Rääde · Flemming Meyer · 23.01.1997 SSW-Antrag zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

Dieser Antrag steht für uns in einem engen Zusammenhang mit dem hier im Hause diskutierten kommunalen Wahlrecht für Über-16jährige. Wir meinen, daß den Intentionen der Wahlrechtsänderung nur genüge getan wird, wenn der Landtag auch weitere Maßnahmen der Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen beschließt. Die Zielsetzung des Antrags - und im übrigen auch die Zielsetzung der Demokratiekampagne der Landesregierung - ist es, demokratische Mitbestimmung im Alltagsleben zu stärken. Es gilt, zu verdeutlichen, daß Demokratie nicht nur ein abstraktes politisches System ist, sondern daß Demokratie eine Lebensform ist. In der Anhörung zum Wahlrecht und auch im Gespräch mit Jugendlichen ist mir immer wieder vorgetragen worden, daß Kinder und Jugendliche dort mitbestimmen wollen, wo ihr Alltag stattfindet - also in erster Linie in Familien, Tagesstätten, Schulen und Strukturen der Freizeitgestaltung. Dort müssen Beteiligung und Mitbestimmung anfangen.

Wir meinen, daß das Schulwesen - im Rahmen seiner Zielsetzung der Erziehung zur demokratischen Beteiligung des § 4 Abs. 4 Schulgesetz - verstärkt auf die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern setzen muß. Die kommende Novellierung des Schulgesetzes mit ihrer Stärkung der Autonomie der einzelnen Schule bietet einen guten Ausgangspunkt, um die Stellung der Schüler in den Schulkonferenzen zu stärken. Außerdem erscheint die Definition der Aufgaben der Schülervertretungen in § 109 Abs. 2 noch ausbaufähig.

Für die Landesebene fordern wir, daß die LandesschülerInnenvertretung ihre Mittel auf eine andere Art und Weise zur Verfügung gestellt bekommt. Es kann nicht richtig sein, daß diese engagierten Schülerinnen und Schüler jeden kleinen Ausgabenanteil im Ministerium hinterfragen lassen müssen. Ich halte diese jungen Menschen durchaus für verantwortungsbewußt genug, auch ökonomische Entscheidungen zu fällen. Mir ist bewußt, daß eine finanzielle Selbstverwaltung der LandesschülerInnenvertretung rechtlich nicht unproblematisch ist, aber die bisherige Praxis ist einer Vertretung der Schülerinnen und Schüler des Landes nicht würdig. Sie steht außerdem in einem krassen Widerspruch zu den Mitbestimmungsbestrebungen der Landesregierung.

Das Kindertagesstättengesetz sieht in § 16 Abs. 2 Mitwirkungsmöglichkeiten für Kinder vor. Auch diese Möglichkeiten können unserer Ansicht nach noch besser ausgeschöpft werden - zum Beispiel wenn es um Beteiligung bei Entscheidungen über Inhalte, den Tagesablauf oder baulichen Veränderungen und Raumgestaltung geht.

Spricht man mit jungen Menschen über das Wahlrecht, dann hört man sehr oft die erstaunlich reflektierte Einschätzung, daß sie nicht die Kompetenzen hätten für solche Entscheidungen. Daher meinen wir auch, daß die Komponente der Erziehung zur Mitbestimmung gestärkt werden muß. Dieses gilt zum Einen innerhalb der Schule im Rahmen des § 4 Abs. 4. Der Erwerb der Fähigkeiten zur Vertretung eigener Interessen in demokratischen Zusammenhängen beschränkt sich nicht auf klassische politische Bildung oder Sozialkunde als eigenständiges Fach. Er ist ein Prinzip, das den gesamten Aktivitäten in den Schulen zugrunde liegen muß. Zum Anderen erfordert ein solches demokratisches Selbstverständnis der Schule auch die entsprechende Qualifizierung der Erwachsenen. Daher muß die Erziehung zur Partizipation auch in der Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen verschiedener Fachrichtungen Berücksichtigung finden. Entsprechende Konzepte der Ausbildung sind bereits entwickelt worden.

