Rääde · Flemming Meyer · 23.03.2011 Regierungserklärung „Energiepolitik für Schleswig-Holstein – verantwortlich und nachhaltig“

Bei der rasanten Entwicklung der Atomdebatte in den letzten zwei Wochen stellt sich schon die Frage: Warum nicht gleich so? Denn letztendlich hat sich an der Faktenlage nichts geändert. Die Lebenslügen der Atomlobby waren schon seit Jahrzehnten falsch. Dass es des traurigen Unglücks in Japan bedurfte, um dem Lobbyismus zumindest für einen Zeitraum von drei Monaten ein Ende zu bereiten, zeigt, dass insbesondere die CDU aus Landes- und Bundesebene und die FDP auf Bundesebene aus der Faktenlage nichts lernen konnten oder wollten. Man folgte treu den Lebenslügen der Atomlobby und sorgte dafür, dass den großen Energiekonzernen in Deutschland das Geld nicht ausgeht.
Welchen Lebenslügen ist man nun gefolgt?

Lebenslüge Nr. 1: „Schaltet man die Atomkraftwerke nur teilweise ab, dann gehen in Deutschland die Lichter aus.“ Meine Damen und Herren, das war natürlich völliger Unsinn. Das wusste man auch schon vorher. Natürlich haben wir billigen Atomstrom ins Ausland exportiert und natürlich brauchten wir die dafür betriebenen Atomanlagen nicht für unsere Versorgung. Man brauchte auch kein Mathematikprofessor sein, um auszurechnen wie viel Atomanlagen nicht mehr benötigt würden, wenn man keinen Atomstrom mehr exportiert. Wir haben laut Umweltbundesamt eine überschüssige Kapazität von 15 Gigawatt. Fachleute haben schon vor den Unglücksereignissen in Japan deshalb darauf hingewiesen, dass rund die Hälfte der Atomanlagen nicht benötigt wird.
Nun werden 8 Atommeiler zumindest zeitweise abgeschaltet und in Deutschland gehen die Lichter eben nicht aus. Und das Umweltbundesamt kommt sogar zu dem Schluss, dass man 9 AKWs sofort ausschalten kann, ohne dass Einschränkungen der Versorgungssicherheit zu befürchten oder Stromimporte aus dem Ausland nötig würden.

Im Gegenteil. Durch den seinerzeitigen rot-grünen Kompromiss mit der Energiewirtschaft wurde ja schon gezeigt, dass ein Ausstieg innerhalb von 10 Jahren auch von der Energiewirtschaft akzeptiert wurde. Das heißt, der Ausstieg wurde seinerzeit nicht nur als möglich, sondern auch als wirtschaftlich problemlos umsetzbar angesehen. Und auch hier spricht das Umweltbundesamt eine deutliche Sprache. Der völlige Atomausstieg sei schon 2017 möglich. Hierfür sind nur die heute schon vorhandenen Kraftwerke und die im Bau befindlichen Kraftwerke nötig. Man müsste nur die Erneuerbaren Energien ausbauen und die bisher geplanten effizienten Blockheizkraftwerke und Gaskraftwerke bauen.

Hier möchte ich denn auch ein aktuelles Thema einschieben. Weil wir keine neuen Kraftwerke – insbesondere keine Kohlekraftwerke – mehr brauchen, brauchen wir auch keine CCS-Einlagerung. Auch dieses Thema ist mit einer unkalkulierbaren Unsicherheit für die Gesundheit der Menschen und für die Natur belegt. Wir sollten aus der Atomdebatte nun auch lernen, dass nicht sicher beherrschbare Technologien ein Irrweg sind. Und deshalb ist auch CCS ein Irrweg.

