Rääde · Lars Harms · 08.10.2014 Aus minderheitenpolitischer Sicht hat sich die Verfassungsreform gelohnt

„Wir erhalten eine Landesverfassung, die echt Schleswig-Holsteinisch ist, die minderheitenpolitische Meilensteine setzt und die den Bürger noch mehr in die Mitte allen staatlichen Handelns setzt.“

 


 

Schon in der letzten Debatte zur Landesverfassung habe ich deutlich gemacht, dass es ein gutes Zeichen ist, dass dieser Landtag trotz aller tagespolitischen Kontroversen eine gemeinsame Haltung zu grundlegenden gesellschaftspolitischen Themen erarbeiten konnte. Für diese konstruktive Zusammenarbeit möchte ich allen Fraktionen in diesem Hohen Hause danken. 

 

Wie Sie sich sicherlich noch erinnern können, war dies nicht immer so in verfassungsrechtlichen Fragen. Kurz nach der Jahrtausendwende scheiterte eine Enquetekommission daran, hier bahnbrechende Änderungen in der Landesverfassung umzusetzen, weil es zwar viele gute Vorschläge gab, aber eben auch kaum 2/3-Mehrheiten für diese Vorschläge. Aber auch in Einzelfragen konnte oft lange nicht ein gemeinsamer Konsens erarbeitet werden, wenn wir zum Beispiel an die Aufnahme der Sinti und Roma in den Minderheitenartikel der Verfassung denken. Vor diesem Hintergrund hat der Sonderausschuss Verfassungsreform eine große Aufgabe übernommen und sie – nach unserem Empfinden – sehr gut gelöst.

 


 

Wir haben heute einen fast ausschließlich konsensualen Änderungsvorschlag für eine neue Verfassung vorliegen. Einzig und allein über den Gottesbezug konnte man sich nicht einigen und ich glaube auch, dass es richtig ist, es hier jedem Abgeordneten und jeder Abgeordneten freizustellen, wie man es mit dem Gottesbezug hält. Grundsätzlich hätte ein Gottesbezug in der Verfassung erst einmal kaum rechtliche Auswirkungen. Der Hinweis auf Gott als begrenzende Größe menschlichen Handelns ist erst einmal rechtlich folgenlos. Man drückt hier nur die Verantwortung aus, die man alleine oder als Kollektiv empfindet. Im Gegensatz zu anderen Formulierungen in der Präambel, die davon sprechen, dass man den Willen zu etwas hat oder man bestrebt ist, etwas zu tun, hat die Formulierung „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“ erst einmal nur deklamatorischen Charakter.

 


 

Will man die Begrenztheit menschlichen Handelns ausdrücken, was ja von vielen ins Feld geführt wird, könnte man dies auch tun, indem man es genauso dann auch formuliert. Man hätte dann auch sagen können, „im Bewusstsein der Begrenztheit menschlichen Handelns“. Rechtlich und inhaltlich wäre es dasselbe gewesen wie ein Gottesbezug. Dass nun vehement darum gerungen wird, einen Gottesbezug in die Verfassung aufzunehmen zeigt, dass es um mehr geht als nur diese rechtlich-inhaltliche Frage. Und das stelle ich ohne einen kritischen Unterton fest. Es geht darum, diesen Teil unserer gesellschaftlich-kulturellen Wurzeln besonders hervorzuheben. Das ist legitim, aber das führt dann eben auch zu unterschiedlichen Haltungen zum Gottesbezug. Im wahrsten Sinnen des Wortes wird dies dann zu einer Glaubensfrage. 

 


 

Derjenige der sich aus Glaubensgründen für einen Gottesbezug ausspricht, hat gute Gründe. Für einen Christ und modernen Mensch gehört der Gottesbezug als Grundlage des humanitären und philosophischen Erbes in die Landesverfassung. Für einen gläubigen Menschen ist, der Glaube und das Christentum der Grundstein für unsere Kulturen und kann somit auch unser Handeln erklären. Das ist eindeutig.

 

Genauso eindeutig ist es auch, wenn andere Menschen unser geistiges und humanitäres Erbe eben nicht nur aus dem Christentum heraus erklären, sondern auch die Aufklärung und die bewusste Emanzipation vom Glauben als gleichwertige Grundlage für unsere Kultur anführen. Mancher wird sogar sagen, dass religiöse Auseinandersetzungen bis in die heutige Zeit hinein nicht nur positiv auf die Welt gewirkt haben.

 


 

Sie können also sehen, dass es für beide Seiten – für die Befürwortung und für die Ablehnung eines Gottesbezuges – gute Argument gibt. Für uns als SSW ist entscheidend, dass es sich bei dieser Frage eben nicht nur um eine rechtliche Frage handelt oder um die Frage, wie man die Begrenztheit menschlichen Handelns beschreibt, sondern eben auch darum, ob ein Gottesbezug in besonderer Weise hervorgehoben werden soll. Und dies muss jeder Einzelne für sich selbst beantworten.

