Rääde · Lars Harms · 28.10.2021 Beim Fokus auf Tourismus die Pendler nicht vergessen

„Geschäftsreisende kann man mit solchen Verbindungen und Zugqualitäten natürlich nicht vom Umstieg auf die Schiene überzeugen; die aus Schleswig-Holstein nicht und übrigens auch diejenigen nicht, die zu uns kommen.“

Lars Harms zu  TOP 33 - Fernzuganbindung in Schleswig-Holstein sicherstellen (Drs. 19/3363)

Ich glaube ja eher an die Macht von Verträgen, Gesetzen und Finanzierungsplänen. Davon ist im Antrag allerdings nicht die Rede.
Dabei ist das Thema sehr wichtig. Der Ausbau des Schienenverkehrs muss endlich vorankommen. Immer mehr umweltbewusste Reisende wollen nämlich per Zug anreisen. In Schleswig-Holstein erwartet sie aber noch eines der letzten Abenteuer der Deutschen Bahn: Umsteigen, Baustellen und Bahnhöfe, die nicht barrierefrei sind. Am Zielort angekommen, ist der Regionalverkehr auch nicht durchgehend besonders einladend.
Im OdeS-Gutachten wurde Schleswig-Holstein empfohlen, die Taktfrequenzen zu erhöhen, Strecken zu reaktivieren und Zugangebote durchzubinden, um das umsteigefreie Reisen zu ermöglichen. Aber wir unterhalten uns heute über die Fernzuganbindung, denn der Deutschlandtakt soll es richten. Aber die Fernzuganbindung Schleswig-Holsteins ist bekanntermaßen allgemein nicht besonders optimal: wir haben keine Erschließung durch ein flächendeckendes ICE-Netz und zu wenige durchgehende Fernzüge. Kein Wunder, denn nicht einmal jeder dritte Schienenkilometer ist elektrifiziert. Wir haben keine stabile Ost-West-Achse im Landesteil Schleswig; sieht man einmal vom niedlichen, einspurigen Gleis zwischen Jübek und Husum ab. Diese Strecken könnte  man wirrklich mal ertüchtigen. Die Brücke in Lindaunis ist defekt und bis zum Neubau werden sich wohl auch die letzten Pendler eine Alternative gesucht haben. 
Die Pendlerinnen und Pendler sind übrigens diejenigen, die den ganzen Bahnbetrieb mit ihren Monatskarten finanzieren. Sie fehlen aber im vorliegenden Antrag. Der beschäftigt sich ausschließlich mit den Tourismusregionen. Wohlgemerkt in einem Bundesland, das zu den Spitzenreitern in Sachen Pendeln gehört. Die IHK hat beispielsweise für Kiel untersucht, dass neun von zehn Pendler mit dem Auto unterwegs sind. Das produziert Staus, Lärm und erhebliche Belastung durch Abgase. Auch wer beruflich von Flensburg ins Ruhrgebiet will oder nach Berlin, lernt den Fernverkehr erst ab Hamburg kennen. Vorher ruckelt er oder sie in einem Regionalexpress Richtung Süden. Geschäftsreisende kann man mit solchen Verbindungen und Zugqualitäten natürlich nicht vom Umstieg auf die Schiene überzeugen: die aus Schleswig-Holstein nicht und übrigens auch diejenigen nicht, die zu uns kommen.
Wenn die Fähren nach Föhr und Amrum ihre Fahrtzeiten umstellen müssen, weil die Züge aufgrund der Baustellen nicht rechtzeitig in Dagebüll sind, wie in dieser Woche geschehen, empfinde ich das als echtes Alarmzeichen. Bislang ist gerade die Strecke von Berlin nach Dagebüll eines der wenigen Beispiele einer funktionierenden Fernzuganbindung, die zeigt, wie man bequem und umsteigefrei in den Norden reisen kann. 
Auch vom Nachtzugangebot ist der Norden weitgehend abgehängt. Abgesehen vom Alpen-Sylt Nachtexpress, der bis zu viermal in der Woche von Sylt nach Salzburg in Österreich oder dem Nachtzug von Kiel nach Basel, sieht es düster aus. Von einem Nachtzug von Malmö nach München über Flensburg können wir nur träumen. Stattdessen muss man auf der Strecke in Kopenhagen, Fredericia, Flensburg, Neumünster und Hamburg umsteigen. Die Anbindung nach Skandinavien per Schiene hängt also gewaltig hinterher. Das ist die derzeitige Realität. Wir müssen wohl noch lange mit dem Auto fahren. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß.
Dass dann noch die Schleife in Flensburg dazu führt, dass Flensburg sowieso von den meisten Zügen umfahren wird, ist der letzte Tropfen Frust.  Ich gehe davon aus, dass die Fernzugentwicklung an Flensburg ziemlich spurlos vorbeigehen wird. 
Das bittere Fazit bleibt, dass die Fernzuganbindung unzureichend und ausbaufähig ist.

 

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