Rääde · Flemming Meyer · 20.06.2002 Elektronische Fußfessel

Auf den ersten Blick erscheint die Perspektive verlockend. Mit der elektronischen Fußfessel können wir einen Beitrag dazu leisten, Freiheitsentzug zu vermeiden und straffällig gewordene wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Wie immer beim näheren Hinschauen wirft die Befassung mit der Materie aber mehr Fragen auf, als sie beantwortet.

Das fängt schon mit dem Kreis der Personen an, der in Genuss der kontrollierten Freiheit kommen soll. Offensichtlich sind sich alle einig, dass die Fußfessel keine Alternative zur Haftstrafe ist – je nach politischer Ausrichtung wird dieses damit begründet, dass so keine ordentliche Resozialisierung mög­lich ist bzw. dass die Freiheitsstrafe nicht hart genug bzw. zu luxuriös ist. Daher kommt dieses Instru­ment nicht für jene in Frage, bei denen die Alternative die Haft ist. Es kann also nur um Personen gehen, für die keinen Grund für einen Verbleib in der Haft besteht, die man aber gern etwas im Auge behalten will. Es stellt sich schon die Frage, ob hier nicht ein Personenkreis behandelt wer­den soll, der ohnehin gute Chancen für eine Integration in die Gesellschaft haben.

In Hessen läuft ein Modellversuch mit der elektronischen Fußfessel. In der Zwischenbilanz zu diesem Projekt wird vom Max-Planck-Institut für Strafrechtsforschung und von der Hessischen Landes­regie­rung unterstrichen, dass der Erfolg der elektro­ni­schen Fußfessel vor allem darin liegt, dass die Betrof­fenen Personen wieder einen geregelten Tages­ablauf bekommen. Eine Bedingung für die Auf­nahme ist, dass sie schon für mindestens 20 Stunden pro Woche Arbeit, gemein­nützige Tätigkeit oder Aus­bildung ha­ben. Das Erfolgskriterium für die Maß­­­nahme besteht also darin, dass diese Tätigkeit auf­recht erhalten und auch ansonsten ein strenges Zeitschema eingehalten wird. Die elektronische Fuß­fessel ist somit eine pädago­gische Maßnahme, die sozu­sagen das schlechte Gewissen der Probanden för­dert und sie bei der Stange hält.
Gleichzeitig er­schwert die strenge Zeitplanung aber auch private Ak­ti­vitäten und so­ziale Kontakte. Überhaupt wird die nähere Umgebung stark mit einbezogen, was sich allein darin aus­­drückt, dass alle Erwachsenen im Haushalt schriftlich in die Maßnahme ein­will­i­gen müssen. Die Fußfessel ist nicht nur eine Bela­stung für private Beziehungen jeder Art, sie wirft auch die Frage nach der Wahrung der Persön­lich­keits­rechte Dritter auf.

Im Zwischenbericht aus Hessen wird unterstrichen, dass die Probanden vor allem auch einen positiven Effekt der Maßnahme darin sahen, dass die mit dem Versuch verbundenen Sozialarbeiter bzw. Bewäh­rungs­helfen ihnen neben der Kontrolle halfen, draußen klar zu kommen. Es stellt sich also mithin die Frage, welchen Anteil die Fußfessel an der gelungenen Integration hat und welchen Anteil die soziale Beglei­tung hat.

Die elektronische Fußfessel ist ein tiefgreifender Eingriff in das Leben und die Rechte der Betrof­fenen und ihrer Umge­bung. Deshalb stellt sich schon die Frage, ob es für diesen Personenkreis nicht eben­so effektive Mög­­­lichkeiten im Rahmen „konventioneller“ Methoden gibt - wie zum Beispiel ambulanten so­zia­len Hilfen, Mel­­­de­­auf­lagen bei der Polizei, Führungsaufsicht usw.
Zudem muss berück­sich­tigt werden, dass die Fuß­fessel auch eine körperliche Dimension hat. Die mag zwar deutlich milder aus­fallen als bei ih­ren mittel­alterlichen Vorgän­gern, aber das Max-Planck-Institut unterstreicht immer­hin, dass die Fuß­fessel u. a. wegen ihrer perma­nenten Fühlbarkeit von den Trägern als Sanktion auf­ge­fasst wird. Es stellt sich also die Fra­ge: Welcher Personenkreis hat es einerseits verdient, frei gelassen zu werden, aber soll anderseits trotzdem noch eine zusätzliche, neue Bestrafung erhalten.

Der CDU-Antrag wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Deshalb können wir auch schon gar nicht dem FDP-Antrag zustimmen, der gleich Tatsachen schaffen will. Eine abschließende Bewertung kön­nen und wollen wir heute nicht abgeben. Wir wünschen uns eine gründliche Erörterung des Themas im Ausschuss.

Ich will aber meine Skepsis nicht verhehlen. Das gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass hier eine Technologie eingeführt werden soll, die erstmals eine elektronische Kontrolle der Bewegungsfreiheit von Menschen ermöglicht. Die Einführung der Fußfessel kann ein Einstieg im mehr staatlicher Kon­trol­le werden. Es geht nicht um eine Alternative zur Haft, sondern um die Überwachung von Personen, die sich nicht in Haft befinden, aber möglicher­weise Straftaten begehen könnten. Der SSW will aber kein Land, in dem Menschen zur Kriminalitäts­vorbeugung als lebende Peilsender herumlaufen müssen.

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