Rääde · Jette Waldinger-Thiering · 20.07.2016 Eine Freihandelszone darf nicht durch die Hintertür Standards aushebeln

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 22+25 - a) Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen (TTIP), b) Fairer Freihandel auf Grundlage hoher Umwelt- und Sozialstandards, Investorenklagen verhindern, demokratisches Selbstbestimmungsrecht bewahren – CETA stoppen

„Arbeitnehmerstandards sind keine Verhandlungsmasse. Diese Sozialstandards sind bei den Berichten über Chlorhühner und genmanipulierte Lebensmittel leider völlig untergegangen.“

Die europäische Idee eines gemeinsamen Zusammenlebens steckt in einer tiefen Vertrauenskrise. Die Europäerinnen und Europäer misstrauen einer europäischen Verwaltung, die sie nicht verstehen und die sie - das war der Geburtsfehler der EU - nicht kontrollieren können. Für das Friedensbündnis Europa ist die abnehmende Zustimmung eine lebensbedrohliche Krise. Die Menschen in Europa wenden sich stattdessen Parteien zu, denen Europa bestenfalls egal ist. 

Europa ist ganz ohne Zweifel in Bewegung. Deshalb erhalten immer häufiger Parteien Zuspruch, die in ihren Parteiprogrammen ganz klar die Abschaffung der Europäischen Union fordern. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Das sind alles Symptome einer massiven Vertrauenskrise! Der Brexit in Großbritannien ist das jüngste und wohl auch das eindeutigste Signal gegen das Friedensbündnis Europa.

Man sollte meinen, dass diese Krisenphänomene sowohl in Brüssel wie auch in den 27 Mitgliedsstaaten massive Gegenmaßnahmen heraufbeschwören würden. Dass die Regierungen also verstärkte Anstrengungen unternehmen, um für die europäische Idee zu werben. Ich kann bisher leider wenig in dieser Richtung erkennen.

Seit letzter Woche gibt es nun bekanntlich die Möglichkeit, das sehr umfangreiche und nicht barrierefreie Verhandlungspapier zu CETA im Netz zu lesen. Intransparenter gehts nimmer. Genau deshalb entzündet sich an den Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA ein so nachhaltiger Protest, weil die Menschen meinen, dass sie ansonsten gar nicht wahrgenommen werden. Die großen Demonstrationen bekommen einen breiten Zuspruch in Nichtregierungsorganisationen, wir werden einen bundesweiten Proteststurm erleben. Da bin ich mir ganz sicher.

Ich halte die Unterstützung des transatlantischen Handels prinzipiell für eine gute Sache. Wir streiten hier allerdings zu Recht um das Wie, also um die Rahmenbedingungen. Eine Freihandelszone darf natürlich nicht durch die Hintertür Standards aushebeln. Dafür ein Beispiel: Ein Teppich, der in Afghanistan von Kindern geknüpft wurde, darf nicht durch den Umweg über die USA sozial reingewaschen werden. Er wurde in Kinderarbeit produziert und darf deswegen innerhalb der Europäischen Union weder gekauft noch verkauft werden. Wir sind uns in Europa einig: Wir unterstützen keine ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, die Kinder vom Schulbesuch ausschließen. Punkt. Was ich damit sagen möchte: Arbeitnehmerstandards sind keine Verhandlungsmasse. Diese Sozialstandards sind bei den Berichten über Chlorhühner und genmanipulierte Lebensmittel leider völlig untergegangen. 

Investorenrechte sind dagegen in aller Munde. Sie können sich bekanntlich mit TTIP - unabhängig von europäischen Strukturen - entgangene Marktchancen erklagen oder Schadenersatz geltend machen. Dass diese Nebengerichtsbarkeit in Europa auf breite Ablehnung stieß, spielte bei den weiteren Verhandlungen allerdings keine Rolle. Und Arbeitnehmerrechte wurden gar nicht erst als Verhandlungsgegenstand festgelegt. In meinen Augen ein weiterer Fehler in der langen Verhandlungsgeschichte. 

Wenn schon die Aufnahme der Verhandlungen nicht demokratisch legitimiert, offen und transparent vonstattenging, muss das bei Vertragsabschluss nachgeholt werden. Die Freihandels-Verhandlungen berühren europäische Grundlagen und müssen daher von allen Europäern abgestimmt werden. TTIP ist ein Gradmesser für die europäische Idee. Einige Eurokraten scheinen zu glauben, dass das Ganze zu kompliziert sei und damit zwangsläufig von Fachleuten entschieden werden muss. Das ist falsch! Wer das glaubt, redet Technokratien das Wort, die ohne Menschen auskommen. 

Demokratie lebt bekanntlich vom Mitmachen. Im Fall von TTIP bedeutet das, dass die Europäerinnen und Europäer in die Entscheidungen um die Freihandelszone mit eingebunden werden müssen. Dazu gibt es keine Alternative. Die Menschen haben ein Recht auf unmittelbare Teilhabe. Die größte Freihandelszone der Welt wird nämlich nicht nur die globale Wirtschaft beeinflussen, sondern auch das Leben der Europäerinnen und Europäer verändern. Gerade darum ist eine wirklich demokratische Auseinandersetzung unumgänglich.

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