Rääde · Flemming Meyer · 13.09.2007 Aktionsplan Demenz


Wenn ältere Menschen in früheren Zeiten von abnehmender Hirnleistung betroffen wurden, dann  konnten sie sich darauf verlassen, dass sie von ihrer Umgebung aufgefangen wurden. Sie konnten im vertrauten Rahmen des Mehrgenerationenhaushaltes altern und gehörten selbst als „Dorftrottel“ noch zur Gemeinschaft. Im letzten Jahrhundert hat sich dieses aber verändert. Die Menschen altern nicht nur unter anderen Lebensumständen, sie werden auch älter und haben damit ein größeres Risiko, von Altersdemenz betroffen zu sein.

Die moderne Gesellschaft hat diese Menschen erst einmal als psychisch krank eingestuft und sie entsprechend der Praxis früher Zeit in psychiatrischen Krankenhäusern weggesperrt. Es ist nicht viele Jahre her, dass man dieses Elend noch in den Langzeitabteilungen von Anstalten wie dem Landeskrankenhaus in Schleswig sehen konnte. Mittlerweile hat die Gesellschaft aber gelernt, dass man diesen Menschen damit nicht gerecht wird. Getragen durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, durch die Psychiatriereform der 70er  aber auch durch die populärwissenschaftliche Beschäftigung mit der Alzheimerschen Krankheit, die den Sachverhalt der breiten Bevölkerung ins Bewusstsein gerückt hat, wollen wir diesen Menschen heute gerecht werden. Wir wollen ihnen ein Leben in Würde mit soviel sozialer Teilhabe wie möglich bieten. Die Politik hat auf die Herausforderungen aber bisher nur unzulänglich reagiert.

Modellprojekte und solitäre Einrichtungen gibt es, aber eine wirklich durchdachte Versorgungsstruktur können wir nicht erkennen. Heute leben diese Menschen zumeist in Einrichtungen, die für Menschen mit einem hohen Bedarf an körperlicher Pflege konzipiert wurden. Immerhin bei 40-50 % der Pflegebedürftigen, die in deutschen Alten- und Pflegeheimen aufgenommen werden, war eine Demenzerkrankung der Hauptaufnahmegrund. Ca. 20 % sind dabei verhaltensauffällige Demenzkranke mit pflegerischem Mehraufwand, so wird geschätzt.

Ich stelle gar nicht in Abrede, dass diese Einrichtungen schon ihr bestes tun, um die Demenzkranken zu integrieren und sich auch fachlich entsprechend fortzubilden. Auch die ambulanten Pflegdienste haben sich entsprechend gerontopsychiatrisch qualifiziert. Trotzdem stellt sich die Frage, ob dadurch schon eine angemessene Gesamthilfe für diese Menschen zur Verfügung steht.

Gerade wenn es um Menschen geht, die an Demenz erkrankt sind, ist es besonders wichtig, dass verschiedene pflegerische, medizinische, therapeutische, soziale und andere Hilfsangebote ineinander greifen - idealer Weise, wie Räder in einem Uhrwerk. Oder, um es anders mit den Worten des Vorsitzenden der Deutschen Alzheimergesellschaft, dem Fachmediziner Jens Bruder, zu sagen:  „Der Pessimismus des Verstandes, nämlich unser Wissen, die Krankheit Demenz nicht heilen zu können, hat sich mit dem Optimismus der Tat zu verbinden, nämlich immer alles zu tun, um die Eigenständigkeit der Erkrankten so lange wie möglich zu erhalten – selbst dann, wenn das erreichte Ausmaß bescheiden erscheint.“

Dass wir davon noch weit entfernt sind, mag zum einen daran liegen, dass dementielle Erkrankungen bisher von der Pflegeversicherung nicht anerkannt wurden. Obwohl an Demenz erkrankte Menschen weit mehr Arbeit verursachen können als Bettlägerige, ist ihre Pflegebedürftigkeit bisher nicht „abrechnungsfähig“ gewesen. Eine brutale, technokratische Lücke in unserem Sozialsystem, die aber jetzt durch eine Änderung des SGB XI glücklicherweise geschlossen werden soll– endlich, muss ich hinzufügen, denn das Problem ist so lange bekannt, wie es die Pflegeversicherung gibt, also über 12 Jahre.

Mit dieser Änderung der Pflegversicherung wird eine große Ungerechtigkeit für demente Menschen und ihre Angehörigen beseitigt. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie dadurch schon das Leben bekommen, das sie benötigen. Dementielle Erkrankungen führen zu einem ganz eigenen Verlauf des Alterns, der alle Lebensbereiche betrifft. Eine Politik, die diesen Menschen gerecht werden will, muss also auch all diese Bereiche berücksichtigen. Deshalb begrüßen wir den Antrag der FDP.

Der Kollege Garg fordert einen Überblick über die Lebenssituation und die Hilfen für Menschen, die an Demenz erkrankt sind, und über die entsprechenden Pläne der Landesregierung. Wir können uns dieser Forderung anschließen. Ich möchte aus unserer Sicht allerdings noch anregen, im Aktionsplan noch einen weiteren Aspekt aufzugreifen, der im Antrag nicht erwähnt ist: die Situation der Menschen anderer Muttersprache, die nach Schleswig-Holstein eingewandert sind. Für sie ist es besonders schwierig, bei abnehmender geistiger Leistungsfähigkeit in einer deutschsprachigen Umwelt klarzukommen und sich wohl zu fühlen. Auch dieser Aspekt gehört zu einem gesammelten Bild eines Aktionsplanes Demenz.

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