Rääde · Flemming Meyer · 25.01.2007 Kooperation von Jugendhilfe und Schule

 
Im Jahre 2001 haben die Oppositionsparteien den Datenschutzbeauftragten gefragt, wie es mit dem Datenschutz aussieht, wenn sich die Schule mit dem Jugendamt in Verbindung setzt, um gegen Verwahrlosung oder andere Probleme vorzugehen. Der Landtag hat sich damals intensiv mit der Frage beschäftigt, ob ein Lehrer sich einfach ans Jugendamt wenden kann, um weiteres Leid vom Schüler abzuwenden. Unisono wurde die Einbindung der Eltern befürwortet. Ihre Einwilligung muss vor einer Datenweitergabe vorliegen, lautete eine zentrale Forderung des Datenschutzbeauftragten. Die Jugendhilfe wurde zu dieser Zeit weniger als eine Serviceeinrichtung, sondern vor allem als eine Art hoheitliche Eingriffsbehörde verstanden.  Das war sicherlich zu einseitig; aber kein Grund, diesen wichtigen Bereich ganz zu vernachlässigen.

Sechs Jahre später ist nämlich dieses Problemfeld komplett aus der ministeriellen Wahrnehmung verschwunden. Jetzt geht es bei der Kooperation Jugendhilfe und Schule ausschließlich um eine Leistungsbilanz zum Ausbau des Ganztagesangebotes der Schulen. Die Bilanz ist beeindruckend, Schleswig-Holstein hat in den Ausbau der Ganztagsbetreuung viel investiert. Das ist aber beileibe kein Grund, sich nur darauf zu beschränken. Das Ministerium nahm die vom Antragssteller geforderte Schwerpunktsetzung zum Thema Ganztagsschule zum Anlass, andere Kooperationsbereiche von Jugendhilfe und Schule weitgehend zu ignorieren. Das ist bedauerlich.

Ausdrückliche Anforderungen des Berichtsantrages werden sogar völlig außer Acht gelassen: so fehlen die geforderten Zahlen zum Mittelabfluss in den Kreisen und kreisfreien Städten vollständig. Stattdessen heißt es auf Seite 7 des Berichtes unter anderem: „Der Kreis hat die Fördermittel im Jahr 2004 nicht voll ausgeschöpft“. In welcher Höhe bleibt offen. Wir haben uns ja inzwischen daran gewöhnt, dass man der Opposition nicht gerne alles offen legt, aber das rechtfertigt nicht die Außerachtlassung des Berichtsantrages. Insbesondere dann nicht, wenn gebeten wird ein vorhandenes Konzept fortzuschreiben. Ohne konkrete Daten ist dies jedenfalls nicht möglich und damit ist auch kein zielgerichtetes Handeln seitens der Landesregierung möglich.

Der Antragsteller hat bereits seine Unzufriedenheit mit dem Bericht deutlich gemacht. Ich möchte darum vorwiegend auf die Bereiche eingehen, wo nach meiner Erfahrung Koordinierungsdefizite zwischen Jugendhilfe und Schule bestehen. Bereiche, die der Bericht übrigens mit keiner Silbe erwähnt. Vorausschicken möchte ich, dass vielerorts ein kurzer Draht zwischen Jugendhilfe und Schulen besteht. Das möchte ich bei aller Kritik am Bericht nicht unerwähnt lassen:

Es sind im Wesentlichen drei Kritikpunkte: Erstens: Die Schule kann nicht für alle möglichen Angelegenheiten eingespannt werden. Wir muten bereits jetzt den Pädagogen einiges zu. In einer Ganztagesschule kann man Belastungen entzerren und auf mehrere Schultern verteilen und deshalb gilt es diese weiter zu unterstützen. Dazu möchte ich ein Beispiel unter vielen bemühen: Wenn der richtige Umgang mit Geld - in Zeiten enormer Handy-Schulden vieler Jugendlicher sehr wichtig - nicht im Unterricht untergebracht werden kann, kann das am Nachmittag gut nachgeholt werden;  eine entsprechende sachkundige pädagogische Betreuung vorausgesetzt. Die Experten der Jugendhilfe sind hier gefragt. Das sieht die Landesregierung genauso.

Die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ soll genau in diesen Bereichen ansetzen und pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Nachmittagsbereich entsprechend fortbilden. Ich bezweifle allerdings, ob das mit einer einzigen Personalstelle zu bewerkstelligen ist. Denn die Fortbildungsveranstaltungen sind schließlich nur eine von insgesamt vier Arbeitsbereichen der Serviceagentur, von denen jeder für sich bereits eine Stelle verdient hätte. Das nenne ich ein ministeriell geschaffenes Paradox: Lehrer vor Überforderung schützen, indem man Servicestellen überfordert.

Der zweite Kritikpunkt am Bericht betrifft eine besondere Form der Ausgrenzung: Zunehmend beklagen sich Eltern, dass ihre Kinder von der Schule gewiesen oder beurlaubt werden, weil sich die Lehrer von deren Verhalten überfordert fühlen. Dieses Aussortieren all derjenigen, die nicht ins Raster passen, hinterlässt bei den Betroffenen Ohnmachtsgefühle, Scham und führt zur Stigmatisierung. Klärende Gespräche, gerade auch mit Experten aus der Jugendhilfe, könnten sicherlich helfen, dass sich diese Praxis nicht verfestigt. Schüler und Lehrer können sich schon einmal in eine ausweglose Situation hineinmanövrieren. Sachkundiges Coaching von außen kann hier helfen und die Situation entspannen. Der SSW fordert darum das Ministerium auf, entsprechende Verfahren zu koordinieren.

Drittens gibt es ohne Zweifel Probleme bei der Integration von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen an so genannten Normalschulen. Ich denke, dass hier nicht nur ein Qualifikationsdefizit der Pädagogen vorliegt, sondern sich der Selektionsgedanke des dreigliedrigen Schulsystems auf eine besonders traurige Art manifestiert. Auch hier sehe ich ein Einsatzgebiet für die Jugendhilfe. Es darf nicht sein, dass Eltern für Integrationsleistungen, die ihren Kindern zustehen, kämpfen müssen und viele irgendwann am Wust von Zuständigkeiten und am Spardrang der kommunalen Ebene scheitern. Dies schadet den Kindern und hilft auch den betroffenen Schulen nicht weiter.

Der SSW wird die weitere Verzahnung von Jugendhilfe und Schulen in allen Bereichen weiterhin kritisch beobachten. Dabei betone ich ausdrücklich: in allen Bereichen. Auch denen, die nicht im Bericht angesprochen wurden.

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