Tale · Flemming Meyer · 13.09.2002 Tariftreuegesetz

Wir haben vor anderthalb Jahren – im Mai 2001 – erstmalig hier im Landtag über Tariftreue diskutiert. Der SSW hatte seinerzeit einen Entwurf für ein Vergabegesetz eingebracht in dessen Mittelpunkt die Tariftreue stand. Zu diesem Zeitpunkt gab es weder Diskussionen auf Landesebene, noch entsprechende Überlegungen auf Bundesebene. Es wird sie nicht wundern, dass wir froh sind, eine wichtige Diskussion im Lande angestoßen zu haben.
In der Anhörung zu unserem Landesvergabegesetz sprachen sich Gewerkschaften, Betriebsräte, Arbeitgeberverbände, und Wirtschaftsorganisationen positiv aus. In einer Vielzahl von Stellungnahmen kann man nachlesen, dass die die es wissen sollten, die Tariftreue begrüßen – ja sogar herbei sehnen. So viele Menschen können sich nicht irren. Daher verwundert es mich auch ein bisschen, dass CDU und FDP immer noch bei ihrer kategorischen Ablehnung des Gesetzes bleiben. Der der das Gesetz ablehnt, verhält sich mittelstandsfeindlich und nimmt in Kauf, dass uns ganze Wirtschaftszweige wegbrechen. Wenn das das Ziel der Politik von CDU und FDP ist, muss man sagen, dass das Politik gegen die Interessen Schleswig-Holsteins ist.
Ich habe schon in der letzten Debatte zum Tariftreuegesetz auf Bundesebene gesagt, dass eine Ablehnung des Gesetzes auf Bundesebene keine Niederlage ist, sondern die Chance es in Schleswig-Holstein noch besser zu machen. Diese Chance haben SPD, Grüne und SSW zum Wohle der schleswig-holsteinischen Wirtschaft nun ergriffen.
In diesem Zusammenhang möchte ich mich für die Offenheit der Regierungsfraktionen bedanken. Es kommt nicht sehr oft vor, dass eine Initiative aus dem Nichtregierungslager aufgenommen wird und dann gemeinsam umgesetzt wird. Insofern muss man sagen, dass der heutige gemeinsame Gesetzentwurf von SPD, Grünen und SSW eine Besonderheit darstellt, die zeigt, dass Demokratie machbar ist und das ist zumindest ein sehr beruhigendes Gefühl.

Ich möchte aber nun auf den Inhalt des Gesetzentwurfes eingehen. Mit dem Gesetz sollen Wettbewerbsverzerrungen, die durch den Einsatz von Niedriglohnkräften entstehen, entgegengewirkt werden. Was so formell klingt, beschreibt ein Problem, dass sich in den letzten Jahren immer mehr ausgeweitet hat. Seit Jahren tobt vor allem im Baubereich ein ruinöser Preiskampf. Aufgrund der Tatsache, dass man ungehindert Beschäftigte zu Dumpinglöhnen einstellen kann, erfolgt der Wettbewerb fast ausschließlich auf dem Rücken der Arbeitnehmer und der tarifgebundenen Unternehmen. Solide Bauunternehmen haben in diesem europaweitem Preiskampf keine Chancen mehr, wenn sie nicht ebenfalls die Lohnschraube nach unten drehen.
Dies ist eine Entwicklung von der die Gewerkschaften naturgemäß nicht begeistert sind. Aber auch die Unternehmen haben zunehmend Schwierigkeiten mit dieser Entwicklung. Je niedriger der Lohn, desto weniger Neigung bei den Menschen einen Beruf in einer solchen Branche zu ergreifen. Die Folge ist ein gravierender Fachkräftemangel. Dieser Mangel wird noch dadurch verstärkt, dass die Unternehmen aufgrund des ruinösen Wettbewerbs und den damit verbundenen Einsparungszwängen bei den Lohnkosten, kaum noch ausbilden.
Ohne Tariftreuegesetz werden wir nach und nach schlechter ausgebildete Beschäftigte haben und es werden kaum noch Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt. Wie es dann mit der Konkurrenzfähigkeit unserer Unternehmen langfristig bestellt ist, brauche ich ihnen nicht zu sagen. Die Unternehmen haben schon längst erkannt, dass ihre Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr ist, wenn wir den wilden ungehemmten Liberalismus zulassen.
Wir brauchen eigentlich nur unseren Blick über den großen Teich auf die USA richten. Sowohl auf nationaler Ebene als auch in rund zwei Drittel der Staaten der USA gelten Vergabegesetze. Man hat sie dort seinerzeit in den 30er Jahren erstmals eingeführt. Natürlich gab es auch dort Bestrebungen hier und da die Gesetze wieder abzuschaffen. Dort wo man es tat, stellte man fest, dass die Baukosten nicht wie erwartet sanken, obwohl ja die Löhne und Sozialabgaben fielen. Aber die Anzahl der Ausbildungsplätze sank dramatisch. Viele Fachkräfte wichen auf andere Branchen aus und die Qualität der Leistungen ging zurück. Kein Wunder, wenn man schlechter bezahlte Menschen die gleiche Arbeit machen lassen will. Das Ergebnis der Entwicklungen in den einzelnen Staaten der USA war, dass die Innovationsfähigkeit und damit die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen sich verschlechterte und die sozialen Standards sanken. Man führte daher sehr schnell die Tariftreuegesetze wieder ein.
Eine genau solche Entwicklung steht uns auch bevor. Auch wir drohen unsere Wettbewerbsfähigkeit auf europäischer Ebene zu verlieren, wenn wir weiter versuchen, im reinen Preiswettbewerb mit Niedriglohnregionen und Niedriglohnländern zu bestehen. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die garantieren, dass nicht auf Basis von Dumpinglöhnen konkurriert wird, sondern der Wettbewerb sich auf Qualität, Innovation und eine gute Logistik bezieht.
Außerdem darf man auch nicht vergessen, dass die Beschäftigten, die bisher unter Tarif bezahlt werden, natürlich nun auch die Chance bekommen, an der wirtschaftlichen Entwicklung teilzuhaben. Gerade die Beschäftigten in Ostdeutschland erhalten so eher die Chance auch nach Westtarifen bezahlt zu werden, was mit Sicherheit förderlich für die innere Einheit Deutschlands ist und konkret Abwanderungsbewegungen aus Ostdeutschland entgegenwirkt.

