Rääde · Flemming Meyer · 19.05.2010 Gesetzentwürfe zur Änderung der Landesverfassung sowie Anträge zur Aufnahme der Schuldenbremse und zum Altschuldenpaket

Bevor ich genauer auf die Gesetzesformulierungen zur Schuldenbremse eingehe, erlauben Sie mir einige allgemeine Anmerkungen. Zuallererst muss nach meiner Auffassung festgehalten werden, dass es hier heute ausschließlich um die Begrenzung der Neuverschuldung geht. Das heißt, die bisher aufgelaufenen Schulden bleiben bestehen; schlimmer noch: auch in den kommenden Jahren werden Schulden hinzukommen, weil die Neuverschuldung nicht mit einem Mal auf Null gefahren werden kann. Wir haben jetzt einen Schuldenstand von fast 25 Milliarden Euro und in 2020, wenn die Neuverschuldung endgültig auf Null stehen soll, werden wir mit Zins und Zinseszins einen Schuldenberg von rund 40 Milliarden Euro aufgehäuft haben. Dieser Schuldenberg wird die nachfolgenden Generationen belasten und es wird Aufgabe der Politik nach 2020 sein, auch diesen Schuldenberg abzubauen.

In den kommenden Jahren werden wir jedes Jahr die Neuverschuldung um 125 Millionen Euro zusätzlich reduzieren. Im letzten Jahr wird die Neuverschuldung, die heute rund 1,25 Milliarden Euro beträgt, völlig verschwunden sein. Ist ein solcher Kraftakt möglich und wird dieser Kraftakt zu Einbußen in der Lebensqualität führen? Ich nehme es vorweg: es ist möglich und welche Bereiche von möglichen Einsparungen betroffen sein werden, ist eine politische Entscheidung. Die Schuldenbremse ist kein Freibrief für Sozialabbau und Kulturlosigkeit in unserem Land.

Wenn wir uns die Entwicklung der Steuereinnahmen in den vergangenen Jahrzehnten ansehen, kann man feststellen, dass alleine die Steigerungen in diesem Bereich rechnerisch fast die Schuldenbremse ausgleichen könnten. Im Jahr 1980 hatte das Land 2,4 Milliarden Euro Steuereinnahmen. 1989 waren es schon 3,5 Milliarden Euro. Das heißt 1,1 Milliarden Euro mehr. Die Steigerung von 1990 bis 1999 lag bei 1,5 Milliarden Euro. Und die Steigerung von 2000 bis 2009 beziffert sich auf 0,84 Milliarden Euro, wobei allerdings bis 2008 - also vor der großen Wirtschaftskrise – die Steigerung sogar 1,3 Milliarden Euro betragen hat. Im langjährigen Schnitt lag die Verbesserung der Steuereinnahmen pro Jahrzehnt bei 1,186 Milliarden Euro. Rechnerisch gesehen, kann man also davon ausgehen, dass zukünftige Steuereinnahmen das Problem nicht nur lindern, sondern auf dem Papier fast gänzlich lösen können. Die Schuldenbremse allein ist also tatsächlich kein Grund für einen Kahlschlag im Landeshaushalt.

Allerdings bleiben zwei große Blöcke, die unser Finanzproblem trotzdem verschärfen und die zum Sparen führen müssen. Zum einen sind da die Tarifsteigerungen, Sachkostensteigerungen und die Steigerungen allgemeiner Art. Und zum anderen sind da die enormen Steigerungen im Personalbereich für die Beamten, die eine Pension beziehen oder beziehen werden. Hier hat das Land seit Jahrzehnten über seine Verhältnisse gelebt und diese Lasten schlagen jetzt durch. Hier gibt es neben allgemeinen Sparbemühungen ein Bündel von Lösungen, um auch hier die Entwicklung abzufedern. Ein sozial verträglicher Abbau von Personal ist sicherlich unumgänglich. Allerdings kann dieser nicht mit Gehaltskürzungen und ähnlichem erkauft werden. Vielmehr muss das Land seine Aufgaben überprüfen und hier zu einer Verschlankung kommen. Ein Land, das sich vier Verwaltungsebenen – Gemeinden, Ämter, Kreise und Land – leistet, ist dabei sicherlich in keinster Weise zukunftsorientiert aufgestellt. Die Landesverwaltung gehört weiter auf den Prüfstand und hier sind sicherlich eine Vielzahl an Synergien zu heben. Es wird aber auch notwendig sein, Gesetze, Verordnungen und Erlasse zu überprüfen. Dabei geht es dann nicht darum, politische Zielsetzungen aufzugeben, sondern diese mit weniger Aufwand umzusetzen. Dies wird ein ständiger Prozess sein.