Lebenslüge Nr. 2: „Wir brauchen Atomkraftwerke, weil diese saubere Energie produzieren.“ Auch diese Lebenslüge ist seit Jahrzehnten widerlegt, aber erst jetzt scheint sich Schwarz-Gelb zumindest für eine Zeit lang der Diskussion nicht mehr zu verschließen. Vergleicht man die derzeitige Energiebilanz von Atomkraftwerken mit den erneuerbaren Energien und mit modernen Gaskraftwerken, so schneiden die AKWs schlechter ab. Insbesondere durch die Gewinnung des für die AKWs nötigen Urans wird eine Unmenge an Energie aufgewendet. Dies verschlechtert die Energiebilanz und damit auch die Ökobilanz der Kernenergie gegenüber den Erneuerbaren Energien und den eben genannten modernen Gaskraftwerken.
Dies liegt aber auch darin begründet, dass dezentrale Einheiten auch so installiert werden können, dass man vor Ort die Abwärme dieser Kraftwerke nutzen kann. Sei es Biogas- oder andere Gaskraftwerke; beides kann so genutzt werden, dass man den größten Energieschlucker nämlich die Energie für Wärmegewinnung gleich mitdenken kann. Riesige Atomkraftwerke bräuchten hierfür riesige Industrieanlagen als Abnehmer. Die meisten dieser AKWs stehen aber an Standorten, die genau dies nicht zulassen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Atomenergie eben keine nachhaltige Energieform. Betrachtet man im Übrigen dann noch, dass die Uranvorkommen auf der Erde immer schwieriger zugänglich sind, dann wird die Atomenergie auf längere Sicht noch unattraktiver.

Lebenslüge Nr. 3: „Die AKWs bedeuten auch Arbeitsplätze.“ Wenn man sich mit wenigen Arbeitsplätzen zufrieden gibt, dann mag diese Aussage stimmen. Will man aber mehr Arbeitsplätze, dann ist diese Aussage völlig falsch. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien hat in den letzten 10 Jahren tausende an Arbeitsplätzen geschaffen und, was noch viel wichtiger ist, eine eben so große Menge an Arbeitsplätzen im Handwerk und Gewerbe vor Ort gesichert. Ganze Landstriche, wie bei uns an der Westküste, haben so einen unheimlichen Schub bekommen. In der Fläche werden dezentral Anlagen betrieben, die gewartet und repariert werden müssen. Für das regionale Handwerk ist dies eine wichtige und dauerhafte Einnahmequelle. Überall in unserem Land haben sich Arbeitsplätze rund um die Erneuerbaren Energien angesiedelt. Noch vor 20 Jahren war es fast unmöglich als Ingenieur einen Job in Nordfriesland zu finden und heute zieht es die Fachkräfte förmlich in unser Land.
Die Hochschulen und Weiterbildungsinstitutionen haben diesen langfristigen Trend aufgegriffen und sich im Bereich der Erneuerbaren Energien einen Namen gemacht. Unser Interesse als Land Schleswig-Holstein muss es sein, die Infrastruktur für diesen Wirtschaftszweig auszubauen und die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen, dass dieser Wirtschaftszweig weiter bei uns blühen kann. Ich zitiere noch einmal das Umweltbundesamt, nach dem sich der gesamte Strombedarf in Deutschland bis 2050 aus Erneuerbaren Energien gewinnen lässt. Wir in Schleswig-Holstein sind führend in diesem Bereich und deshalb muss jede verantwortungsvolle Schleswig-Holsteinische Landesregierung für den schnellen Atomausstieg und für den Ausbau der Erneuerbaren Energien eintreten. Dies schafft und erhält gerade bei uns dringend notwendige Arbeitsplätze.

Lebenslüge Nr. 4: „Wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, steigen die Strompreise.“ Auch diese Behauptung ist definitiv Unsinn. In den letzten Jahren sind die Preise in größerem Ausmaß gestiegen, als der Anteil der Erneuerbaren Energien am Gesamtstromanteil gestiegen ist. Da der Kraftwerkspark der Energieriesen nicht nur aus nagelneuen Anlagen besteht, sondern diese Anlagen oft älteren Datums und damit abgeschrieben sind, hätte der Preis für die konventionelle Energie eigentlich in den letzten Jahren sinken müssen und wahrscheinlich die Mehrkosten für neue Energieformen aufwiegen müssen. Das dies nicht geschehen ist, liegt vielleicht auch daran, dass die vier großen Oligopolisten am Energiemarkt die Vergünstigungen nicht an die Verbraucher weitergegeben haben. Und das Ganze wurde ja auch in der Vergangenheit durch die schwarz-gelbe Energiepolitik unterstützt.
Dass die Preise nicht gefallen oder doch zumindest gleich geblieben sind, liegt nicht an den neuen Energieformen, sondern am mangelnden Wettbewerb am Markt. Würden mehr unabhängige Anbieter am Markt ihren Strom anbieten, würde dies auch eine positive Auswirkung auf die Verbraucherpreise haben. Es muss also Schluss sein mit der künstlichen Subventionierung des Atomstroms und Schluss sein mit der einseitigen politischen Unterstützung der Stromkonzerne. Würden wir adäquate Sicherheitsstandards für die Atomkraftwerke verlangen und entsprechende Versicherungsbeiträge für die AKWs erhoben werden, würde sich der Betrieb dieser Kraftwerke schon heute nicht mehr lohnen. Wenn aber der Atomausstieg sicher beschlossen werden würde, würden auch mehr Anbieter im Bereich der anderen Energieformen an den Markt gehen und dann würde sich die Konkurrenz für die vier großen Energieriesen vervielfachen. Dadurch gäbe es mehr Wettbewerb und so wären mindestens stabile Preise – vielleicht sogar fallende Preise möglich.

