Tale · Flemming Meyer · 09.11.2005 Zwischenbericht zur Verwaltungsstrukturreform

Eine allgemeine Bemerkung zur Behandlung des Parlamentes durch die Landesregierung vorweg. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie haben bei Ihrer Wahl hier im Haus verkündet, dass Sie das Parlament intensiv einbinden werden und dass  Sie das Parlament in Ihrem Herzen tragen. Ich bitte Sie daher, dass Ihre Staatskanzlei verstärkt darauf achtet, dass Vorlagen der Landesregierung sowohl in Form als auch im Inhalt die erforderliche Achtung vor dem Souverän erkennen lassen. Genau daran fehlt es in der Vorlage.

Im vorliegenden Bericht des Innenministers wird an einigen Stellen zu grundlegenden Fragen lapidar auf Pressemitteilungen verwiesen. Ich spreche Ihnen, Herr Ministerpräsident, sicher auch aus dem Herzen, wenn ich fordere, dass Aussagen und Antworten der Landesregierung an den Landtag vollständig in die entsprechende Landtagsdrucksache gehören. Die Landesregierung ist in einem Bericht zur Offenlegung des Sachverhalts – der Klarheit - verpflichtet. Das ist ihre Bringschuld. Andernfalls können wir dem Pressespiegel gleich eine Drucksachennummer verpassen!

Wir Abgeordnete nehmen es nicht hin, in Drucksachen auf Schaufensterveranstaltungen der Landesregierung verwiesen zu werden. Solche stillosen Schlampereien werden wir im Interesse der Institution Landtag nicht durchgehen lassen. Ich werde das Vorgehen der Regierung auch noch im Ältestenrat thematisieren.

Nun zum Bericht des Innenministers, der lediglich neun Seiten umfasst..
Das dünne und sehr allgemein gehaltene Papier verschweigt mehr als es berichtet. Man merkt deutlich, das ist eine Reform im Zeichen des Kirchturms.
Dieser Bericht erfüllt in keinster Weise das,  was hier im Landtag gefordert worden ist. Zudem ist er voller Lücken und sachlich unbestimmt.
Meine kritische Betrachtung möchte ich anhand von sieben Punkten vornehmen. Ich nenne sie die sieben Todsünden der Großen Koalition.

1. Sünde: Blinder Aktionismus
Der Regierung legt weder eine eigene Analyse noch eine Diagnose der wirklichen Verwaltungsproblemlage in Schleswig-Holstein vor. Ganz allgemein – frei nach Stammtisch – werden die Globalisierung und der Einsparungszwang als Gründe für die Vorhaben genannt. Damit kann man alles begründen.
Die Regierung unterlässt es vollständig, die Herausforderungen konkret zu benennen, um anschließen schlüssig die geeigneten Maßnahmen daraus abzuleiten.
Wenn die bestehenden Strukturen sich – nach Aussagen der Landesregierung - bisher bewährt haben, warum sollten sie dann nicht auch die neuen Herausforderungen meistern können?
Warum sind dann die Kommunen in der Beweispflicht, ob sie neue Aufgaben bewältigen können und nicht die Landesregierung?
Statt Lösungen für die konkreten Aufgabenstellungen zu finden, sucht die Landeregierung Probleme für ihre geliebte Standard-Lösung: Verwaltungszusammenlegung.
Der fadenscheinige Vorwand, die Kommunalwahlen 2008 erzwängen eine rasche Entscheidung über die Strukturen, wird von der Regierung selber
ad absurdum geführt, da ja ausdrücklich die Gebietskörperschaften selber nicht verändert werden sollen.

2. Sünde: Struktur- vor Aufgabenfestlegung
“Form follows function”- die Struktur folgt der Funktion bzw. den Aufgaben. Dieser Leitsatz aus der Architektur wird hier umgedreht, mit fatalen Folgen. Es wird erst eine Struktur gebastelt und dann stopft man die Aufgaben rein. Die Vorstellungen von den Strukturen sind sehr viel konkreter als die von der künftigen Wahrnehmung der Aufgaben. Bei den Strukturmaßnahmen wird Hektik verbreitet, während es zu den Vorstellungen der Landesregierung bezüglich der Aufgaben nur vage Andeutungen gibt.

