Rääde · Flemming Meyer · 09.11.2005 Ablehnung des 2. SGB II-Änderungsgesetzes – Keine Schlechterstellung der Kommunen bei Hartz IV

Der scheidende Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement hat die so genannten Hartz-Gesetze als die größte Sozialreform der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet. Nach den vielen leider überwiegend negativen Erfahrungen mit dem Hartz IV-Gesetz ist man geneigt zu sagen: es scheint sich viel eher um das größte politische Fiasko der abgewählten rot-grünen Bundesregierung zu handeln.

Und dieses Fiasko ist nicht nur im politischen oder moralischen Bereich anzusiedeln. Nein. Auch aus ökonomischer Sicht ist Hartz IV völlig gescheitert. Wie kann man es anders bewerten, wenn die Bundesregierung noch bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 2005 mit ca. 14.6 Mrd. Euro Ausgaben gerechnet hat und sich jetzt am Ende des Jahres vermutlich Ausgaben in Höhe von sage und schreibe fast 26 Mrd. Euro belaufen werden.

Durch diese Fakten erweist sich die Bilanz von Hartz IV ein Jahr nach der Einführung als katastrophal. Mit der Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialhilfe, die der SSW im Prinzip auch heute noch befürwortet, sollten laut Bundesregierung drei Ziele erreicht werden. Zum einen sollte die Arbeitslosigkeit - und hier insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit - durch eine Vermittlung aus einer Hand markant gesenkt werden. Das Ergebnis der Hartz-IV Maßnahmen zur Senkung der Arbeitslosigkeit ist aber bisher nach Ansicht aller Experten gleich Null.

Das liegt natürlich vor allem daran, dass auch das zweite Ziel von Hartz IV; nämlich der Bürokratieabbau und die Vereinfachung der Arbeitsvermittlung ebenfalls bisher nicht im Entferntesten erreicht wurden. So hat z. B. die Einführung des Optionsmodells für Kommunen zum Aufbau von Parallel-Bürokratien und zu Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen Kommunen und Arbeitsagentur beigetragen. Dies hat gerade bei der Vermittlung von Jugendlichen von ALG II-Beziehern zu Problemen geführt. Auch die Ausfüllung des 16 Seiten-Antrages für die Bezieher von Arbeitslosengeld II und die Kontrolle der Anträge hat natürlich zu mehr und nicht zu weniger Bürokratie geführt. Statt die Langzeitarbeitslosen verstärkt zu vermitteln, ist man zurzeit bei der Arbeitsagentur ja schon froh, wenn man das ALG II korrekt auszahlen kann. Das liegt natürlich nicht an den Beschäftigten der Arbeitsagentur, sondern daran, dass Hartz IV viel zu schnell und unüberlegt eingeführt wurden.

Auch das dritte Ziel von Hartz IV; nämlich massive Kosteneinsparung für den Staat wurde - wie ich bereits ausgeführt habe - überhaupt nicht erreicht. Selbst wenn man den Anstieg der Arbeitslosigkeit berücksichtigt, hat Hartz IV insgesamt zu viel mehr Kosten als vorgesehen geführt. Das liegt vor allem am Anstieg der so genannten Bedarfsgemeinschaften. Anstatt wie geplant 2,53 Mio. bekommen bisher 3,71 Mio. Bedarfsgemeinschaften Leistungen durch Hartz IV. Auch die Anzahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen liegt mit ca. 5 Mio. weit über den geschätzten 3,45 Mio. Menschen.

Vor dem Hintergrund dieser völligen Fehleinschätzung der Bundesregierung muss man die öffentlichen Äußerungen von Wolfgang Clement über den angeblichen Missbrauch von Hartz IV werten. Ich finde es recht beschämend, wenn ein so erfahrender Politiker sein eigenes Versagen mit massiven Angriffen auf sozial Schwache kaschieren will. Ich glaube es ist hinreichend deutlich geworden – auch durch meine Vorredner und besonders dem Abgeordneten Baasch – dass kein ernsthafter Experte oder Politiker, die angebliche Missbrauchsquote von 20%, die nach einer Telefonumfrage der Bundesagentur für Arbeit ermittelt wurde – für richtig hält. Alle, die etwas davon verstehen - auch unsere Leute vor Ort . haben mir versichert, dass die Missbrauchsquote höchstens bei 1-2% liegt, wie es leider im Sozialbereich üblich ist.

Richtig ist also viel mehr, dass wir vor dem Paradoxon stehen, dass ein Gesetz, dass wegen seiner sozialen Kälte und für seinen Sozialabbau massiv in der Öffentlichkeit kritisiert worden ist, scheinbar zu Hunderttausenden neuen Bedürftigen geführt hat. Es handelt sich aber eindeutig um noch einen Webfehler des gemeinsam von SPD und CDU getragenen Gesetzes und nicht um einen Missbrauch der Bedürftigen. Sie nutzen nur die Möglichkeiten, die ihnen der Staat geschaffen hat.