 


 

Im Übrigen glaube ich auch nicht, dass eine Präambel ohne einen Gottesbezug nichts wert sei. Im Gegenteil. Die intensiven Debatten um den Gottesbezug zeigen doch, wie wertvoll eine Präambel ist. Und dadurch, dass so intensiv über den Gottesbezug und die Präambel gestritten wird, erhöht sich sozusagen auch der Wert derjenigen Formulierungen, die wir im Konsens für die Präambel gefunden haben. Diese Formulierungen sind wichtig für die Auslegung von Gesetzen und Rechtsetzungen und sie können auch Gesetze schon in ihrer Entstehung beeinflussen. Formulierungen wie „in dem Willen, Demokratie, Freiheit, Toleranz und Solidarität auf Dauer zu sichern und weiter zu stärken“ oder „bestrebt durch nachhaltiges Handeln die Interessen gegenwärtiger wie künftiger Generationen zu schützen“ oder „in dem Willen, die kulturelle und sprachliche Vielfalt in unserem Land zu bewahren“ geben die Grundlinien unseres politischen und gesellschaftlichen Handelns vor. Sie zeigen somit, auf welchen Fundament unser Schleswig-Holsteinisches Staatswesen aufgebaut ist und dass wir diese Grundlagen stärken und bewahren wollen. Nach den vergangenen Debatten über die Präambel wirken diese Bestimmungen umso stärker.

 


 

Einige dieser Bestimmungen haben für den SSW eine besondere Bedeutung. Da ist zum einen der Hinweis auf unsere eigene Geschichte, die nicht nur die Eigenständigkeit und Eigenstaatlichkeit des Landes Schleswig-Holstein ausdrückt, sondern eben auch ein Hinweis auf die deutsche, die dänische und die friesische Geschichte ist, die jeweils Teile unseres Landes besonders geprägt haben. Hier wird ein erster Bezug zur Minderheitenpolitik deutlich, der noch deutlicher in der schon erwähnten Bestimmung zur kulturellen und sprachlichen Vielfalt hervortritt. Es ist das erste Mal in der Geschichte unseres Landes, dass wir uns darauf verständigen, dass die verschiedenen Kulturen und Sprachen der Deutschen, der Dänen, der Friesen und der Sinti und Roma gemeinsam von Mehrheit und Minderheiten bewahrt werden sollen. Was sich so lapidar anhört, wäre in manchen Gegenden Europas immer noch völlig undenkbar. Und somit schreiben wir hier schon etwas Geschichte, wenn wir diese gemeinsame Verantwortung für unsere heimischen Sprachen und Kulturen in der Präambel festschreiben.

 


 

Minderheitenpolitisch herausragend sind sicherlich auch die Bestimmungen zum Minderheitenschulwesen und zur Sprachförderung in öffentlichen Schulen. Dass die Beratungen zur Landesverfassung dazu geführt haben, dass es wieder einen Konsens in Bezug auf die Finanzierung der dänischen Schulen gibt, freut uns natürlich ungemein. Wir haben in der Begründung zur Verfassungsänderung deutlich gemacht, dass der Artikel zur Finanzierung der dänischen Schulen auf der Berechnungspraxis beruht, die schon im neuen Schulgesetz niedergelegt ist. Somit ist klar, worum es sich dreht. Klar ist aber jetzt auch, dass die dänischen Schulen die Schulen sind, die für den dänischen Bevölkerungsteil zuständig sind. Sie sind somit die öffentlichen Schulen des dänischen Bevölkerungsteils und damit auch den öffentlichen Schulen gleichzustellen. Dass dies endlich in der Verfassung festgelegt worden ist, ist ein riesiger Fortschritt in der Minderheitenpolitik unseres Landes.

 


 

Ein ähnlich großer Erfolg ist es, dass auch die Erteilung von Friesischunterricht für die friesische Minderheit geschützt und gefördert werden soll. Hier wird zum ersten Mal per Landesverfassung eine konkrete Verantwortung für die friesischen Minderheit übernommen, die über die allgemeine Zielsetzung im ehemaligen Artikel 5 hinausgeht. Hier erhoffen wir uns ganz einfach auch einen Schub für die friesische Spracharbeit, ähnlich wie er für das Niederdeutsche in den Schulen erfolgt ist, dass ja ebenfalls nun auch Anspruch auf Schutz und Förderung in der Schule hat. Es wird jetzt ganz besonders darauf ankommen, dass auch dieser Teil der Landesverfassung in Zukunft gelebt wird und mehr Angebote, die friesische Sprache in der Schule zu erlernen, geschaffen werden. Hier gibt es jetzt einen konkreten politischen Handlungsauftrag, den wir in den nächsten Jahren ausfüllen müssen.

 


 

Aus minderheitenpolitischer Sicht hat sich die Verfassungsreform gelohnt und auch, wenn ich mir die anderen Bestimmungen in der Landesverfassung ansehe, die wir neu oder geändert einfügen, kann man - glaube ich - mit Fug und Recht von einer erfolgreichen Reform sprechen. Wir heben die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den Verfassungsrang, wir stärken die Rechte des Landtages gegenüber der Landesregierung, wir erleichtern die Mitbestimmungsrechte der Bürger in Abstimmungen, wir verbessern die Transparenz des Staates gegenüber seinen Bürgern und wir schaffen einen erleichterten Zugang der Bürger zu den Behörden und Gerichten. Damit wird die Landesverfassung auch zu einer Verfassung, die wesentlich mehr Bürgernähe ermöglicht als bisher. Egal also, wie wir uns heute zum Gottesbezug in der Landesverfassung stellen. Wir werden auf jeden Fall eine Landesverfassung erhalten, die echt Schleswig-Holsteinisch ist, die minderheitenpolitische Meilensteine setzt und die den Bürger noch mehr in die Mitte allen staatlichen Handelns setzt. Die Reform der Landesverfassung war deshalb ein Erfolg für alle Bürger.

 


 


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