3. Sünde: Unbestimmtheit und symbolische Politik
Die von der Landesregierung angeführten Ziele der so genannten Reform – Professionalisierung, Wirtschaftlichkeit und Bürgernähe – bleiben merklich farblos und unkonkret. Wo sieht die Landesregierung die Defizite der Verwaltungsmitarbeiter? Wie sieht der Professionalisierungsbedarf aus?
Ein indirekter pauschaler Vorwurf.  Keine Begründung, keine Antworten!

Von nennenswerten Einsparpotenzialen ist im Papier die Rede, konkrete Vorstellungen über das Ausmaß hat die Landesregierung nicht. Sie versteckt sich hinter dem Landesrechnungshof, statt sich selbst Ziel- und Orientierungsmarken zu setzen.

4. Sünde: Chance a winning team
Der schleswig-holsteinische Verwaltungsaufbau wird bundesweit gelobt, gerade weil Mittelbehörden fehlen, wir haben stattdessen leistungs- und funktionsfähige Kreise. Egal wie m die Gebilde nennt, die Regierung versucht mit den neuen Verwaltungsregionen dem Land neue Mittelbehörden zu überzustülpen und eine neue Verwaltungsebene einzuziehen. Dabei haben sich die Kreise bewährt! Wenn es die Landesregierung ernst meint mit der Aufgabenkritik, warum wird dann nicht ernsthaft eine konsequente Kommunalisierung der Landesvollzugsaufgaben als Alternative zur Mittelbehörde erwogen? Hier gilt: Die Beweispflicht liegt beim Land, nicht bei den Kreisen.

5. Sünde: Halbherzig und mutlos
Halbherzige und mutlose Lösungen prägen die Maßnahmen der Regierung.
Das Tabu der Gemeindegebietsreform rührt nicht aus der viel strapazierten Bürgernähe, sondern aus der Bürgermeisternähe der großen Parteien. Die Bürger sind sehr viel weiter, sie verstehen schon, dass Bürgernähe als die Leitungsfähigkeit einer politischen Gemeinde und der Verwaltung zu sehen ist.
Eine Kommunalreform ohne Gemeindegebietsreform ist deshalb halbherzig und mutlos!

6. Sünde: Demokratie- und Repräsentationsdefizit
Eine reine Verwaltungsstrukturreform, die die Aspekte der demokratischen Steuerung der Verwaltung vernachlässigt, ist bereits auf kurze Sicht nicht tragfähig. Die Landesregierung hat bis jetzt nicht den blassesten Schimmer, wie sich die künftigen Amtsausschüsse zusammensetzen sollen. Nach dem jetzigen Schlüssel würden diese Gremien größer als Kreistage. Macht man jedoch aus den Amtausschüssen reine Bürgermeisterrunden,  dann leidet die Repräsentativität dermaßen, dass ich keine Garantie für die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Regelung geben möchte.
Wie die politische Kontrolle der angeblichen Dienstleistungszentren oder kommunalen Verwaltungsregionen aussehen soll, ist nicht einmal im Ansatz geklärt. Demokratie darf nicht weggespart werden! Die kommunale Demokratie ist die Keimzelle unseres Gemeinwesens. Wie hier mit ihr technokratisch umgesprungen wird, lehnt der SSW auf das Schärfste ab.

7. Sünde: Vergrößerung der Kluft zwischen der Verwaltungsebene und der Steuerungsebene
Der Kardinalfehler der Landesregierung liegt darin, dass sie die Kluft zwischen den Verwaltungsebenen und der politischen Steuerungsebene vergrößern will. Die Musik soll, wenn es nach den Plänen der Großen Koalition geht – künftig in den vergrößerten Amtsverwaltungen und in den Verwaltungsregionen spielen. Beide Ebenen hätten es mit mehreren Gebietskörperschaften zu tun, bei denen formal die Steuerung läge.
Zeit- und ressourcenaufwendige Koordinierungsprozesse und Aufsichtsfunktionen zwischen den künftig vier (!) Verwaltungsebenen im Lande werden ein steter Quell neuer bürokratischer Blüten und Auswüchse sein.

Es zeigt sich, dass es doch besser gewesen wäre, wenn man dem Antrag des SSW gefolgt wäre, eine Expertenkommission einzusetzen, die den Prozess von außen coacht.

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