Rääde · Flemming Meyer · 09.10.2002 Landesnachhaltigkeitsstrategie

Beim Lesen der beiden vorliegenden Anträge zum Thema Landesnachhaltigkeitsstrategie wurde mir wieder ins Bewusstsein gerufen, dass in der Agenda 21–Diskussion der letzten Jahre häufig eine Sprache verwendet wurde, mit der viele Menschen nichts anfangen können. Begriffe wie Nachhaltigkeit tragen in sich selbst keine Aussage und sind daher eher geeignet, zur Verwirrung als zur Klärung beizutragen. Wenn man aber wie im CDU-Antrag in bester Schulmeisterart feststellt: „Im Schlussprotokoll der Rio-Konferenz sind in folgender Reihenfolge die Strategien genannt: 1. ökonomisches Wachstum, 2. ökologisches Gleichgewicht und 3. sozialer Fortschritt. Dieses auch in Schleswig-Holstein zu verankern und weiterzuentwickeln, muss nach einer langen Phase, in der die „Agenda 21“ fast ausschließlich mit ökologischen Zielsetzungen umgesetzt wurde, Vorrang haben“ – dann liest man das Buch der Agenda 21 doch wohl eher wie der Teufel die Bibel. Denn was folgt, sind Forderungen, mit denen sich der Schleswig-Holsteinische Landtag schon mehr als einmal beschäftigt hat. Sie sind nur ein bisschen anders zusammen gestellt als sonst. Was bleibt, ist aber dennoch der Geschmack von altem Wein in neuen Flaschen – z.B. in Punkt 1, wo es um die Schaffung von „innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen“ für die Wirtschaft geht; in Punkt 6, der sich für „Forschung und Entwicklung der Bio- und Gentechnologie“ einsetzt oder in Punkt 10 – und dieser Punkt ist aus Sicht des SSW wirklich der Hammer – wo gefordert wird, „auch im Interesse nachfolgender Generationen grundsätzlich alle Optionen für die Nutzung sämtlicher verfügbarer Energieträger einschließlich der Kernenergie offen zu halten“.
Nun kann man dem gegenüber natürlich einwenden, dass der Antrag vor dem Hintergrund des Johannesburger Gipfels, der Flutkatastrophe und der Bundestagswahl so wie so eher als ein historisches Dokument zu betrachten ist. Mit anderen Worten: wer die in Rio de Janeiro formulierte Tagesordnung für das 21. Jahrhundert ernst nimmt, muss zu dem Schluss kommen, dass das dort festgelegte Ziel, eine nachhaltige und umweltverträgliche Entwicklung in Gang zu setzen, um die Lebensgrundlagen der künftigen Generationen zu sichern, nur bei einer Gesamtbetrachtung ökonomischer, ökologischer, sozialer und globaler Aspekte zu erreichen ist.

Die Agenda 21 wurde 1992 von insgesamt 170 Staaten unterzeichnet. Nachdem mittlerweile zehn Jahre vergangen sind, folgte wie gesagt der Rio+10 Gipfel im September in Johannesburg. Hauptthemen dieses Gipfels waren unter anderem: Schutz der natürlichen Ressourcen, Verzahnung von Umweltschutz und Armutsbekämpfung, größere Nachhaltigkeitsbemühungen bei der Globalisierung und Stärkung von verantwortlichem Regieren und Bürgerbeteiligung. Darüber hinaus sollten die unterzeichnenden Länder ihre nationalen Nachhaltigkeitsstrategien präsentieren. Mehr als alles andere ging aber als Ergebnis des Gipfels hervor, dass der Weg hin zu mehr Nachhaltigkeits- und Agenda 21-Bewusstsein sehr steinig ist.

