Tale · Jette Waldinger-Thiering · 25.02.2021 Uns fehlen die Themen Inklusion, Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit

„Ich vermisse ein engagiertes Vorgehen gegen den Lehrkräftemangel genauso wie wirksame Instrumente gegen Bildungsungerechtigkeiten.“

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 13    Mündlicher Bericht über die Ländervereinbarung über die Grundstruktur des Schulwesens (Drs. 19/2552) 

Die Kultusministerkonferenz hat bei ihrer 371. Plenarsitzung eine Ländervereinbarung über die gemeinsame Grundstruktur des Schulwesens und die gesamtstaatliche Verantwortung der Länder in zentralen bildungspolitischen Fragen beschlossen. Jahrelange Verhandlungen, die zu 44 Artikeln geführt haben, die zwar grundlegende Fragen aufgreifen und doch eher, meiner Bewertung nach, nur den kleinsten gemeinsamen Nenner abbilden. 
Die Absprachen bilden ein Bekenntnis zur Zusammenarbeit und entsprechen dem Wunsch nach mehr Einheitlichkeit in den Bildungssystemen der Länder. Und halten gleichzeitig am Bildungsföderalismus fest, den ich für eine große Stärke und unabdingbar im Sinne unserer Besonderheiten in Schleswig-Holstein halte. Über die ich als Bildungspolitikerin, aber auch als Teil der dänischen Minderheit froh bin. Denn die Gegebenheiten für unsere dänischen Schulen und auch für die freien Schulen des Landes sind Eigenarten, für die wir als SSW hart gekämpft haben und die ich um keine noch so befriedende Ländervereinbarung missen möchte. 

Die wichtigsten Verabredungen der Ländervereinbarung sind auch aus unserer Sicht folgende: 
Erstens, die Richtlinien für die bessere Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse, die insbesondere zu einer Angleichung der Abiturprüfungen führen werden. Denn ab 2023 sollen 50% der schriftlichen Prüfungsaufgaben in den Kernfächern bundesweit aus demselben Aufgabenpool kommen. Im Sinne der Mobilität unserer Gesellschaft ist das sinnvoll. So wird die Bildungslaufbahn bei einem Umzug mit einhergehendem Länderwechsel nicht unnötig erschwert.
Zweitens, in Artikel 12 wird Inklusion als umfassendes Konzept menschlichen Zusammenlebens, dem sich alle Länder verpflichten, bestätigt. Außerdem wird bekräftigt, dass es die Aufgabe der Länder bleibt, in eigener Verantwortung weitere Schritte zur Verbesserung zu entwickeln und zwar in enger Abstimmung aller beteiligten Personen und Institutionen. Für den SSW bedeutet das vor allem auch die qualitative Aufwertung inklusiver Beschulung in unseren Regelschulen. 
Für uns gilt: Schule muss sich dem Kind anpassen, nicht andersherum. 
Drittens, der Artikel 15 umfasst das Recht auf schulische Bildung und auch die Schulpflicht. Logisch, könnte man meinen, jeder junge Mensch hat ein Recht auf Bildung und dieses wird im Schulsystem verwirklicht. Aber ich möchte noch einmal auf die jungen Menschen hinweisen, die in den stationären Jugendhilfeeinrichtungen in Schleswig-Holstein leben, deren erster Wohnsitz aber nicht hier angemeldet ist. Wir als SSW haben schon einen Antrag eingebracht, der endlich dafür sorgen sollte, dass wirklich alle Kinder und Jugendliche, die in Schleswig-Holstein leben, hier auch in unseren Schulen beschult werden. Denn Teilnahme an Schule bedeutet auch Teilhabe am sozialen Leben. 
Jamaika hat den Antrag abgelehnt – das Problem ist aus unserer Sicht immer noch nicht gelöst. Deswegen haben wir nun auch unseren Berichtsantrag gestellt.  

Insgesamt vermisse ich in den Ländervereinbarungen ein engagiertes Vorgehen gegen den Lehrkräftemangel genauso wie wirksame Instrumente gegen Bildungsungerechtigkeiten. 
Beides hängt ja auch miteinander zusammen, das haben wir in den letzten Monaten leider wieder gut beobachten können. Schulschließungen sind vor allem für die Kinder von Nachteil, deren Eltern Hausaufgabenbetreuung einfach nicht leisten können, die nicht die nötigen Endgeräte zur Verfügung haben und die aus den verschiedensten – nachvollziehbaren – Gründen nicht auffangen können, was unsere Lehrkräfte in den Schulen sonst leisten. Bei einem Lehrkräftemangel an den Schulen entstehen ähnliche Probleme, das bringt der ausgereizte Betreuungsschlüssel mit sich. 

Mein abschließender Eindruck ist: In der Vereinbarung werden zwar zentrale Fragen des Schulsystems geregelt – die großen bildungspolitischen Fragen unserer Zeit, nämlich Inklusion, Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit hingegen werden nicht angegangen. Ich sehe daher unsere Bildungsministerin in der Pflicht, in diesen Fragen voran zu kommen.

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