Angesichts der Horrorzahlen bei den Hartz IV-Kosten setzte die alte Bundesregierung in dieser Sache noch einen fulminanten Schlusspunkt. Denn die Bundesregierung beschloss, dass sie die im Jahre 2005 gewährten Bundesmittel zur Beteiligung der Unterkunftskosten der Kommunen nach dem Hartz IV-Gesetz in Höhe von 29.1% zurück fordern und ab dem Haushaltsjahr 2006 nicht mehr gewähren will. Damit bricht der Bund einmal mehr sein versprechen, dass die Kommunen durch Hartz IV finanziell mit ca. 2,5 Mrd. Euro entlasten werden sollen.

Durch den damit verbundenen Einnahmeausfall von 29,1%, d.h. in Höhe von ca. 3 Mrd. Euro, entstehen für die betroffenen Kommunen weitere zusätzliche finanzielle Belastungen, die dazu führen werden, dass die kommunalpolitischen Handlungsmöglichkeiten praktisch nicht mehr gegeben sind.

Der neue Bundestag und der Bundesrat müssen diesem Gesetzentwurf der alten Bundesregierung noch zustimmen bevor er in Kraft tritt. Der SSW begrüßt daher, dass sich alle Fraktionen des Landtages auf einen gemeinsamen Antrag in dieser Frage einigen konnten. Denn der Bund muss sich auch in den kommenden Jahren angemessen an der Kostenpflicht für die Unterkunftskosten nach SGB II beteiligen und von der Rückforderung bereits gezahlter Mittel für 2005 absehen.

Natürlich ist es in diesem Zusammenhang entscheidend, dass endlich eine seriöse Klärung der tatsächlichen Be- und Entlastungen auf Seiten der Kommunen errechnet wird. Nur habe ich noch von keiner Kommune gehört, dass sie durch die Hartz IV- Reform finanziell entlastet worden wäre, sondern nur das Gegenteil: Hartz IV führt zu höheren Kosten - auch für die Kommunen, obwohl sie nur 70,9% der Unterhaltkosten von ALG II-Beziehern tragen und nicht für das Arbeitslosengeld II aufkommen müssen.

Wir begrüßen auch, dass die Landesregierung bis zur 10. Tagung einen Bericht über den aktuellen Stand des Revisionsverfahrens von Hartz IV geben soll. Denn die entscheidende Frage ist ja, wie soll Hartz IV jetzt geändert werden. Was man bisher aus den Koalitionsverhandlungen zu diesem Thema hört, lässt aus Sicht des SSW aber nichts Gutes erahnen. Jetzt wollen Union und SPD scheinbar, dass Arbeitslosengeld für Jugendlichen unter 25 massiv einschränken. Künftig sollen wieder die Eltern für den Unterhalt ihrer arbeitslosen Kinder aufkommen, auch wenn diese von zu Hause ausgezogen sind. Dazu gibt es Stimmen, die bei der Anrechnung von Vermögen eine noch restriktivere Handhabung als bisher wollen.

Dabei spricht keiner der Großkoalitionäre mehr davon, dass den älteren Arbeitslosen, also die Gruppe, die seit Jahrzehnten in die Arbeitslosenkasse eingezahlt haben, das Arbeitslosengeld I länger als ein Jahr gezahlt werden soll. Gerade das war ja einer der wichtigsten Kritikpunkte bei der Debatte über Hartz IV. Aus Sicht des SSW ist dies aber weiterhin der entscheidende Punkt bei einer Revision von Hartz IV. Wir müssen breiten Bevölkerungsschichten die Angst vor Hartz IV nehmen und das geht nur indem wir für langjährige und ältere Beitragszahler mehr Sicherheit schaffen.

Wenn man die soziale Sicherheit der Arbeitslosenversicherung nicht völlig ad absurdum führen will, gibt es am Ende nur eine gesicherte Erkenntnis: Gegen die steigenden Kosten von Hartz IV helfen nur Jobs, Jobs und Jobs. Aber das ist wiederum eine andere Baustelle. Denn eines hat die ganze Misere um die Hartz-Gesetze auch gezeigt: Die Arbeitsmarktpolitik kann nur die Grundlagen dafür schaffen, dass die Arbeitslosen schneller und effektiver auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder eingegliedert werden.

Neue Arbeitsplätze aber schafft nur eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und ob die Große Koalition in Berlin mit ihren bisherigen Steuerplänen da richtig liegt, wage ich aus Sicht des SSW zu bezweifeln. Denn neue Arbeitsplätze werden in der Bundesrepublik nur über die Wiederbelebung der Binnenkonjunktur möglich sein und wie das mit einer massiven Mehrwertsteuererhöhung ohne gleichzeitigen Lohnnebenkostensenkung und anderen Grausamkeiten geschehen soll, sehe ich nicht.

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