Dass die Umsetzung der Ziele der Agenda 21 auf globaler Ebene nicht leicht sein würde, dürfte allen von vornherein klar gewesen sein. Doch auch mit der Umsetzung auf lokaler Ebene hapert es. Die Ursache hierfür ist häufig in einem falsch verstandenen Ansatz zu begründen. So haben Nachhaltigkeitsstrategien im Sinne der Agenda 21 nichts mit Ökologie-Ismus zu tun. Sie sind mehr, sie sind aber auch etwas anderes als das, was der CDU-Antrag hineininterpretiert.
Eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie im Sinne der Agenda 21 beruht auf drei gleichberechtigten Säulen - wobei die eine nicht ohne die andere betrachtet werden und schon gar keine Rangfolge der einzelnen Ziele stattfinden darf.
Die drei Eckpfeiler - Soziale Gerechtigkeit, Umweltverträglichkeit und wirtschaftliche Tragfähigkeit - hat sich die Landesregierung als Leitbild für eine zukunftsfähige Entwicklung gesetzt und in einem interministeriellen Arbeitskreis Ziele und Zukunftsfelder definiert. Sie hat erkannt, dass Agenda 21 und Nachhaltigkeit in allen Bereichen und allen Ebenen definiert werden muss.
Der Zwischenbericht der Landesregierung macht deutlich, dass zahlreiche Kommunen, Verbände und Organisationen in Schleswig-Holstein seit Jahren die Ziele der Agenda 21 berücksichtigen. Unter aktiver Beteiligung des Agenda 21-Büros der Umweltakademie des Landes werden die kommunalen Aktivitäten gebündelt und auch beraten. Für diese hervorragende Arbeit, die dort geleistet wird, gebührt dem Agenda 21-Büro Dank.
Jedoch ist dem Zwischenbericht der Landesregierung auch zu entnehmen, dass es neben Erfolgen auch Fehlschläge gibt. So wird aufgeführt, dass es hinsichtlich der Breitenwirkung und der Verbindlichkeit der Nachhaltigkeitspolitik auch Defizite gibt. Darüber hinaus haben sich noch nicht alle wichtigen gesellschaftlichen Ebenen ausreichend der Umsetzung des Leitbildes der Nachhaltigkeit gewidmet. Eine Übersicht über schleswig-holsteinische Kreise und Kommunen macht deutlich, dass hier noch einiges geleistet werden muss. Bisher haben 9 von 11 Kreisen, 21 von 57 kreisangehörigen Städten und etwa 22 von 1.127 Gemeinden einen Beschluss zur lokalen Agenda 21 getroffen. – Nebenbei bemerkt gilt das für Flensburg, Koldenbüttel und Harrislee.
Um aber die Akzeptanz auf kommunaler Ebene für die Agenda 21 zu erhöhen, muss noch einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden – da gibt es nichts schön zu reden.

Mit ihrer Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt die Landesregierung unter anderem das Ziel, neue Impulse in allen gesellschaftlichen Breichen zu geben. Im Dialog mit Akteuren der Kommunen, der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kirchen und der Verbände soll für eine aktive Mitarbeit am Projekt „Zukunftsfähiges Schleswig-Holstein“ geworben werden. Jedoch hat sich in ersten Gesprächen herausgestellt, dass soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeitsstrategien nur schwer zu vermitteln und zu präzisieren sind. Aus diesem Grund wurden von der Landesregierung Leitbilder und Ziele für die drei Schwerpunkte "Zusammen Leben", "Das Land nutzen" und "Arbeit und Produzieren" entwickelt. Aus Sicht des SSW ist dabei auch begrüßenswert, dass es weniger um abstrakte Modelle als um praktische Ansätze gehen soll. Nur so wird es letztlich möglich sein, die Diskussion und den Umsetzungswillen auf breiter Basis erneut anzustoßen.
Dass dies bereits erfolgreich geschieht, zeigen uns die vielen LSE-Projekte im Land, denn sie stehen auch für den Dreiklang der Agenda 21. Der Wille etwas zu bewegen ist also nicht erloschen. Es müssen nur neue Konzepte erarbeitet und Wege gefunden werden, wie diese Ziele konkret umgesetzt werden können. Anders herum heißt es aber auch, dass wir uns keine weiteren Einschnitte bei den LSE-Projekten leisten können. Planungssicherheit ist in diesem Fall eine wesentliche vertrauensbildende Maßnahme. „Meinungen sind wie Grundstücke. Erstens sind sie zu teuer, und zweitens kann man nicht immer darauf bauen“, sagt der Kabarettist Dieter Hildebrand – und das kann es wohl nicht gewesen sein.
Mit dem Zwischenbericht hat die Landesregierung eine gute Grundlage für eine Nachhaltigkeitsstrategie auf Landesebene geschaffen. Dazu steht der SSW. Wir stehen auch dazu, dass dieser Bericht kontinuierlich fortgeführt und weiterentwickelt wird. Nur so wird die Rechnung aufgehen und die Initiative "Zukunftsfähiges Schleswig-Holstein" als die gewünschte Initialzündung für mehr Agenda 21-Bewusstsein auf allen Ebenen sein können. Wir unterstützen also den sehr artigen Antrag der Regierungsfraktionen, der eben dieses fordert.

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