So wichtig diese Dinge sind, so sicher bin ich mir, dass auch diese Maßnahmen nicht völlig reichen können. Entscheidend wird sein, dass die zukünftigen Landesregierungen – gleich welcher Couleur – auf Bundesebene den Mut haben, sich gegen Gesetzesvorhaben zu wenden, die das Land über Gebühr belasten. Wir haben diesen Gedankengang in die Beratungen zum Gesetz eingebracht und haben ja auch Formulierungen gefunden, die dies zumindest in der Zielsetzung unterstützen. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie hoch die Steigerungen bei den Steuereinnahmen in den vergangenen Jahrzehnten waren und wie oft die jeweiligen Regierungen Steuerausfällen für das Land auf Bundesebene zugestimmt haben, kann man ermessen, dass hier viel möglich ist. Unter der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Schröder wurden Gutverdienende und Unternehmen in einem Umfang mit Steuersenkungen bedacht, wie es diese Republik noch nicht gesehen hat. Hätten wir all diese Steuereinnahmen, wäre die Schuldenbremse ein wesentlich geringeres Problem.

Aber auch die Steuerentlastungen für reiche Erben und Hoteliers sowie die Erhöhung des Kindergeldes vor kurzem, zeigen, wie viel Luft anscheinend im System ist. Wer solchen Steuergeschenken zustimmt, hat es eigentlich verwirkt, hier alle anderen zum bedingungslosen Sparen aufzufordern. Im Übrigen, mit diesen 70 Millionen Euro, die dort zum Fenster heraus geworfen werden, hätte man in Schleswig-Holstein zwei beitragsfreie Kindergartenjahre finanzieren können. Es stellt sich also immer wieder eine Frage der politischen Prioritäten.
Wenn man genau hinsieht, wird man die Erkenntnis gewinnen, dass viele dieser Steueränderungen wieder einkassiert werden müssen. Auf jeden Fall kann man heutzutage nicht mehr über Steuersenkungen im großen Stil philosophieren, sondern man muss ganz klar sagen, dass wir in Zukunft an Erhöhungen von Steuern und Abgaben in einigen Bereichen auf Bundes- und Landesebene nicht vorbei kommen, um die Aufgaben des Staates adäquat finanzieren zu können.

Ich fasse also erst einmal zusammen: Um die finanziellen Probleme unseres Landes anzupacken, gibt es ein Bündel von Maßnahmen. Da sind die Ausnutzung zukünftiger Steigerungsraten bei den Steuereinnahmen, die sozial verträgliche Verschlankung der Landesverwaltung, die Modernisierung der Verwaltung und ihrer Abläufe, der Verzicht auf Steuergeschenke auf Bundesebene und die moderate punktuelle Erhöhung von Steuern. All diese Maßnahmen können zu einem Großteil unser Problem lösen.
Erst dann, kann man nach Auffassung des SSW über mögliche weitere Einsparungen nachdenken. Aber auch hier gilt es Prioritäten zu setzen.

Wir haben es ja heute mit einer Verfassungsänderung zu tun. Was liegt also näher als bei der Festlegung von Prioritäten in unsere Verfassung zu schauen. Im Abschnitt 1 unserer Landesverfassung sind neben den Grundrechten die wichtigsten landespolitischen Ziele genau beschrieben. Unter dem besonderen Schutz unserer Landesverfassung stehen die nationalen Minderheiten und Volksgruppen, die pflegebedürftigen Menschen, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Kinder und Jugendlichen, die natürlichen Grundlagen des Lebens, das Schulwesen und die Kultur. An diesen Zielen muss sich die zukünftige Politik in besonderem Maße orientieren. Mit der Einführung der Schuldenbremse ist somit nicht nur eine Aufforderung zum Sparen verbunden, sondern wir müssen auch über unsere Prioritäten in der Politik nachdenken. Und wenn wir unsere Landesverfassung ernst nehmen, dann müssen sich die dort festgeschriebenen besonderen Zielsetzungen gerade in der heutigen Zeit besonders widerspiegeln. Exzessives Kürzen in diesen Bereichen würde unserer Landesverfassung absolut widersprechen.

