Tale · Flemming Meyer · 23.02.2006 Wohnen im Alter

Wie sind alte Menschen? Einerseits sind sie aktiv und andererseits auf Hilfe angewiesen. Die bunte Wirklichkeit erkennen auch wir als Politiker meistens erst, wenn wir uns selbst der magischen 60er-Altersgrenze annähern. Warum soll das auch anders sein als bei den Vorstellungen, die Jugendliche von Erwachsenen haben? Erst wenn man selber zu den früher verhöhnten Gruftis gehört, weiß man, wie verkehrt man damals gelegen hat.

Doch diesen Selbsterfahrungstrip können wir uns nicht leisten. Wir müssen heute Entscheidungen für Strukturen treffen, die mittelfristig Bestand haben müssen. Darum ist es so wichtig, dass wir genau hinschauen und nachfragen. Nachfragen vor allen Dingen bei denen, die heute schon betroffen sind und meist aus eigener Erfahrung mehr wissen als der eine oder andere von uns. Im Altenparlament wurden die Zahlen vorgelegt: In den nächsten 40 Jahren wird der Bedarf an speziellen Altenwohnformen um 2/3 steigen.

Immer weniger Menschen leben in einem funktionierenden sozialen Netz, das sie im Falle der zunehmenden Pflegebedürftigkeit unterstützen kann. Sie sind auf Hilfe von außen angewiesen. Diese wird seit Jahren im Land sehr professionell erbracht. Doch der Erfolg hat einen Fluch. Nur noch bei sehr starker Pflegebedürftigkeit zieht ein alter Mensch ins Heim; oft um dort nach weniger Monaten zu versterben. Kein sehr einladender Ort – auch nicht als Arbeitsplatz für das Pflegepersonal. Die wenigsten Bewohner ziehen gerne in ein Pflegeheim.

Doch wie sehen die Alternativen aus? Darüber ist auch in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt. Das Altenparlament fordert seit Jahren mehr Informationen über die Alternativen, aber vor allem fordert das Altenparlament, die Förderung alternativer Wohnangebote, dazu zählen zum Beispiel genossenschaftliche Modelle des Zusammenlebens oder Alterswohngemeinschaften. Bevor es also richtig zwackt und zwickt, zieht man mit Gleichgesinnten in eine Gemeinschaft. Das Altenparlament hat hier im Landeshaus vor nicht einmal einem halben Jahr Landesregierung und Wohnungsbauträger aufgefordert, zusammen mit Interessierten das Entstehen von Hausgemeinschaften zu fördern. Es gibt prominente Vorreiter: so wohnen der ehemalige Bürgermeister Henning Scherf und seine Frau Luise bereits seit 17 Jahren in einer Hausgemeinschaft. Laut einer Umfrage möchte jeder dritte Deutsche mit gleichaltrigen Freunden alt werden und es ihnen gleich tun. Geben wir ihnen die Chance.

Das bedeutet einen Tabubruch, denn noch immer höre ich in vielen Diskussionen – allerdings vorwiegend von Jüngeren: „Einen alten Baum verpflanzt man nicht.“ Menschen sind aber keine Bäume. Die Realität sieht inzwischen so aus: jeder zweiter Mieter zieht zwischen dem 55 und 75.Lebensjahr noch einmal um, meistens in eine Wohnung, die seinen Bedürfnisse eher entspricht: ebenerdig, kleiner und zentraler gelegen. Das mittlere Eintrittsalter für das betreute Wohnen liegt bei 78 Jahren. Das ist eine Wohnform, bei der eine selbständige Wohnung erhalten bleibt, aber Betreuung und Unterstützung im Bedarfsfall dazu gekauft werden können.

Diese Wohnform wird auch von Häuslebauern zunehmend entdeckt. Denn die Neubaugebiete der 70 und 80er Jahre waren auf manches ausgerichtet, aber nicht auf ältere Menschen. Barrierefreiheit und Altengerechtigkeit spielten bisher in der Bauleitplanung keine Rolle und wir haben erst einige zarte Ansätze, was die Erstellung von altengerechten Baugebieten angeht. Aber auch Eigenheimbesitzer haben beim Neubau kaum an ihre sich wandelnden Bedürfnisse gedacht. Hier brauchen wir noch viel Information für Eigenheimbauer und Kommunalpolitiker.

