Rääde · Jette Waldinger-Thiering · 27.01.2022 Peinliche Versäumnisse bei der Lehrkräftebildung

„Kassensturz nennt man das angriffslustig, wenn man die Geschäfte von einer anderen Regierung übernommen hat. Wenn man allerdings schon fünf Jahre in Verantwortung steht, ist das ein Armutszeugnis.“ 

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 27 - Allianz für Lehrkräftebildung (Drs. 19/3566)

Der Lehrkräftemangel ist eine Kerze, die an zwei Enden brennt: einerseits erwarten wir eine enorme Pensionierungswelle, andererseits wachsen die Aufgaben der Lehrkräfte enorm. 
Der Bedarf an Lehrkräften ist also sehr groß; und das nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern bundesweit. 
Das ist der Landesregierung am Ende der Legislaturperiode auch aufgefallen. Einschränkend muss man sagen: so ganz ist ihr das Ausmaß des Problems offenbar nicht bekannt. Warum sonst soll als erster Schritt bei der Konzeptermittlung zunächst der spezifische Bedarf erhoben werden; so der Antrag der regierungstragenden Fraktionen. 
Dieses Nicht-Wissen ist mehr als bitter. Muss der Bedarf erst noch erhoben und ermittelt werden? Haben die zuständigen Stellen also keine aktuellen Daten vorliegen? Kassensturz nennt man das angriffslustig, wenn man die Geschäfte von einer anderen Regierung übernommen hat. Wenn man allerdings schon fünf Jahren in Verantwortung steht, ist das ein Armutszeugnis. 
Prinzipiell unterstütze ich natürlich Bemühungen zur Behebung des bestehenden und wachsenden Bedarfs. Allerdings kann ich mir den Hinweis nicht verkneifen, dass die letzte Landesregierung etwas Ähnliches schon 2014 in sehr gute und wegweisende Lehrkräftebildungsgesetz geschrieben hat. Dort wird in Paragraph 7 die Koordinierung von Hochschulen, IQSH, SHIBB, Vertretungen der Schulen sowie der Lehramtsstudierenden, Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik und dem Ministerium vorgesehen.  Gemeinsam, so steht es im Gesetz, sollen Fragen der Lehrkräftebildung beraten, koordiniert und bewertet werden. Hat man vor Jahren nur nicht Allianz genannt; faktisch ist es das durchaus. 
Wir können nämlich nur gemeinsam die anstehende Misere verhindern. Der Mangel an qualifizierten Lehrkräften betrifft den gesamten Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein, der seine Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren droht, wenn auf den Schulen Stundenausfall und nicht-qualitiative Vertretungsstunden zunehmen; wenn also, in anderen Worten, die schulische Bildung leidet. Das betrifft inzwischen sehr viele Fächer, vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich. Im Dezember 2020 gab es an den Gemeinschaftsschulen des Landes nur 13 ausgebildete Lehrkräfte für Informatik mit einem zweiten Staatsexamen im Fach Informatik. Allein der Bedarf in diesem Bereich ist also enorm.
Die Liste der Mängelfächer, bei denen schulartübergreifend ein besonderer fachspezifischer Bedarf besteht, möchte ich sogar noch um zwei Fächer ergänzen: Dänisch und Friesisch. Beide Fächer leiden seit Jahren unter massiven Engpässen, die im Fall des Friesischunterrichts bereits zu einem dramatischen Rückgang der Zahl der Schülerinnen und Schüler geführt hat. Deren Zahl hat sich in den letzten Jahren halbiert. Das Fach Friesisch büßt innerhalb kurzer Zeit alle Erfolge ein: das ist ein schlimmer Rückschritt. Dieses langsame Sterben könnte die Landesregierung mit einem gezielten Förderprogramm in Sachen friesischer Lehrkräfteausbildung und -rekrutierung aufhalten; tut sie aber nicht. Noch immer ist Friesisch an den Hochschulen nur ein Zusatzfach und kein vollwertiges Studienfach; also faktisch ein Mühlstein um den Hals einer zukünftigen Lehrerin oder eines zukünftigen Lehrers. Ein unhaltbarer Zustand.
Bei Dänisch ist die Situation ähnlich defizitär: Die Schulen in der Fehmarnbeltregion würden ihre Schülerinnen und Schüler gerne mit der Sprache ihrer zukünftigen Kundschaft vertraut machen, doch leider fehlen auch hier qualifizierte Lehrkräfte. 
Minderheiten kommen aber in ihrer neuen „Allianz“ gar nicht vor. 
Darüber hinaus zeigt sich jetzt schon in der beruflichen Bildung eine schlimme Lücke.  Hier hat die Hochschule Flensburg schon sehr gute Konzepte entwickelt, der die direkte Nachbarschaft der Hochschulen auf einem Campus nutzt. So können die Studierenden, die einmal Berufsschullehrerinnen und -lehrer werden wollen, im fünften und sechsten Semester Studienleistungen erbringen, mit denen sie Ihr Masterstudium um ein gutes halbes Semester verkürzen. Solchen handfesten Kooperationen gehört wohl die Zukunft.
Ich möchte zum Abschluss ganz deutlich darauf hinweisen, dass funktionierende Allianzen nur ein winziger Baustein für eine zukunftsweisenden Rekrutierungsstrategie sein können. Wir müssen uns auch an die dicken Bretter wagen, was Studieninhalte, Weiterbildung von Quereinsteigern und Bezahlung angeht.

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