Sehen wir uns nun die Regelungen, die neben der eigentlichen Schuldenbremse heute zur Abstimmung stehen, im Einzelnen an. Wie vorab schon einmal erwähnt, wollten wir als SSW die Landesregierung eigentlich per Verfassung verpflichten, Gesetzesänderungen auf Bundesebene, die für uns zu Mindereinnahmen führen, nicht zuzustimmen. Leider widerspricht dies den Regelungen im Grundgesetz, so dass wir eine andere Lösung wählen mussten. Jetzt muss die Landesregierung immerhin den Grundsatz der Schuldenbremse bei Entscheidungen auf Bundes- und Europaebene mit berücksichtigen. Dies ist nach unserer Auffassung die rechtlich maximal mögliche Lösung, die zumindest mittelbar auch zu einer Berichtspflicht der Landesregierung gegenüber dem Landtag in Bezug auf die Entscheidungsprozesse führt. Letztendlich bleibt aber die Forderung nach dem Konnexitätsprinzip auf Bundesebene. Ein solches Konnexitätsprinzip würde gerade auch den Kommunen helfen, die den Entscheidungen auf Bundesebene noch hilfloser ausgeliefert sind als wir.

Wichtig war auch, dass unsere Schuldenbremse in Schleswig-Holstein eine Formulierung enthält, die den Kommunen eine angemessene Finanzausstattung sichert. Eine solche Formulierung hat ebenfalls Eingang in die Verfassung gefunden. Gleiches gilt für die jährliche Berichtspflicht der Landesregierung gegenüber dem Landtag, wie die Schuldenbremse auch längerfristig umgesetzt werden soll. Hier kommt ein Element des modernen Controllings mit in die Verfassung und uns lag besonders auch daran, dass der Landesrechnungshof zu diesem Bericht jeweils eine Stellungnahme gegenüber dem Landtag abgibt. Auf diese Weise kann man den Abbaupfad kontrollieren und feststellen, ob die Maßnahmen der Landesregierung realistisch zum Ziel führen. Gerade diese Bestimmung wird nach unserer Auffassung dazu führen müssen, dass die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen in den nächsten 10 Jahren auch den Kontakt zur Opposition suchen, um wichtige Strukturentscheidungen gemeinsam umzusetzen.

Es wird aber auch Ausnahmen zur Schuldenbremse geben. Einmal wird es bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung möglich sein, Kredite aufzunehmen. Allerdings müssen diese dann auch in einem festen Zeitraum wieder vollständig getilgt werden – diese Bestimmung ist im Übrigen weitgehender als die Regelung auf Bundesebene. Zum anderen kann in Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen ebenfalls ein Kredit aufgenommen werden. Auch dieser Kredit müsste dann aber in einer angemessenen vorher bestimmten Zeit zurückgezahlt werden. Die Feststellung der entsprechenden Notlagen ist in darüber hinaus an eine Zweidrittel-Mehrheit des Landtages gebunden, um möglichen Missbräuchen dieser Regelung vorzubeugen. Auch hier ist die Formulierung weitgehender als auf Bundesebene.

Nach Auffassung des SSW ist die Schuldenbremse notwendig, um die politischen Ziele, die wir für die Zukunft formulieren, auch finanzieren zu können. Dabei geht es uns insbesondere um die Aufgaben, die auch in der Landesverfassung ihren Niederschlag gefunden haben. Für uns ist die Schuldenbremse keine Begründung für sozialen Rückschritt, kulturelle Einöde oder Bildungsabbau. Für uns führt die Schuldenbremse zu veränderten Prioritäten in der Landespolitik und letztendlich wird über politische Prioritäten dann in den Haushaltsberatungen entschieden.
Die in Schleswig-Holstein in Zukunft geltende Schuldenbremse ist das Maximum, was erreicht werden konnte, weil insbesondere der Landtag stark in die Umsetzung dieser Bestimmung eingebunden wird. Die schleswig-holsteinische Schuldenbremse und die Klage gegen die Schuldenbremse, die uns vom Bund aufgezwungen werden sollte, sind auch ein Nachweis für die Eigenständigkeit des Landes Schleswig-Holstein und der deutschen Bundesländer. Insofern gehen wir hier für alle Bundesländer einen Schritt voran.
Abschließend möchte ich aber noch einmal in Abwandlung eines berühmten Zitats deutlich machen, dass es nicht um radikales unkontrolliertes Sparen geht, sondern um ein Gesamtkonzept. Deswegen muss die erste Regel der jetzigen und kommenden Landesregierungen sein: Frag nicht, was Du kaputt sparen kannst, sondern frage, wie Du die Einnahmen für das Land verbessern kannst.

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