Unser Ziel ist es, den Wettbewerb überhaupt erst möglich zu machen. Das heißt, soll das bessere Unternehmen eine Ausschreibung gewinnen, müssen wir die Ausgangslage für alle Unternehmen angleichen. Und dann möge der bessere gewinnen und nicht der, der seinen Mitarbeiter die miesesten Tarife zahlt. Durch unser gemeinsames Gesetz schaffen wir erst ehrlichen Wettbewerb, der so fast gar nicht mehr stattfindet.
Es wird natürlich eingeworfen, dass die Kosten bei öffentlichen Maßnahmen steigen werden. Das ist vordergründig richtig. Erfahrungen zeigen, dass zwar geringfügige Preiserhöhungen entstehen, aber gleichzeitig die ortsansässigen mittelständigen Unternehmen erstmalig wieder die Chance erhalten, mit anderen Unternehmen zu konkurrieren. Das heißt, dass sich die öffentlichen Auftraggeber so die Chance erhalten, dass Steuereinnahmen in die jeweilige Region fließen. Gleichzeitig werden die jeweiligen Lohn- und Gehaltsstrukturen erhalten, was dazu führt, dass genau diese Löhne und Gehälter ebenfalls in der jeweiligen Region wieder verausgabt werden. Somit stellt sich die Frage was dem Land und den Kreisen und Kommunen wichtiger ist: die kurzfristigen Einsparungen aufgrund des ruinösen Dumpinglohn-Wettbewerbs oder der Erhalt der steuerzahlenden mittelständischen Unternehmen, der Erhalt von vernünftig bezahlten steuer- und sozialabgabenpflichtigen Arbeitsplätzen und der Erhalt von zukunftsträchtigen Ausbildungsplätzen in der Region. Ich bin mir sicher, dass auch die Kreise und Kommunen sich für den Erhalt der Unternehmen, Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze entscheiden werden.
Hier bin ich auch gleich bei einer wichtigen Frage, die noch geklärt werden muss. Bis zur zweiten Lesung des Gesetzentwurfes wollen wir eine Bestimmung hinzufügen, die es auch ermöglicht, dass die Kreise und Kommunen die Tariftreueregelungen bei Ausschreibungen anwenden können. Wir werden hierbei versuchen, die kommunale Familie zu überzeugen, das Gesetz anzuwenden, denn die Vorteile sind, wie ich eben ausgeführt habe, ganz offensichtlich.

Wie Sie dem Gesetzentwurf entnehmen können, wird das Gesetz für den Bau und den ÖPNV gelten. Auf den Bau bin ich gerade eben schon eingegangen. Aber auch im ÖPNV-Bereich können wir europaweit feststellen, dass hier ein ruinöser Wettbewerb stattfindet. In den kommenden Jahren sind eine Vielzahl von Ausschreibungen kommunaler Verkehrsleistungen zu erwarten. Wenn wir nicht jetzt einschreiten und vernünftige Wettbewerbsbedingungen schaffen, werden in den nächsten Jahren die vor Ort gewachsenen guten Strukturen zerstört. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Aber es ist meiner Meinung nach wichtig darauf hinzuweisen, da auch dies wieder die kommunale Familie betreffen wird.
Dass ich über die zukünftige Einbindung der kommunalen Ebene spreche, dient natürlich der Transparenz in den Beratungen. Wir haben das Gesetz möglichst schnell einbringen wollen, um den betroffenen Branchen möglichst schnell helfen zu können. Für die zweite Lesung möchte ich daher eine weitere Ergänzung des derzeitigen Gesetzentwurfes ankündigen. Wir wollen die rechtlichen Grundlagen schaffen, dass auch die Abfallwirtschaft in das Gesetz aufgenommen werden kann. In der Abfallwirtschaft sind die gleichen Tendenzen spürbar wie beim Bau und im ÖPNV. Durch europaweite Ausschreibungen entstehen auch hier immer mehr Probleme.
Bei der Abfallabfuhr bekamen wir gerade in der letzten Woche ein klassisches Beispiel frei Haus geliefert. In Kiel wurde die Abfuhr ausgeschrieben. Während bisher ordentliche Tarife gezahlt wurden und auch Unternehmen mit Tarifbindung an den Tarif der Entsorgungswirtschaft sich um die Abfuhr beworben hatten, hat ein Unternehmen die Ausschreibung gewonnen, das 30 bis 40 Prozent weniger zahlt als in den für diese Branche einschlägigen Tarifen festgelegt. Die Folge ist: hiesige Unternehmen ziehen den kürzeren und die bisherigen Beschäftigten sind von Arbeitslosigkeit bedroht. Laut Kieler Nachrichten hat der Chef des Abfallwirtschaftsbetriebes Kiel bedauert, dass in Sachen Tarifbindung keine Vorgaben gemacht werden durften. Hier liege eine echte Gesetzeslücke vor. Genau diese Gesetzeslücke wollen wir schließen.

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