annehmen, dann müssen wir uns über eines gemeinsam klar sein: Es wird in der nächsten Zeit – vielleicht auch in den nächsten Jah-ren – nicht immer einfach sein, dem SSW anzugehören. Wer Verantwortung für das Land übernimmt, wird auch so manche Kröte schlucken müssen, und nicht allen wird gefallen, was in Kiel beschlossen wird. Aber wenn wir zusammenstehen und immer darauf achten, dass wir unseren inneren SSW-Kompass nicht verlieren, dann haben wir eine gute Chance, dass der SSW gestärkt aus dieser Tolerierung herausgeht. Dafür müssen wir alle hart arbeiten.

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