Rääde · Flemming Meyer · 25.05.2005 Vertrag über eine Verfassung für Europa

Nach der EU-Osterweiterung ist der Beschluss des Europäischen Rates über die Europäische Verfassung ein weiterer historischer Schritt der Europäischen Union. Die Notwendigkeit einer Neugestaltung der Rahmenbedingungen ergibt sich allein aus der Tatsache, dass ein Europa von 25 oder zukünftig gar 27 Mitgliedstaaten mit den bisherigen Spielregeln der EU nach dem sogenannten Nizza-Vertrag im Grunde unregierbar ist. Man kann über das Ergebnis des Verfassungskonventes im Detail zwar streiten, aber im Prinzip ist es richtig, die europäischen Institutionen zu reformieren. - Und insbesondere, dass das Verhältnis dieser Institutionen zu den nationalen und regionalen Parlamenten der Mitgliedsstaaten auf eine neue Grundlage gestellt werden soll.

Gleichzeitig ist ein Grundrechtekatalog in die Verfassung integriert worden. Wobei wir, in Klammern bemerkt, weiterhin die Aufnahme eines Gottesbezuges in die Verfassung ablehnen. Zwar fehlt aus Sicht des SSW ein konkreter Passus über die Rechte der vielen nationalen Minderheiten in Europa, aber immerhin wurde in der Charta der Grundrechte die „Achtung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas“ und ein Diskriminierungsverbot wegen „der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit“ mit aufgenommen.

Für Schleswig-Holstein als Bundesland war es wichtig, dass die Rolle der Regionen Europas mit der Annahme der Verfassung gestärkt wird. Dies ist mit einer Verbesserung der Kompetenz­ordnung, dem Frühwarnsystem bei der Subsidiaritätskontrolle und den Klagerechten erreicht worden. Gleichwohl vermissen wir, dass kein Mechanismus zur Rückverlagerung von Kompe­tenzen auf die Mitgliedsstaaten und Regionen vorgesehen ist.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass diese Verfassung nur der Überbau oder der Rahmen eines Europas der Nationen sein kann. Um die konkrete Ausgestaltung und um die Inhalte der zukünftigen EU müssen die verschiedenen Regierungen, Parteien, Interessengruppen und die Bevölkerungen Europas weiterhin miteinander ringen. Es gibt einen erheblichen Klärungsbedarf, welches Europa man dann nun will. Will man ein Europa des ökonomischen Liberalismus oder will man ein soziales Europa, wo auch der Sozialstaatsgedanke weiterhin eine entscheidende Rolle spielt? Gerade aus der ungeklärten Frage, wohin die Reise der EU in Zukunft gehen soll, speist sich ja das Unbehagen vieler Bürgerinnen und Bürger, die z.B. ihre sozialen Errungen­schaften in Gefahr sehen. Ob es stimmt oder nicht, ist eine andere Frage, aber man muss die Ängste der Menschen ernst nehmen.

Dabei ist es aus Sicht des SSW ein entscheidender Fehler, dass die Mitsprache der Bevölkerung bei wichtigen EU-Vertragsänderungen in der Bundesrepublik außer Acht gelassen wird. Deshalb hat der SSW von Anfang an einen Volksentscheid über die europäische Verfassung gefordert, denn die wichtigen Fragen der Europapolitik werden in Deutschland seit jeher fernab der Bevölkerung entschieden. Aus unserer Sicht muss das Volk aber mitreden können, wenn das Land Souveränität abgibt, um mit anderen Ländern eng zusammenzuarbeiten. Bei der Forderung nach einem Volksentscheid geht es uns also nicht darum, die Verfassung in Bausch und Bogen abzulehnen, sondern um die demokratische Mitsprache der Bevölkerung bei einem so weitreichenden Projekt. Ein Volksentscheid hätte dem Verfassungsvertrag ein größeres Maß an politischer Legitimation verliehen.

Natürlich ist eine solche Volksabstimmung ein Risiko für die Regierungen, die diesen Vertrag unterschrieben haben. Das zeigt das Beispiel Frankreich, wo man leidenschaftlich über das „Für und Wider“ der Europäischen Verfassung diskutiert, und wo ein großer Teil der Bevölkerung dem Vertragswerk auch heute noch, wenige Tage vor der Wahl, ablehnend gegenüber steht. Die gleiche Skepsis gibt es in großen Teilen der Bevölkerung in Ländern wie Holland, Dänemark oder Großbritannien, wo auch Volksabstimmungen durchgeführt werden.

Aber nur, wenn man die EU-Verfassung offensiv mit den Bürgern diskutiert, kann man sie auch überzeugen. In Frankreich hat sogar jeder Haushalt den Vertragstext der Verfassung per Post zugeschickt bekommen. Es ist zwar nicht unerheblich, ob die Bürgerinnen und Bürger Frankreichs nun „ja oder nein“ zu dieser Verfassung sagen. Aber aus unserer Sicht ist es noch wichtiger, dass es eine demokratische Auseinandersetzung über die Zukunft der Europäischen Union gibt. Nichts ist schlimmer als ein allgemeines Desinteresse.

Eine Auseinandersetzung über die Ziele und Zukunft der EU gibt es bei uns so gut wie gar nicht. Die Bürgerinnen und Bürger müssen aber mitreden können, ansonsten bleibt Europa für sie ein Projekt der Mächtigen und der politischen Eliten und nicht ein Projekt der Völker.

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