Rääde · Flemming Meyer · 17.07.2009 Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung


Die Entscheidung, den Landesbeauftragten für Behinderte beim Landtag anzusiedeln, war richtig. Denn jetzt halten wir einen Bericht in den Händen, der nicht noch zuvor das Kabinett passieren musste. Es ist der ungeschönte Bericht einer Situation in unserem Land mit positiven Beispielen, aber auch vielen schwarzen Stellen.
Herrn Hase ist es gelungen, dass sich Schritt für Schritt die Erkenntnis durchsetzt, dass Menschen mit Behinderungen in die Mitte der Gesellschaft gehören. Seine Öffentlichkeitsarbeit war in diesem Zusammenhang sehr hilfreich. Sicherlich spielt bei dieser Entwicklung aber auch das steigende Lebensalter in unserer Gesellschaft eine Rolle, so dass sich das persönliche Risiko, selbst eine Behinderung zu bekommen, erhöht. In der Politik ist es eine wohl bekannte Weisheit: dort, wo die eigene Betroffenheit beginnt, sind Veränderungen am leichtesten durchzusetzen. Viele Menschen erleben, dass sie mit altersbedingten Sinneseinschränkungen oder zunehmender Immobilität ihr gewohntes Leben nicht fortsetzen können, weil Rampen fehlen, Schilder nicht zu erkennen sind oder akustische Signale fehlen.
Der Beauftragte schlägt vor, dass bei Neu- und Umbauten die Barrierefreiheit die gleiche Priorität wie der Brandschutz haben muss. Denn, wenn man von Beginn an die Barrierefreiheit einplant, ist eine Umsetzung ungleich einfacher als nachträgliche Lösungen, die mühsam und teuer an die Gegebenheiten angepasst werden müssen.
Mittels eines Standards, Barrierefreiheit frühzeitig einzuplanen, wird darüber hinaus das Engagement der Behindertenverbände und –politiker erleichtert.

Ich habe vor kurzem eine Kleine Anfrage zu akustischen Signalen bei Bahnübergängen gestellt. Der Tenor der Antwort war: Sowohl die DB AG als auch private Bahninfrastruktur-Betreiber haben kaum für solche Signalanlagen gesorgt, weil es keine Vorschrift gibt, die sie verpflichten würde. Wie soll dann ein blinder Mensch einen Bahnübergang alleine ohne Hilfe überqueren können, wenn es keine akustischen Signale gibt? Die Anschaffung wäre nicht sehr teuer, aber die Betreiber ziehen sich auf eine juruistische Argumentation zurück. Was nicht vorgeschrieben ist, brauchen sie nicht zu tun, sagen sie. Zumindest die teilweise in Landeseigentum befindlichen Betreiber sollten hier aber trotzdem mit gutem Beispiel voran gehen.

Es werden ohne Zweifel immer wieder neue, schlechte Beispiele folgen, weil Barrierefreiheit in der Ausbildung der Architekten einfach nicht vorkommt. Die Architekten wissen nicht viel mehr über Barrierefreiheit als der Bauherr selbst. Ihnen Sachverständige zur Seite zu stellen, wie das in anderen Bundesländern üblich ist, geht auch nicht, weil es keine entsprechenden Ausbildungsgänge gibt. Hier hinkt Schleswig-Holstein hoffnungslos hinterher. Es müssen dringend Strukturen geändert werden und Barrierefreiheit integraler Teil der Ausbildung aller Bau-Profis werden.

Wie dieses Beispiel, versteht der SSW auch andere Darstellungen des Berichtes als Aufforderung, gesetzgeberisch tätig zu werden. Nicht immer ist alles möglich, wie die Diskussion um die Landesbauordnung gezeigt hat. Doch die Fortschritte sind spürbar. Je frühzeitiger die Barrierefreiheit in den Planungen, ob nun bei einem IT-Portal, einem Museumsneubau oder einer öffentlichen Veranstaltung, berücksichtigt wird, desto mehr Menschen können später das Angebot tatsächlich auch nutzen. Darum geht mein dringender Appell an die Ausrichter des Schleswig-Holstein-Tages 2010, sich die Kritik des Beauftragten zu Herzen zu nehmen und bereits jetzt die Barrierefreiheit in ihren Planungen zu berücksichtigen. Ich bin optimistisch, dass die Aussteller eine Lösung finden werden, die sowohl Menschen im Rollstuhl und auch Müttern mit Kinderwagen den Zugang zu den Zelten leichter ermöglichen wird.

Doch es geht beim vorliegenden Bericht nicht nur um starre Strukturen, die es mit großer Ausdauer zu ändern gilt und die sich durchaus, wenn auch in kleinsten Schritten, bewegen, sondern es geht um die zahlreichen Belege für einen eindeutigen Rückwärtstrend. Gerade an dieser Stelle lässt es der Beauftragte nicht an Deutlichkeit fehlen – und das begrüßt der SSW ausdrücklich.
So schildert der Beauftragte konkrete Verschlechterungen der Situation von Menschen mit Behinderungen. Die so genannte Gesundheitsreform hat für die Betroffenen vor allem eines gebracht: massive Kürzungen. Auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert sich kontinuierlich; es ist zu erwarten, dass die Arbeitslosenzahlen der Menschen mit Behinderung im Zuge der Finanzkrise weiter steigen werden. Der dritte Arbeitsmarkt, also die Arbeit in den Werkstätten für Behinderte, wird mehr und mehr zur Endstation. Eine Integration in den regulären Arbeitsmarkt kommt nicht zustande, weil dem Einrichtungsinteressen, fehlende Information potenzieller Arbeitgeber und unzureichende Integrationsunterstützung entgegenstehen. Fachwissen, das bei den Arbeitsagenturen angesiedelt ist, muss bei ArGen und Optionskommunen erst noch aufgebaut werden.

Leider ist darüber hinaus festzustellen, dass das Land nicht mit gutem Beispiel vorangeht und bevorzugt Menschen mit Behinderungen einstellt.
Tatsächlich berühren die meisten Einzelanfragen, die den Beauftragten erreichen, Probleme im Zusammenhang mit der Arbeitswelt. Menschen mit Behinderungen erfahren regelmäßig, dass sie wegen ihrer Behinderung keinen Job finden oder dass ihnen kaum Hilfen gewährt werden. Das Nebeneinander der jeweiligen Rehabilitations-, Eingliederungs- und Förderstellen führt zu Doppelverfahren, langen Wartezeiten, Intransparenz und degradiert die Antragsteller zu Bittstellern. Hier täte Abhilfe dringend Not. Einheitliche Ansprechpartner wird es aber angesichts egoistischer Einzelinteressen und der bürokratischen Eigenlogiken auch auf absehbare Zeit nicht geben. Dieser Problemkomplex wird uns bedauerlicherweise noch viele Jahre erhalten bleiben. So werden der Beauftragte und sein Team kurzerhand selbst zu Lotsen im Zuständigkeitsdschungel. Sie gleichen mit großem Sachverstand und persönlichem Einsatz bürokratische Defizite aus. Das ist gar nicht hoch genug zu bewerten und zu loben; bleibt aber dennoch nur eine Krücke, die rechtliche Defizite nur ausgleichen, aber nicht beseitigen kann.
Diese tatkräftige Hilfe des Beauftragten entlässt uns als Gesetzgeber keineswegs aus der Verantwortung, die Integration von Menschen mit Behinderungen aktiv durch Gesetze, Initiativen und die Schaffung barrierefreier Strukturen voranzutreiben. Gleichwohl danken wir unserem Beauftragten und seinem Team für die hervorragende Arbeit.

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