Speech · 20.02.1998 Katholische Schwangerschaftskonfliktberatung

Das geltende Recht für Schwangerschaftsabbrüche ist ein Kompromiß, der nur unter größten Schwierigkeiten zustande gekommen ist. Ich denke, daß wir uns die Entstehungsgeschichte des Schwangerschaftskonfliktgesetzes immer vor Augen halten müssen, um nicht der Versuchung zu erliegen, den unter Blut, Schweiß und Tränen gefundenen Konsens leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
Es ist kein Geheimnis, daß der SSW sich eine Lösung vorgestellt hätte, die in eine ganz andere Richtung zielt als der Papst. Aber eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetz steht heute gar nicht zur Debatte. Die Mehrheitsverhältnisse haben sich weder im zuständigen Bundestag noch beim Bundesverfassungsgericht verändert. Solange sich die Positionen hierzu nicht deutlich verschieben, stehen die geltenden Regelungen des § 218 Strafgesetzbuch und die Folgeregelungen des Schwangerschaftskonfliktgesetzes nicht zur Disposition. Sie können es gar nicht, bei realistischer Betrachtungsweise.

Die Tragik des Papstbriefes liegt für mich vor allem darin, daß die deutschen Katholiken von außen - oder von “oben” - genötigt werden, den gefundenen Konsens in Sachen Schwangerschaftsabbruch aufzukündigen. Einen gesellschaftlichen Konsens, den sie trotz aller Bedenken mehrheitlich mitgetragen haben. Für die katholischen Mitbürgerinnen und Mitbürger hoffe ich sehr, daß sich andere Wege finden werden, damit Katholiken weiterhin an dieser wichtigen Aufgabe beteiligt bleiben. Wenn dieses nicht innerhalb ihrer Kirche möglich ist, dann wird es hoffentlich Möglichkeiten geben, daß katholische Laien die gesetzliche Konfliktberatung übernehmen. Sollte sich keine katholische Lösung mit Beratungsschein finden, dann gibt es keine Kompromißfähigkeit unsererseits. Jedenfalls ist es für uns ausgeschlossen, daß wir die gesetzliche Regelungen ändern, um ein Verbleiben der katholischen Kirche in der Konfliktberatung zu ermöglichen. Es ist indiskutabel, daß der Klerus der katholischen Kirche auf so undemokratische Weise Einfluß auf demokratisch ausgehandelte Gesetze nehmen will. Der Bitte der deutschen Bischöfe an die Politik, Wege zu suchen, wie die Kirche ohne die Bescheinigung im Beratungssystem verbleiben kann, weise ich für den SSW zurück. Will Rom, und wollen die Bischöfe sich nicht an der gesetzlichen Konfliktberatung mit der Scheinregelung beteiligen, dann müssen sie leider aussteigen. Wir sehen keinen anderen Weg. Wir sehen keine Möglichkeit eine Schwangerschaftskonfliktberatung zu finanzieren, die nicht den Beratungsschein ausstellen will. Dazu sind wir auf keinen Fall bereit.

Wir sind nicht bereit, in der jetzigen Situation auch nur eine Handbreit von dem erzielten Kompromiß zurückzuweichen. Die neue Debatte, die durch die Kardinäle Wetter und Meißner, durch unbedachte Äußerungen der Bundesfamilienministerin und durch den Vatikan entfacht worden ist, reißt wieder Gräben auf, die vor zwei Jahren erst durch sehr behutsames und beharrliches Bauen von Brücken überwunden wurden. Eine Leistung, die der pontifex maximus, das heißt der oberste Brückenbauer, leider nicht zu schätzen weiß. Wir können nicht zulassen, daß sie durch realitätsferne und fundamentalistische Kirchenmänner wieder zerstört wird.

Angesichts der krassen Äußerungen mancher Klerikaler zur Jahreswende muß anscheinend auch mal wieder klargestellt werden: Niemand ist für Abtreibung. Diese Haltung wird aber immer wieder jenen unterstellt, die sich nicht dogmatisch und kompromißlos gegen Abtreibungen wenden. Die Parole “ich bin gegen Abtreibung” suggeriert, man könne “für Abtreibung” sein. Niemand tritt generell für Abtreibungen ein, aber es gibt Situationen, in denen Frauen sich - mit oder ohne Männer - für eine Abtreibung entscheiden. Das sind zutiefst persönliche Situationen, und wer diese einfach als “Mord” abtut, ohne den Einzelfall zu kennen, der opfert Menschen auf dem Altar der Dogmen - meiner Ansicht nach eine höchst unchristliche Haltung.

Gerade weil die Problematik nicht einfach eindimensional mit den Kategorien “Gut” und “Böse” erfaßt werden kann, bleibt natürlich die Frage bestehen, ob Schwangerschaftsabbrüche im Strafrecht wirklich gut aufgehoben sind; ob der Staat nicht vor allem durch Sozialpolitik die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche beeinflussen kann und sollte. Wenn es heißt, daß mehr als die Hälfte der Abtreibungen an verheirateten Frauen vorgenommen werden, dann deutet doch einiges auf Mängel in der Familienpolitik hin. Nochmals: Diese Debatte muß geführt werden. Sie kann und darf aber nicht so geführt werden, daß alle Jahre der bestehende Kompromiß in Frage gestellt wird.

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