Wenn sie 70 Jahre werden, müssten sie eigentlich das Haus umbauen: ein barrierefreies Badezimmer und eine bequemere Treppe stehen ganz oben auf der Liste. Man arrangiert sich dann mit den Verhältnissen. Denn die wenigsten wissen um die vielen Möglichkeiten, die es tatsächlich gibt. Betreutes Wohnen, Wohnstift, selbst organisierte Wohngemeinschaften – um nur einige zu nennen. Ältere Menschen und ihre Familien denken in der Regel nur dann über Wohnalternativen nach, wenn die Wohn- und Lebenssituation rasch geändert werden muss, also, wenn sich die Hilfebedürftigkeit ankündigt oder schon nach einem häuslichen Sturz oder einem Schlaganfall tatsächlich eingetreten ist. Dann muss alles ganz schnell gehen und man landet unversehens da, wo man eigentlich nie hin wollte. Zeitdruck ist eben ein schlechter Ratgeber.

Das gilt auch für die politischen Entscheider. Wir brauchen solide Informationen über die Strukturen, die Vernetzungen, aber nicht zuletzt auch über die Maßnahmen, die bereits im Bereich des altengerechten Wohnens getroffen wurden. Die Zahl der Alten wächst und Schleswig-Holstein wird für viele zum Alterswohnsitz. Großstädter zieht es geradezu in den hohen Norden wegen der frischen Luft und der noch relativ entspannten Immobilienpreise. Umgekehrt verheißt das gute Geschäfte: Die Sozialimmobilie boomt. Menschen an der Schwelle des Alters werden mit komfortablen Wohnangeboten gelockt, die auch bei Pflegebedürftigkeit einen Rundum-Service versprechen. Oftmals allerdings zu einem teuren Module-Preis. Hier gibt es bislang weder eine richtige Kontrolle noch ein Gütesiegel, an dem sich Wohnungskäufer orientieren könnten. Es wird höchste Zeit, dass die Landesregierung so etwas in Angriff nimmt.

Die Große Koalition hat sich in einen relativ weichen Berichtsantrag verbissen. Ich verstehe nicht, dass wir so ausgiebig darüber reden. Das Anliegen der Opposition ist doch ohne Zweifel berechtigt; nämlich gerade in diesem Wachstumsmarkt genauer hinzuschauen.
Unser Ansatz geht, wie bei den Grünen und der FDP weiter. Wir wollen, dass neben den allgemeinen Wohnformen vor allem auch der Bereich der Pflegebedürftigkeit mit abgedeckt wird. Damit wollen wir nicht die ältere Generation stigmatisieren oder das ganze Thema nur einseitig betrachten, sondern wir wollen, dass die größten Probleme – die zweifelsohne bestehen – auch gelöst werden können. Und die größten Probleme entstehen nun einmal, wenn Pflegebedürftigkeit entsteht.

Wenn Pflegebedürftigkeit entsteht, fehlt oft die Zeit, ruhig und abwägend handeln zu können. Wenn Pflegebedürftigkeit entsteht, fällt einem erst auf, dass das eigene Haus und die vielen Baugebiete nicht altengerecht und barrierefrei sind. Wenn Pflegebedürftigkeit entsteht, merkt man erst, wie weit weg oft die Leistungserbringer sind und wie schwierig es ist, die grundlegendsten logistischen Probleme bewältigen zu können. Wenn Pflegebedürftigkeit entsteht, erkennt man erst, welche immensen Belastungen auf die Familie und den Freundeskreis zukommen. Wenn Pflegebedürftigkeit entsteht, haben die Betroffenen Probleme, die so gravierend sind, dass sie einer besonders intensiven Betrachtung bedürfen. Deshalb wollen wir und die Grünen und die FDP hier den hier diesen weitergehenden Ansatz verfolgen.

Gerade, weil das Thema mit vielen Politikbereichen stark vernetzt ist, sollten wir anhand solider Daten weiter beraten. Dem SSW geht es eben nicht nur um „Unterstützung“ und „Forderungen“, über die sich die Regierungsfraktionen unterrichten lassen wollen. Es geht um ganz konkrete Maßnahmen und deren zeitlicher Festlegung: Erst wenn wir wissen, welche Erfahrungen im stationären Bereich vorliegen, können ergänzende oder alternative Wohnformen entwickelt und angeboten werden. Erst wenn wir wissen, wie auch der ländliche Raum in die Konzepte eingebunden werden kann, können wir ein Gesamtkonzept entwickeln. Wir wollen, dass die Landesregierung konkret handelt und endlich einen Maßnahmenkatalog erarbeitet der konkret und mit den Interessenvertretungen der betroffenen abgestimmt ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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