Lebenslüge Nr. 5: „Unsere Atomkraftwerke sind sicher.“ Dieser Satz lässt sich durch das, was in Japan geschehen ist, ohnehin schon widerlegen. Aber auch wenn man sich die AKWs in Deutschland einzeln ansieht, wird man nicht um den Schluss herum kommen, dass diese Anlagen nicht sicher zu betreiben sind. Da sind zum Beispiel unsere Pannenreaktoren in Krümmel und Brunsbüttel. In beiden Kraftwerken hat es eine Vielzahl von Störfällen gegeben, die teilweise auch zu schlimmeren Szenarien hätten führen können. Das Krümmel seit 2009 abgeschaltet ist und auch Brunsbüttel vom Netz bleibt, hat schon seine Gründe. Diese Gründe sind einerseits technischer Art und andererseits erwies sich auch der bisherige Betreiber Vattenfall als nicht unbedingt zuverlässig und kommunikativ. Sieht man dann noch, dass man sich in Japan immer wieder eingeredet hat, die nun zerstörten AKWs seien sicher, dann kann einem nur Angst und Bange werden.
Aber ich möchte auch auf ein absolut realistisches Szenario hinweisen. Seit den Anschlägen vom 11. September wissen wir, dass Menschen zu solchen Anschlägen fähig sind. Und wir wissen auch, dass Atomkraftwerke wie das in Brunsbüttel einem solchen Anschlag nicht standhalten würden. Wir wissen darüber hinaus auch, dass die Notstromanlagen für die AKWs oft nicht durch eine ausreichende Betonhülle geschützt sind – im übrigen genauso wie die in Japan. Und weil wir dieses alles wissen, müssen wir in erster Linie unsere Bürger schützen und nicht die großen Stromkonzerne.

Was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist nicht den Marsch in eine verstrahlte Zukunft, sondern ein schnelles Umlenken in der Energiepolitik. Dabei müssen die jetzt im Rahmen des Moratoriums abgeschalteten Atomkraftwerke dauerhaft abgeschaltet bleiben. Es muss vorläufig der rot-grüne Atomkompromiss weitergeführt werden. Und es muss angestrebt werden, noch früher aus der Atomkraft auszusteigen. Dafür müssen wir die Erneuerbaren Energien massiv fördern und dezentrale Energieformen voran bringen. Hierfür sind weder neue Kohlekraftwerke noch CCS-Technik nötig. Vielmehr muss man den entschiedenen Willen haben endlich umzusteuern. Wir brauchen einen Ausbau der Netze, so dass der Strom aus den neuen Energieformen auch eingespeist werden kann. Hierfür wird es nötig sein, sehr schnell sehr viele Projekte auf die Beine zu stellen. Wenn wir schnell aus der Atomwirtschaft aussteigen wollen, müssen diese Netz-Projekte schnell umgesetzt werden und deshalb brauchen wir hier wahrscheinlich verkürzte Genehmigungsverfahren. Deshalb müssen wir sehr schnell Wege finden, wie bei verkürzten Verfahren im Vorwege die Bürgerbeteiligung nicht zu kurz kommt. Das ist eine der wirklichen Herausforderungen der Landespolitik der nächsten Jahre. Und wir brauchen die Zusammenarbeit mit anderen Ländern, die ebenfalls erneuerbare Energiequellen nutzen, wie zum Beispiel Norwegen. Nur wenn die Erneuerbaren Energien grenzüberschreitend genutzt werden und sich ergänzen, werden wir den vollen Nutzen der Erneuerbaren Energien nutzen können.

Wenn wir diesen Weg gehen, schaffen wir Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein, unterstützen unsere Hochschullandschaft, generieren sichere Steuereinnahmen für unser Land und sorgen für die Sicherheit unser Bürgerinnen und Bürger.

Deswegen: Alle AKWs abschalten! Und das so schnell wie möglich.

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