Tale · Jette Waldinger-Thiering · 23.01.2020 Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist gelebte Gleichberechtigung

„Insgesamt stellt der Bericht eine positive Tendenz für die Repräsentanz von Frauen in allen Ämtern der jeweiligen Laufbahnen in den obersten Landesbehörden wie auch im unmittelbaren Landesdienst fest. Und dennoch merken wir auch hier wieder die gläserne Decke. Denn die Abteilungsleitungen der Landesbehörden bleiben eben männlich dominiert. Frauen bleiben in den oberen Entgelt- und Besoldungsgruppen unterrepräsentiert.

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 35 - Fünfter Bericht zur Durchführung des Gesetzes zur Gleichstellung der Frauen im öffentlichen Dienst – Fünfter Gleichstellungsbericht (2014 – 2017/2018) 
in Verbindung mit: Zweiter Bericht über die geschlechterparitätische Besetzung von Gremien – Zweiter Gremienbericht (Drs. 19/1694)

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ 
Ich mag diesen Absatz, weil er verdeutlicht, dass der Staat wirklich handeln und Gleichberechtigung umsetzen muss. Deswegen haben wir in Schleswig-Holstein auch das Gesetz zur Gleichstellung der Frauen im öffentlichen Dienst. 
Passenderweise heute, am 13. Dezember, seit genau 25 Jahren. 
Sinn und Zweck sind drei Hauptbereiche: Arbeitsbedingungen schaffen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für alle ermöglichen. Kompensation von Nachteilen, die durch geschlechterspezifische Arbeitsteilung entstehen. Und die gerechte Beteiligung von Frauen in allen Entgeld- und Besoldungsgruppen, insbesondere in Führungspositionen und bei der Entsendung in Gremien. 

58,8 Prozent der Beschäftigten im unmittelbaren Landesdienst sind weiblich.
Ein Drittel der Beschäftigten im unmittelbaren Landesdienst arbeitet in Teilzeit. 
86,8 % davon sind Frauen. Mehr Landesbeschäftigte haben die Elternzeit in Anspruch genommen. Zu 93,5% taten dies Frauen. 
„In fünf von acht Geschäftsbereichen sind über alle Laufbahngruppen mehr Frauen als Männer beschäftigt.“ Das ist doch ein schöner Satz. Weniger Frauen als Männer arbeiten in den Ministerien für Wirtschaft, Innen und Umwelt. 
Insgesamt stellt der Bericht eine positive Tendenz für die Repräsentanz von Frauen in allen Ämtern der jeweiligen Laufbahnen in den obersten Landesbehörden wie auch im unmittelbaren Landesdienst fest. Und dennoch merken wir auch hier wieder die gläserne Decke. Denn die Abteilungsleitungen der Landesbehörden bleiben eben männlich dominiert. Frauen bleiben in den oberen Entgelt- und Besoldungsgruppen unterrepräsentiert. 
Und der Anteil von Frauen an Geschäftsführungen oder Vorständen bei bedeutenden Landesbeteiligungen beträgt bei Unternehmen des privaten und öffentlichen Rechts nur 9,5 Prozent. Vielleicht die unangenehmste Zahl des Berichts. 

Was mir beim Lesen der Berichte aber positiv aufgefallen ist, ist, dass sie nicht schönen. Strukturelle Probleme werden erkannt und differenzierte Maßnahmen gefordert. 
Besonders die Idee der Teilzeit auf Führungsebene hat bei uns Anklang gefunden. Warum sollte nicht auch Leitungskultur modernisiert werden? Warum nicht auch in Leitungspositionen Familie und Beruf besser vereinen? 
Es geht auch darum, verschiedene Familienmodelle zu normalisieren. Darum, dass auch die Väter in Teilzeit gehen können. Oder dass Eltern insgesamt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert wird. 
Eine kleine aber sehr feine Änderung hat der SSW für die Eltern ja schon vor über einem Jahr angestoßen. Nämlich die Wahlfreiheit bei der Kita. Es ist enorm entlastend für Eltern, wenn sie sich in der Wahl ihrer Kita auch für den Ort entscheiden können, in dem sie arbeiten. 

Irritiert hat mich der Anhang des Berichts. Ausgerechnet die Ministerien mit den wenigsten Frauen geizen mit Initiativen. Aber das ist wohl leider auch eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Was mir an Gleichstellungsdebatten zudem bitter aufstößt, ist die Erzählung, man müsse hier etwas für Frauen tun. 
Und da möchte ich auch gerne an die Frauen appellieren: Sie sind keine Bittstellerinnen!  
Sie sind bestens ausgebildet, kompetent, fähig. 
Sie werden jedoch noch strukturell benachteiligt. 

Was muss also passieren? 
Individuell bleibt es wichtig, eigenes Verhalten und Denken erstmal einfach zu reflektieren. 
Sind es Männer, die die Diskussionen leiten und Themen eher im Dialog miteinander besprechen? Nehmen wir Frauen als seriöse Gesprächspartnerinnen wahr, oder hören wir ihre Beiträge erst, wenn Männer sie wiederholen?
Gesellschaftsstrukturen zu verändern ist mindestens genauso schwierig. Wir wollen Frauen in der Polizei und Männer als Grundschullehrkräfte. Frauen sollen es in Führungspositionen schaffen und Männer in Teilzeit gehen können. 
Es wird noch dauern, bis wir tatsächliche Gleichberechtigung in allen gesellschaftlichen Bereichen leben. 
Aber niemand hat gesagt, das Patriarchat zu überwinden, wird einfach.

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