Auch im Wohnungs- und Städtebau können Kinder und Jugendliche mit konkreten Beiträgen zu einer kinder- und jugendgerechteren Umwelt beitragen, wie das Beispiel Flensburg-Engelsby gezeigt hat. Wir fordern die Landesregierung auf, zu prüfen, welche Möglichkeiten sie hat, im Rahmen ihrer Förderungsmaßnahmen Anreize für eine solche Beteiligung zu schaffen - und diese umzusetzen.

Beteiligung und Mitbestimmung entsprechen zum Einen dem Anrecht der Kinder und Jugendlichen auf ein aktives Leben in der Demokratie. Zum Anderen verfolgen sie das Ziel, Kinder und Jugendliche zu integrieren, und der drohenden Staats- und Demokratieverdrossenheit entgegenzuwirken.

Besonders angesichts der demographischen Entwicklung innerhalb der nächsten Jahre müssen Kinder und Jugendliche besser in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Wenn sie erst einen wesentlichen geringeren Teil der Bevölkerung ausmachen, wird es zu spät sein für die Durchführung einer innovativen Jugendpolitik. Wir müssen uns selber eingestehen, daß Politikerinnen und Politiker immer ihren Blick auf die kommenden Wahlen und auf Wählermehrheiten richten. Es wäre eine Illusion, zu glauben, daß bei der erwarteten Bevölkerungsstruktur die Bedürfnissen von jungen und alten Menschen gleichgewichtig in der Politik Berücksichtigung finden werden. Deshalb müssen wir uns unter anderem auch neuen Beteiligungsformen zuwenden.

Es ist ohnehin zentral für Kinder- und Jugendmitbestimmung, daß Politikerinnen und Politiker den jungen Menschen auch auf deren Prämissen entgegenkommen. Die Demokratie ist ein Prinzip, durch das sich unsere Gesellschaft ständig erneuern kann und muß. Wir müssen nur auch zulassen, daß manche Menschen die demokratische Organisation, wie wir sie heute haben, in Frage stellen. Es muß zulässig sein, die Rolle der Politikerinnen und Politiker zu hinterfragen; es muß legitim sein, die Rolle der Parteien in der Demokratie kritisch zu betrachten.

In Verbindung mit kleinen und jungen Menschen ist vor allem zu Fragen, ob die Beteiligungsformen der Demokratie weiterentwickelt werden können. Schleswig-Holstein hat im letzten Jahr eine Gemeindeordnung bekommen, die erweiterte Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Kommunalpolitik sichert. Dieses ist ein Fortschritt gewesen. Allerdings hält sich der Fortschritt in Grenzen, wenn die Kommunen sich jetzt darauf beschränken Jugendbeiräte einzurichten und Jugendparlamente zu veranstalten. Damit würde man nur bestehende Strukturen fortsetzen - Strukturen, die häufig von jungen Menschen in Frage gestellt oder gar abgelehnt werden. Es ist also wichtig, auch ganz neue Wege der Mitbestimmung zu gehen. Wir glauben, daß vor allem Formen der ad hoc-Beteiligung geeignet sind, das Interesse an demokratischer Teilhabe wieder zu wecken. Deshalb hoffen wir sehr, daß die Kommunen und Kreise aber auch andere Entscheidungsträger verstärkt zu solchen Formen greifen. Sie bringen die Interessen der beteiligten Kinder und Jugendlichen und die Handlungen der Körperschaften oder Verwaltungen in einem überschaubaren Rahmen zusammen.

Wir meinen, mit diesem Antrag einen Anstoß gegeben zu haben, die einschlägigen Debatten des Landtages und die hervorragende Planung der Demokratiekampagne und von „Schleswig-Holstein Land für Kinder“ verstärkt umzusetzen. Abschließend sei noch angemerkt, daß der Antrag keinen Anspruch auf erschöpfende Erfassung aller relevanter Bereiche stellt. Er will lediglich jene aufgreifen, die uns am wichtigsten erscheinen.

Was den Änderungsantrag der SPD betrifft, so können wir die völlige Ersetzung unseres Antrages durch diese Aussagen natürlich nicht akzeptieren. Der Änderungsantrag ist allgemeiner formuliert, und enthält unseres Erachtens nicht ausreichend konkrete Forderungen. Allerdings beinhaltet der SPD-Antrag auch Punkte, die wir unterstützen können - beispielhaft seien die Punkte 4 und 6 erwähnt. Ich hoffe daher, daß wir im Ausschuß einen Kompromiß finden können.

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