Tale · Flemming Meyer · 10.12.1998 Wiedereinführung der Codeinsubstitution

Die Einschränkung der Codeinsubstitution war falsch. Codein und Dihydrocodein sind sicherlich nicht das “Mittel der Wahl”, denn Methadon oder Levomethadon scheinen pharmakologisch vorteilhafter zu sein. Aber es ist fragwürdig, ob es ein Mittel der Wahl überhaupt geben kann – in der Drogenpolitik sowieso.

Die wenigen Studien zur Codeinverschreibung deuten auf dieselben positiven Effekte hin, wie bei jeder Substitution oder auch bei der Originalstoffvergabe: Die körperliche, psychische und soziale Verfassung und die Wohnsituation werden verbessert; die Kriminalitätsbelatung und der Drogenkonsum werden verringert. Zudem wächst die Distanz zur Drogenszene – das ist eine nötige Bedingung für den Aufbau eines Lebens, in dem nicht mehr die Drogen im Mittelpunkt stehen. Auch wenn diese Wirkungen nicht in jedem Einzelfall erzielt werden können: Die Erfolge sind beachtlich.
Deshalb wäre es begrüßenswert, wenn der Fehler rückgängig gemacht würde. Für die bisher Codeinsubstituierten muß es die Möglichkeit geben, mit dieser Substanz weiterzumachen. Außerdem sollte den Ärztinnen und Ärzten nicht grundlegend verwehrt werden, auch bei neuen Patientinnen und Patienten Codein zu verordnen, wenn sie es aus medizinischer Sicht für richtig halten.

Allerdings: Die von der F.D.P. vorgeschlagene Einordnung des Codeins in die voll substitutionsfähigen Substanzen wird nicht annähernd retten können, was durch die 10. Betäubungsmitteländerungsverordnung zerstört wurde. Der Vorteil der früheren Codeinverschreibung lag eben nicht primär in der Substanz sondern in den Umständen der Verschreibung – in ihrer ausgeprägten Niedrigschwelligkeit. Codein ist ein deutscher Sonderweg in der Drogenpolitik, der maßgeblich beschritten wurde, weil die Politik viel zu lange das Methadon geächtet hat.

Er wurde auch nach der Zulassung der Methadonsunbstitution weiter gegangen, weil die Politik sich nicht zu einer breiteren, weniger voraussetzungsvollen Form der Substitution durchringen konnte. Nicht umsonst galt Codeinsubstitution bisher als Indikator für restriktive Methadonpolitik. Codein wurde vor allem auch deshalb verschrieben, weil es nicht unter die Sonderverschreibungspflicht mit Betäubungsmittelrezepten fiel.

Diese Niedrigschwelligkeit läßt sich durch eine Gleichstellung mit Methadon nicht wiederherstellen. In diesem Fall dürfte Codein nämlich nur mit hohen Zugangsschwellen, bürokratischen Aufnahmeverfahren, eng definierten Vergaberegelungen und hohen Verhaltensanforderungen vergeben werden. Daran hat auch die prinzipiell begrüßenswerte Lockerung der Take-home-Regelungen für Methadon nicht grundlegend gerüttelt. Der F.D.P.-Vorschlag kommt daher einer Ergänzung der relativ hochschwelligen Methadonsubstitution um die Substanzen Codein und Dihydrocodein gleich, nicht aber einer Wiederherstellung der niedrigschwelligen Substitution.
Die ist unserer Ansicht nach aber erforderlich, wenn wir so viele Heroinabhängigen wie möglich erreichen und zu Verhaltensänderungen bewegen wollen.

Wir fordern nicht, daß Codeinpräparate zur Substitution jetzt wieder aus dem BtMG ausgegliedert werden; das wäre ein unrealistisches Ziel. Aber es wäre doch erwägenswert, ob nicht allgemein die Barrieren der Substitution weiter gesenkt werden könnten. Das muß nicht jeglichen Verzicht auf Kontrolle oder psychosoziale Begleitung bedeuten. Diese sollte nur nicht in starre bürokratische Rahmen gegossen werden, sondern den verschreibenden Ärztinnen und Ärzten überlassen werden. Erfahrene Mediziner sind durchaus in der Lage, zu entscheiden, ob die Substitutionsbehandlung für die Patientin oder den Patienten überhaupt Sinn macht, und welche Maßnahmen und Auflagen im Einzelfall erforderlich sind.

Substitution kann und muß die jeweils individuelle Drogenkarriere und den individuellen Lebenszusammenhang berücksichtigen, denn der Ausstieg aus der Drogenszene, aus der Abhängigkeit und auch aus dem Drogenkonsum verläuft höchst individuell. Eine solche Hilfe ist durch hochstrukturierte Programme kaum zu leisten. Außerdem wird die Verkettung von Substitution mit der Pflicht zur therapeutischen Begleitung besonders in einem dünn besiedelten Flächenland wie Schleswig-Holstein das verhindern, was am dringendsten gebraucht wird: Die soziale und berufliche Integration der Drogenkonsumentinnen und -konsumenten, um ihnen ein menschenwürdiges Leben mit der Abhängigkeit zu erleichtern und ihnen das finden eines Weges aus der Abhängigkeit zu ermöglichen.

Codeinsubstitution war für viele Menschen der letzte Strohhalm, an den sie sich klammern konnten. Der ist geknick worden, weil die CDU das drogenpolitische Motto hat: “schwimm‘ oder geh‘ unter”. Statt jetzt zu versuchen, diesen Strohhalm notdürftig zu flicken, sollten wir lieber den Betroffenen die Hand reichen - ohne Vorbedingungen zu stellen.

Der SSW kann den Antrag der F.D.P. unterstützen. Ich meine aber auch, daß es sinnvoll wäre, im Sozialausschuß über die Ausgestaltung einer solche Regelung zu sprechen.

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